Herr Kaufmann, im vergangen Jahr konnten gleich zwei bedeutende Komponisten ihr Jubiläum feiern – Richard Wagner und Guiseppe Verdi. Ein künstlerischer Rückblick Ihrerseits: Waren Sie mit allen Ihrer Auftritte zufrieden?
Rückblickend bin ich sehr froh, dass im Jahr 2013 sowohl Wagner wie auch Verdi im Fokus meiner Tätigkeit standen: Neuproduktionen von „Lohengrin“ an der Scala und „Parsifal“ an der Met, ein Konzert zu Wagners Geburtstag und vieles mehr. Was die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung betrifft, so sind wir Sänger genauso der Tagesform unterworfen wie jeder andere Mensch. Natürlich wollen wir jeden Abend unser Bestes geben, aber wir wissen natürlich, dass das nicht immer gelingt. Es kommt auch darauf an, wie man „Zufriedenheit“ definiert. Allzu zufrieden mit sich selbst sollte man nie sein. Besser man denkt: „Dieses und jenes kannst du noch besser!“, das kann dem künstlerischen Entwicklungsprozess nur gut tun.
Übernehmen Sie manchmal die Eigenschaften der Opernfiguren, die Sie während des Singens verkörpern?
Während der Aufführung möchte ich so sehr in die darzustellende Figur hineinschlüpfen können, dass ich im besten Fall eins mit ihr werde. Sobald ich die Bühne verlasse, bin ich wieder Jonas Kaufmann, da werden Sie nicht erleben, dass ich mir in der Garderobe ein Ventil für die Verzweiflung eines Werther oder eines Siegmund suchen muss.
Sie haben sicher ein künstlerisches Vorbild. Sind Sie dieser Person im Laufe Ihrer Karriere treu geblieben?
Es gibt etliche Sänger, die ich bewundere, Männer wie Frauen, aber ich habe nie ein bestimmtes Vorbild gehabt, dem ich nacheifern wollte. Da lebe ich ganz gemäß der Devise: Always be true to yourself. Oder um es mit Wilhelm Busch zu sagen: „Wer in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt keine eigenen Spuren“.
Gab es einen besonderen Moment, der Ihre Liebe zur Oper geweckt hat?
Das war eine Aufführung von Puccinis „Butterfly“ im Nationaltheater München, eine Vorstellung für Kinder am Sonntagnachmittag. Ich war damals sechs oder sieben und saß neben meiner Schwester in der ersten Reihe, direkt in der Mitte, gleich hinter dem Dirigenten – und ich war ganz fasziniert. Der riesige Raum, die Samtbezüge der Sitze, die Bühnenbilder, die Kostüme, die Musik… Und plötzlich stand die Frau, die sich gerade erstochen hatte, vor dem Vorhang und war wieder lebendig! Das habe ich einfach nicht fassen können. Oper war für mich wahrhaftig, echt und ernst. So habe ich es empfunden, und das ist in gewisser Weise bis heute so geblieben. Und ich glaube fest daran, dass Oper diese magische Wirkung auch auf heutige Kinder und Jugendliche haben kann.
Wie gehen Sie mit Druck um? Haben Sie manchmal noch Lampenfieber?
Lampenfieber kenne ich zum Glück nicht, viele wundern sich, wie relaxed ich vor einer Vorstellung bin. Der Druck kommt aus einer anderen Ecke, aus der Erwartungshaltung. Je höher man steigt, desto dünner wird die Luft und desto größer der Druck. Jeder erwartet eine Sternstunde, aber kein Sänger kann nur Sternstunden abliefern. Und wenn man mal kiekst, muss man damit rechnen, dass die Stelle mit dem Kiekser zwei Stunden später auf YouTube veröffentlicht wird. Da braucht es schon ein solides Selbstvertrauen, um mit solchen Belastungen fertig zu werden.
Mit Verlaub: Sie sehen nicht wie ein klassischer Opernsänger aus – ärgern Sie sich gelegentlich über Ihr Image als Rockstar?
Ich glaube nicht, dass ich ein Rockstar-Image habe. Aber dieses Bild vom „Latin Lover der Leopoldstraße“, als das ich so gerne betitelt wurde, nachdem es bei mir mit der internationalen Karriere losgegangen ist, das hat mich schon ab und zu verdrossen. Vor allem dann, wenn der Text suggerierte: Der hat seinen Aufstieg in erster Linie seinem Aussehen zu verdanken, das ist der Tenor für alle, die mit den Augen hören. Natürlich tut es mir nicht weh, wenn man mich gern anschaut, aber als Sänger möchte man ja nicht als Model, sondern in erster Linie als Künstler wahrgenommen werden. Auch deshalb bevorzuge ich Rollen, die mehr Charakter, mehr Ecken und Kanten haben als die typischen Latin-Lover-Partien des Tenor-Repertoires, wie Don Carlo, Don José oder Dick Johnson in Puccinis „Fanciulla“.
Auf was darf sich das Publikum im Jahr 2014 freuen?
Auf einen neuen „Werther“ an der Met, auf eine Tournee mit Schuberts „Winterreise“, auf mein Rollen-Debüt als Des Grieux in „Manon Lescaut“ in London – und auf mein Australien-Debüt im August.
Herr Kaufmann, vielen Dank für das Interview!
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