Montag, 24. März 1980 – ein besonderer Tag im zentralamerikanischen El Salvador, dem kleinsten Land Mittelamerikas. Seit etwa einem halben Jahr tobt ein grausamer Bürgerkrieg, der noch zwölf weitere Jahre andauern wird. Von insgesamt 80.000 Menschen wird er das Leben von etwa einer Million Menschen die Heimat fordern.
Am Nachmittag dieses historischen 24. März 1980 feiert der vom Militärregime gefürchtete Erzbischof von San Salvador Oscar Romero in einer Krankenhauskapelle die heilige Messe und geißelt – wie so oft – das himmelsschreiende Unrecht in seinem Heimatland: „Im Namen Gottes und im Namen dieses leidenden Volkes, dessen Wehklagen täglich eindringlicher zum Himmel steigen, flehe ich Sie an, bitte Sie inständig, ersuche ich Sie im Namen Gottes: Machen Sie der Repression ein Ende …“ – plötzlich: ein Schuss. Der tödlich getroffene Erzbischof sinkt zu Boden. Der Todesschütze handelte im Auftrag der Militärdiktatur.
Noch in der Todesnacht wird das Volk diesen Mann, der sich bis zum letzten Atemzug für die Armen und Entrechteten seines Landes eingesetzt hatte, heilig sprechen. Es kommen Arme, Obdachlose, Verwundete und wollen den Leichnam des verstorbenen Bischofs berühren. Schon bald wird man ihn auf der ganzen Welt einen Heiligen nennen. Am heutigen 23. Mai 2015 spricht Papst Franziskus den Märtyrer von San Salvador offiziell selig.
Oscar Romero war ein Mann der Armen und kam aus armen Verhältnissen. Die Tugend der Armut als innere Haltung der Loslösung hat er sich ein Leben lang bewahrt. Als er am 24. März 1980 ermordet wurde, hatte er fast nichts: ein Paar alte Hemden und ein Paar Hosen. Alles hatte er den Armen gegeben. Viel brauchte er für sein persönliches Leben nicht.
Die soziale und politische Dimension des Evangeliums
Oscar Romero hatte als Priester und Bischof in einer angespannten politischen und sozialen Situation für sich erkannt, dass das Evangelium nicht ohne Folgen für das Zusammenleben der Menschen bleiben kann. Wer sonntags brav in die Kirche geht, aber nicht nach dem Evangelium handelt, wer die Unterdrückung und Entrechtung eines ganzen Volkes hinnimmt und soziale Ungerechtigkeit einfach ignoriert, kann kein Christ sein. Entweder ist er ein Lügner oder ein Heuchler. Denn im letzten Gericht wird es nicht darum gehen, ob wir fromme Sprüche abgelassen haben, sondern ob wir den Willen unseres göttlichen Vaters getan haben. Und diese Freundschaft mit Gott zeigt sich eben nicht nur (aber auch!) im Glauben, im Beten und in der Feier des Gottesdienstes, sondern ganz entscheidend auch in unserer Zuwendung zum Nächsten, gerade zu den Ärmsten unserer Gesellschaft: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen. Ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben. Ich war krank und ihr habt mich besucht. Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. … Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ (Mt 25, 35f.40)
Das Evangelium Jesu Christi ist keine politische Ideologie und auch kein bloßes Sozial- oder Moralsystem, sondern in erster Linie eine gute Botschaft – die gute Botschaft davon, dass Gott uns als Sünder liebt und dass er uns aus dem Tod zum Leben führen möchte. Dieses Evangelium hat immer auch eine soziale und politische Dimension. Eben deshalb konnte Oscar Romero angesichts der sozialen und politischen Missstände in El Salvador nicht einfach schweigen und brachte sich durch sein Reden und Handeln – letztlich bewusst – in Lebensgefahr. Er konnte es nicht einfach hinnehmen, wie einfache Arbeiter, Bauern und Teile des Klerus durch das Militär unterdrückt und rechtschaffene Menschen, die sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzten, massakriert wurden. Daher nahm er auch in seinen Predigten kein Blatt vor den Mund.
Oscar Romero – kein politischer Ideologe, sondern Zeuge des Evangeliums
Oscar Romero stand weder „rechts“ noch „links“. Er verstand sich nicht als Politiker und befürwortete auch keinen gewaltsamen Putsch. Jede Form von Gewalt und jede politische Ideologie lehnte er ab. Unrecht und Gewalt lässt sich nicht durch Hass oder Gegengewalt überwinden, sondern allein durch bedingungslose Liebe. Dies war die Grundlage seines Denkens und Handeln. Und dieses Evangelium ist eine gute Botschaft vom Frieden, von der Gerechtigkeit und von der Befreiung des Menschen. Allein zweimal wurde Romero aufgrund seines leidenschaftlichen Eifers für Frieden und Gerechtigkeit für den Friedensnobelpreis nominiert.
Eine arme Kirche für die Armen
Ähnlich wie Papst Franziskus führt uns Oscar Romero vor Augen, dass eine glaubwürdige Kirche nach dem Willen Jesu Christi vor allem eine arme Kirche für die Armen sein muss. Mit den „Armen“ sind damit nicht nur materiell Arme und Obdachlose gemeint, sondern auch alle kranken, alten, behinderten, entrechteten und rechtlosen Menschen, letztlich all jene, die in ihrem Leben keine Liebe spüren und nicht mehr geliebt werden, für die sich keiner mehr interessiert oder Zeit nehmen möchte. Jesus hat sich gerade diesen armen Menschen in besonders großer Liebe zugewandt. Diese Barmherzigkeit Christi bindet auch die Kirche in unserer Zeit, die in besonderer Weise an der Seite der Armen, Ausgeschlossenen und Ausgegrenzten stehen muss.
„Wenn viele Menschen sich bereits von der Kirche entfernt haben, dann ist das darauf zurückzuführen, dass die Kirche sich zu weit von der Menschheit entfernt hat“, betonte der selige Erzbischof von San Salvador 1978 in einer Adventspredigt. „Eine Kirche aber, die die Erfahrungen der Menschen als ihre eigenen verspürt, die den Schmerz, die Hoffnung, die Angst aller, die sich freuen oder leiden, am eigenen Leib verspürt, diese Kirche wird zum gegenwärtigen Christus – und sie wird wie er erwartet und geliebt. Dafür kommt es auf uns an!“
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