Sie steht thematisch im Schatten ihrer großen Schwester, der Bundespolitik, wird der Form nach von der Mehrheit ihrer eigenen Klientel ignoriert und existiert vor allem, weil Wenige Vieles leisten: die Hochschulpolitik. Doch wie ernst ist es mit der Politikverdrossenheit an den Universitäten wirklich? Eine Spurensuche im Dickicht hochschulpolitischer Instanzen, das – orientierte man sich rein an der Wahlbeteiligung – im Niedergang begriffen sein könnte.
Die Mensa ist gut gefüllt, als ich den Raum betrete. Es ist zwar kaum vergleichbar mit der 12:00-Uhr-Stoßzeit, aber die langen Tischreihen sind immerhin schon gut zur Hälfte besetzt. Anstelle der üblichen Essenstabletts sammeln sich Laptops und Schreibblöcke auf den Tischen, auf den Platz vor mir segelt ein Flyer für ein Antirassismusfestival und an der Kopfseite des Saals, ungefähr auf Höhe der für Mittagszeiten üblichen Warteschlange, steht ein etwas provisorisches Podium. Lange nachdem an dieser Stelle das letzte Tablett über die Theke gewandert ist, wird einmal im Monat die Mensa in der Bonner Nassestraße zum Studierendenparlament umfunktioniert. Etwas, das beinahe als Nacht-und-Nebel-Aktion anmuten könnte, wüsste man nicht, dass die Sitzungen jedem Studierenden der Uni Bonn frei zugänglich sind. Als solcher hat man sogar Antrags- und Rederecht.
Klingende Worte und ein provisorisches Setting
Hochschulpolitik und Studierendenparlament, das sind klingende Worte. So klingend, dass ihre pragmatische Gestaltung mich zunächst irritiert. Parlament, das klingt für mich nach repräsentativen Gebäuden, zumindest nach einer halbrunden Anordnung der Stühle und nach einem Rednerpult. Vielleicht habe ich auch deshalb zweimal nachgefragt, als ich hörte, dass das Studierendenparlament sich in der Mensa trifft. Mit Beginn der Sitzung wird es formeller, es geht um das neue Hochschulgesetz, um Studiengebühren, die Anwesenheitspflicht und eine gewisse Zivilklausel.
Das sind Themen, über die das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet, weshalb ein eigens geladener Landtagsabgeordneter zu den verschiedenen Themen referiert und Fragen der Fraktionen beantwortet, die, wie ich jetzt verstehe, nach Gesinnung von rechts nach links geordnet sitzen: angefangen mit den Jungen Liberalen und dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten, links daneben die Grüne Hochschulgruppe und die Jusos, dazu noch verschiedene kleinere Gruppen. Die Diskussion dreht sich inzwischen um die Landarztquote und ein mutmaßliches Extremismusproblem, während ich versuche, die auf mich einprasselnden Namen und Funktionen auseinanderzuhalten und ein System hinter der etwas kompliziert anmutenden Redezeitaufteilung zu finden. Hochschulpolitik leistet so einiges, so viel ist klar; trotzdem ist sie irgendwie auch eine Randerscheinung, mit der sich niemand so richtig befassen möchte.
Es gibt solche und solche
So richtig niemand zwar nicht, schließlich sitze ich in einem Raum voller Leute, die freiwillig und in ihrer Freizeit hier arbeiten, ehrenamtlich, während andere bei ihren Studentenjobs Geld verdienen oder bei ohnehin schönem Sommerwetter längst im Hofgarten mit Freunden entspannen und ihr Feierabendbier genießen. Zumindest letzteres kann man zwar auch im Studierendenparlament tun, wie ich bemerke – aber die breite Masse der Studierenden scheint sich trotzdem fernzuhalten vom politischen Geschehen rund um die Universitäten. Stichwort Politikverdrossenheit: Die Wahlbeteiligung zum 40. Bonner Studierendenparlament im Frühjahr lag bei 9,5 Prozent. Zwei Stunden später, aber sicher noch lange vor Schluss, verlasse ich also die Sitzung mit vor allem zwei Fragen im Kopf: Warum? Und: War das schon immer so?
