Wenn man als Zuschauer das Strahlen der Sieger und die Tränen der Verlierer bei den Olympischen Spielen sieht, träumt man davon, selbst einmal dort in der Arena zu stehen und an den Wettkämpfen teilnehmen zu dürfen. Ruhm, Reichtum und Ehre scheinen den Siegern lebenslang zu gelten. Hinter dieser Fassade sieht es aber oft viel düsterer aus. Der Leistungsdruck auf die Sportler steigt. Ein offenes Ohr haben die Olympiaseelsorger. Einer von ihnen ist Thomas Weber, der als evangelischer Olympiapfarrer in Rio dabei sein wird.
Der Wert des Menschen definiert sich nicht über Leistungen
Die Sportler definieren sich stark über ihre Platzierung. Bei einer schlechten Leistung sinkt das Selbstwertgefühl der Athleten massiv. Und gerade wenn die Sport-Karriere einmal vorbei ist, fallen viele Sportler in ein schwarzes Loch. Daher brauchen sie Gesprächspartner, die verschwiegen sind und ihnen zuhören. Mit denen sie auch mal über lebenswichtige Themen jenseits von Sieg und Niederlage sprechen können. Dafür sind die Olympiaseelsorger da. Einer von ihnen ist Thomas Weber, der als evangelischer Olympiapfarrer nach Rio reisen wird. „Der Wert und die Würde des Menschen hängt doch nicht davon ab, was wir leisten und was wir gewinnen, sondern unsere Würde haben wir doch dadurch, dass unser Leben ein Geschenk von Gott ist.“, beruhigt der Seelsorger seine Schützlinge. Er möchte den Athleten mit auf den Weg geben, sich möglichst ein zweites Standbein zu suchen. Denn aus Erfahrung weiß er, dass es mit der Sport-Karriere ganz schnell vorbei sein kann.
Mit den diesjährigen Spielen in Rio ist er nun bereits zum sechsten Mal an den Olympischen Spielen beteiligt. Der Grund für seinen Einsatz ist offenkundig: „Durch meine Begegnungen mit vielen verschiedenen Menschen bekommt die evangelische Kirche ein Gesicht“. Damit kämpft Weber auch gegen viele Vorurteile gegenüber der Kirche an. Oft heißt es, die Kirche ziehe sich zu stark zurück und man wisse gar nicht genau, wer „die Kirche“ überhaupt sei. Gleichzeitig sehe er selbst den Sport dadurch auch mit ganz anderen Augen. „Im Fernsehen sieht man immer nur die schönen Fassaden, aber was dahinter abläuft, ist eigentlich das Spannende.“, sagt der Seelsorger.
Der Pfarrer ist jedes Mal wieder fasziniert davon, wie viel Zeit die Athleten schon für ihren Sport von klein an investiert haben und wie viel Kilometer die Eltern ihre Kinder schon zu diversen Trainings und Wettkämpfen gefahren haben. Aber auch die finanzielle Unterstützung ist beträchtlich. Etwa 800 Menschen sind in diesem Jahr insgesamt an den Olympischen Spielen beteiligt. 450 davon sind Athletinnen und Athleten. Hinzu kommen noch die Trainer und Betreuer sowie die Mitarbeiter des Deutschen Olympiabundes. Weber begegnet einem bunten Spektrum an Sportlern. Darunter gibt es immer wieder Menschen, die Religion und Sport miteinander verbinden. „Jemand, dem der Glaube in seinem Alltag Kraft gibt, fährt auch mit einem gewissen Vertrauen in die Olympischen Spiele, dass er dort nicht alleine ist.“, so Weber.
Vielfältige Aufgaben eines Olympiaseelsorgers
Die Olympiade sind für Weber eigentlich aber immer die vier Jahre dazwischen. Oft kommt es vor, dass er von den Sportlern gefragt wird, ob er nicht einen Traugottesdienst gestalten bzw. eine Taufe für den Nachwuchs übernehmen könne. Wenn er nicht gerade seine Mannschaft bei den Olympischen Spielen anfeuert, arbeitet er nämlich als Gemeindepfarrer im nordrhein-westfälischen Gevelsberg. In seiner Gemeinde wird der Pfarrer mit einer Vielzahl an Aufgaben konfrontiert – vom Kindergarten bis zum Altenheim, von der Taufe bis zur Beerdigung. Die Olympiamannschaft vergleicht er gerne mit seiner eigenen Gemeinde. Dabei fällt ihm auf, dass die Athleten letztlich genau die gleichen Probleme und Sorgen haben wie seine Gemeindemitglieder. Familie, Streit und die eigene Karriere bilden ihre größten Sorgen. Weber betet oft mit seinen Sportlern zusammen – für einen erfolgreichen Tag, gegen das Lampenfieber oder für einen fairen Wettkampf.
Neben den seelsorgerlichen Gesprächen bietet er mit Rolf Faymonville, seinem katholischen Kollegen, auch ökumenische Gottesdienste und Andachten als eine Art „geistliche Auszeit“ an. Diese finden dann im religiösen Zentrum im Olympischen Dorf statt. Allerdings können auch die Aufgaben eines Notfallseelsorgers auf den Pfarrer zukommen, zum Beispiel dann, wenn es zu familiären Todesfällen bei den Sportlern kommt. Letzteres gehöre zu den besonders traurigen Momenten, die er dort teilweise erlebt. Dazu gehören auch die Augenblicke, in denen Sportler sich eingestehen müssen, dass sie krankheitsbedingt an einem Wettkampf nicht teilnehmen können, auf den sie sich Jahre lang vorbereitet haben.
Zweifel und Misstrauen gegenüber den Olympischen Spielen
Und auch die Angst vor terroristischen Attentaten macht vor den Olympischen Spielen nicht Halt. Weber meint, seit dem Terror in München, den es bei den Olympischen Spielen im Jahr 1972 gegeben hat, sei die heile Welt des Olympia zerbrochen. „Die Sicherheitsvorkehrungen sind massiv verschärft wurden.“, so Weber. Er selbst fühle sich dadurch aber auch gerade geschützt. Außerdem werden Fragen nach dem Umgang mit Doping und dem Ausschluss Russlands Gesprächsthemen den anstehenden Spielen in Rio sein. Sie sorgen für Zweifel und Misstrauen gegenüber dem Sport. „Ich wünsche mir, dass der Sport wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt und dass das, wofür die Olympische Bewegung eigentlich steht wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt wird.“, berichtet er.
Jedes der Olympischen Spiele ist ein großes Fest. Viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern kommen zu diesem Ereignis zusammen. Sie sprechen zwar unterschiedliche Sprachen, aber sie alle verbindet eines: Die Leidenschaft für den Sport. „Am allerschönsten sind für mich dann auch immer die Sieger, wenn sie die Hände hochreißen und man merkt, die ganze Anspannung fällt ab. Sie haben sich ein Ziel gesetzt und dieses auch erreicht.“, erzählt der Pfarrer begeistert.
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