Ich will aussteigen. Einen Schritt heraus aus dieser verstopften Welt. Den nächsten Schritt stehe ich dann schon in der Realität – bzw. in dem, was davon noch blieb. Ja, ich will sie wieder wahrnehmen. Die Welt dort draußen. Die Welt direkt vor meinen Augen. Die Welt direkt unter meinen Füßen. Doch ich zögere. Zu wohlig. Zu harmonisch. Zu melodisch ist diese Welt. Meine Welt. Da gibt es nur mich und eine Stimme. Manches Mal auch zwei. Nämlich immer dann, wenn ich meine eigenen Worte in meinen Kopf vernehme. Die Stimmen laufen mal parallel und mal kontrapunktisch. Aber keiner hört sie – außer meine zwei Ohren. Ich schaue um mich herum. Orientiere meinen Blick. Bin erstaunt über das Treiben. Es wuselt nur so vor sich hin in diesem Café direkt in der Innenstadt. 19:59 Uhr – Generationenwechsel: Jung kommt, alt geht. Keiner nimmt mich wahr. Aber vollkommen wechselseitig nehme auch ich die Menschen nur verschwommen, taub, maschinenartig wahr.
Registration vs. Affektion vs. Kommunikation.
Da kommt der Kellner! Zielstrebig. Meter um Meter dringt er tiefer und störender in meine Welt ein. Meine Tarnung ist geplatzt. Meine Anwesenheit ist aufgedeckt. Und mit drei schnellen Schritten steht er vor mir. Ich habe keine Chance. Es gibt kein Entkommen. Der Zwang wird zu groß. Defätistisch stürzen meine Mauern ein.
Alles geht plötzlich ganz schnell. Ich hebe meine Hände. Führe Daumen und Zeigefinger zusammen und… nehme die Kopfhörer aus meinem Ohr. Mit einem Ploppen löst sich der Polyethylen-Stecker aus meiner Ohrmuschel. Es ist wie ein Sprung in eiskaltes Wasser. Mein Körper verharrt kurz in Starre. Muskeln sind angespannt. Gedanken schwirren, Geräusche lärmen. Ich fühle mich nackt und fremd in diesem Chaos. Der Kellner ist längst vergessen. Zu hart, zu laut, zu authentisch stürzt die Welt über mich herein. Wie ein Hammer meldet sich die Realität mit einem richterlichen Schlag wieder zu Wort. Ich war der coole Surfer auf der perfekten Welle, doch jetzt bricht sie. Direkt in mein Ohr. Direkt in meinen Kopf hinein bricht sie ein. Und verliert sich in Gischt. Aus Schwingungen werden Schwankungen. Aus konstruktiven werden destruktive Interferenzen. Aus dem Lieblingssänger wird eine 60-jährige Frau, die am Nachbartisch lauthals von den Tischtenniserfolgen ihres Enkelchens schwärmt. Vorbei der Traum von ineinander führender Stimmigkeit. Vorbei der Schlaf im Bett der Musik. Vorbei das Leben im Ohr.
Zu schön war die fiktive Isolation
In perfekter Fremdheit konnte ich meine eigene Welt konstruieren. Nutze die Fremdheit gar als Ressource und spielte mit ihr Versteckfangen. In diesen Minuten fühlte ich mich alleine, aber nicht einsam. Meine Welt war auch keine Teilmenge mehr dieser konventionellen Welt. Denn ich habe mich abgekapselt und konnte anders hören. Anders sehen. Anders leben. Ein eremitisches Leben unter massenhafter Gesellschaft.
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