„Politikverdrossenheit ist unter Studenten alltäglich“, sagt dazu Ann-Sophie Heinsohn, die bereits zum zweiten Mal für den „Ring Christlich-Demokratischer Studenten“ ins Studierendenparlament gewählt wurde und zudem im Vorstand der Hochschulgruppe aktiv ist. „Viele wissen gar nicht, dass die Chance besteht, sich politisch zu engagieren und viel haben natürlich auch einfach gar keine Lust dazu. Ganz besonders erschreckend ist das jedes Jahr in der Wahlkampfzeit: Die meisten Studenten wissen nicht einmal, was das Studierendenparlament ist und gehen dann natürlich auch nicht wählen.“ Die 24-Jährige bildet da allerdings eine Ausnahme: „Ich begeistere mich für Politik und deren Prozesse und habe die Hochschulpolitik ausgewählt, da es meiner Meinung nach die beste Möglichkeit ist, einen Einblick zu bekommen, wie es auf landes- und bundespolitischer Ebene zugeht. Ich möchte später beruflich auf jeden Fall in eine politische oder diplomatische Richtung gehen.“
Zwischen Politikverdrossenheit, Talenten und Verantwortungsgefühl
Neben politischem Interesse oder der Politik als Berufsziel gibt es aber auch noch andere Gründe, sich in der Hochschulpolitik zu engagieren. So wie bei Marlon Brüßel, den ich kurz vor Ann-Sophie im studentischen Café Unique im eindrucksvollen Bonner Hauptgebäude treffe. Seit Dezember 2016 ist er im RCDS Bonn aktiv und hat als Fraktionsvorsitzender unter anderem den Wahlkampf mitorganisiert: Das bedeutet, Kandidaten für die Wahlliste zu rekrutieren, das Wahlprogramm aufzustellen, Wahlkampfaktionen auf die Beine zu stellen und auch nach dem Wahlkampf Mitglieder zu aktivieren, Anträge für das Plenum im Studentenparlament vorzubereiten und die internen Fraktionssitzungen zu leiten. Als stellvertretender Landesvorsitzender des RCDS NRW betreut er zudem landesweit RCDS-Hochschulgruppen in verschiedenen Städten. Ein umfangreicher Job, und wieder die Frage: Wofür das alles?
„Ich hatte schon immer eine große Leidenschaft für politisches Engagement. Es macht mir sehr viel Spaß, auch mal mit Leuten ganz anderer Meinungen zu streiten und den argumentativen Schlagabtausch zu suchen; um dann vielleicht auf einer praktischen Ebene zu einem Kompromiss zu kommen. Diese Ergebnisorientierung ist mir sehr wichtig. Der AStA und das Studierendenparlament sollten aus meiner Sicht Orte der pragmatischen Politik für unsere Zielgruppe – die Studierenden – sein, und nicht Orte, an denen Ideologien, gleich welcher Art, den politischen Prozess bestimmen. Persönlich spielt bei mir auch das Verantwortungsgefühl eine Rolle, sich als mündiger Bürger, auch als Christ mit seinen eigenen Talenten in einer Gesellschaft einbringen zu müssen, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Ich glaube bei mir liegen die Talente unter anderem in der politischen Richtung.“
Aber auch er kennt Politikverdrossenheit aus erster Hand: „Zunächst einmal wissen die wenigsten Studenten, was wir wirklich tun, viele wissen nicht einmal, dass es uns gibt. Der AStA und das Studierendenparlament erhalten etwas mehr Aufmerksamkeit, weil sie viele praktische Fragen betreffen, zum Beispiel in der Mensa einen Schreibwarenladen betreiben oder Beratungsangebote zu leisten. Die einzelnen Hochschulgruppen sind weniger bekannt. Selbst wenn man nun schon einige Jahre hier studiert und den Wahlkämpfen kaum ausweichen kann, wissen viele Studenten nicht, was der RCDS ist und wofür er steht. Zudem gibt es praktische Gründe für Politikverdrossenheit: etwa starke Ideologisierung der Hochschulpolitik und ihrer Angebote, sodass sie nahezu lebensfern sind und dann natürlich auch keine Studenten ansprechen.“
Mein Fazit: Politikverdrossenheit ist kein Generationsproblem
Am Schluss gehe ich aus vielen Gesprächen zwar mit weiterhin vielen Fragen, aber auch einigen Antworten heraus. Politikverdrossenheit scheint auch an der Universität zum Alltag dazuzugehören, und sie stellt den politischen Prozess an der Hochschule mitsamt seinen vielen Instanzen vor eine gewaltige Herausforderung. Dennoch muss man aus ihr kein Generationsproblem machen. Denn es gibt Gegenbeispiele junger Menschen, die sich in der Hochschulpolitik engagieren und sich auch darüber hinaus für politische Prozesse interessieren, die andere junge Menschen mitziehen. Und es gibt junge Menschen, die sich zwar nicht für Politik, aber für andere Ehrenämter begeistern lassen, die ihren Talenten entsprechen und durch die sie, egal, ob in einer Hilfsorganisation, in der Flüchtlings- oder Obdachlosenarbeit oder in der Kirche, der Gesellschaft „etwas zurückgeben“.
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