In der Geschichte der Literatur gibt es immer wieder Schriftsteller, von denen neben Romanen, Gedichten oder Theaterstücken auch Briefe gelesen werden. Wie kaum eine andere Gattung zeigen sie die Menschen, die hinter den großen und gefeierten Dichtern und Autoren stehen. Auch in der Bibel gibt es eine große Sammlung von Briefen, die dem Apostel Paulus zugeschrieben werden. Obwohl diese Texte vor knapp 2.000 Jahren geschrieben wurden, haben sie eine bis heute aktuelle Botschaft.
Die bemerkenswertesten Personen der Kirchengeschichte sind mit Sicherheit die Heiligen. Menschen, von denen die Kirche glaubt, dass sie in einer besonderen Beziehung zu Gott standen, ein außerordentlich vorbildliches Leben für die übrigen Christen führten und ihr ganzes Handeln auf Gott und seine Gebote ausrichteten. Viele dieser Menschen führten aber nicht immer ein so gutes Leben, sondern zeigen vielmehr an einem bestimmter Punkt ihrer Biographie eine Kehrtwende. Erst nach einem Berufungserlebnis wurden sie zu vorbildlichen Christen – das Leben zuvor war keineswegs gut.
Einer der ersten dieser Heiligen war Paulus. Er verfolgte zunächst die frühen christlichen Gemeinden in Palästina. Er war etwa an der Steinigung von Stephanus beteiligt, dem ersten „Märtyrer“ der Kirche, dem ersten Christen also, der seinen Glauben an Gott und sein Bekenntnis zu Jesus Christus mit dem Leben bezahlen musste. Saulus – so der eigentliche Name von Paulus – ließ ihn umbringen. Nur wenig später macht sich Saulus auf den Weg in die Stadt Damaskus, um auch dort Christen ausfindig zu machen und sie anzuklagen. Mitten auf dem Weg aber fällt er von seinem Pferd; er sieht plötzlich Christus, der ihn fragt, weshalb er seine Kirche verfolge. Als Reaktion auf dieses sehr geheimnisvolle Erlebnis wird Saulus zum Christen, fortan nennt er sich Paulus. Heute gehört dieser Mann nicht nur zu den wichtigsten Heiligen der Kirchengeschichte, vielmehr verdankt das Christentum ihm einen wesentlichen Teil des Neuen Testaments: Seine Briefe an unterschiedliche Gemeinden im Mittelmeerraum.
Etwas verwunderlich wirkt es schon: Briefe, die vor knapp 2.000 Jahren geschrieben wurden, werden noch heute gelesen und interpretiert. Dabei wurden sie in unterschiedliche Situationen geschrieben, die heutigen Gemeinden auf den ersten Blick sehr fremd sein dürften. Trotzdem: Paulus bleibt bis heute einer der wichtigsten Mahner der Kirche – er fordert Christen auf der ganzen Welt dazu auf, sich auf den Kern, auf das Wesentliche zu besinnen.
Erster Brief an die Korinther, Kapitel 13
Das sogenannte „Hohelied der Liebe“. Paulus schreibt der Gemeinde von Korinth – in der es viele Streitpunkte und Entzweiungen gibt – was der Kern des Christentums ist: Der Glaube, die Hoffnung, allen voran aber die Liebe. Ohne die Liebe wären die Menschen nichts. Sie könnten noch so hervorragend sein, noch so vorbildlich – ohne Liebe wäre das alles nichts, es wäre vollkommen sinnlos. Erst die Liebe macht die Menschen zu wahren Menschen. Alles Wissen, alle Erkenntnis, alle Stärke wäre ohne die Liebe nichtig. Dieser poetische Aufruf zur Liebe bleibt bis heute aktuell. An so vielen Orten fehlt es in der Wirtschaft, in der Politik, aber eben auch in der Kirche an einer Verantwortung in Liebe zu den Mitmenschen.
Der Brief an die Römer, Kapitel 9 bis 11
Das jüdische Volk wurde in der Geschichte Europas immer wieder unterdrückt und verfolgt. An diesen unvergleichbaren Gewalttaten war die Kirche nicht selten beteiligt, oft sogar der Auslöser. Dabei übersahen Kirchenmänner, Theologinnen und Theologen tragischerweise immer wieder einen der bedeutendsten Texte des Apostels Paulus über das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum. Paulus – ja selbst Sohn des Volkes Israel, selbst ein beschnittener Jude – macht deutlich: Gott hat einen Bund mit Israel geschlossen. Und Gott steht zu seinem Wort, er ist und bleibt treu. Sicherlich – Paulus wurde zum Christusanhänger. Trotzdem bleibt Israel Gottes geliebtes Volk. Ein Text, der in der Kirchengeschichte zu selten gehört und gelesen wurde. Mit fatalen Folgen.
Der Brief an die Philipper, Kapitel 2
Paulus schreibt seine Briefe erst wenige Jahrzehnte, nachdem Christus gelebt hat und gestorben ist. Die frühen christlichen Gemeinden müssen erst so etwas wie eine gemeinsame Identität findet, müssen zusammen wachsen. Die ersten Christen stammen aus den unterschiedlichsten religiösen Kontexten, Arme und Reiche, Juden und Heiden sehen sich plötzlich als eine Gemeinschaft. Aber was bedeutet es nun, Christ zu sein? Welche Folgen hat das? Wie sieht ein christliches Leben aus?
Dafür bietet Paulus seiner Gemeinde im griechischen Philippi ein starkes Vorbild: Jesus Christus selbst. Er lebte ein vollkommen demütiges Leben, das ganz im Dasein für die Menschen bestand. Und eben so soll jedes christliche Leben sein: Ein Leben in Nächstenliebe, ein Leben in der Hingabe für die armen und benachteiligten Menschen. Jesus sei zum „Sklaven“ geworden – er, der Sohn Gottes. Um wie viel mehr müssten auch die Christen – damals wie heute – zu Sklaven werden, so Paulus.
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