Kreta im Jahr 1941: Deutsche Fallschirmjäger der Luftwaffe sowie Kriegsmarine überfallen die größte griechische Insel auf ihrer Nordseite. Mit diesem gewaltvollen und plötzlichen Überfall beginnt die bis zum Kriegsende andauernde deutsche Besatzung der Insel. Deutsche Schreckensherrschaft, geprägt von Deportationen, „Vergeltungsaktionen“ und Zwangsarbeit, stand unerbittlichem Widerstand der Kreter gegenüber.
Kreta wurde vor dem „Balkanfeldzug“ im Jahr 1941, in dem die Wehrmacht das Königreich Jugoslawien und das Königreich Griechenland angriff, ursprünglich vom Commonwealth militärisch unterstützt. Britische, neuseeländische und australische Soldaten verteidigten gemeinsam mit griechischen Partisanen, den sogenannten „Andarten“ (griechisch Αντάρτης), die Insel. Unter dem Decknamen „Unternehmen Merkur“ erfolgte am 20. Mai 1941 die Landung deutscher Fallschirmjäger auf Kreta.
Das „Unternehmen Merkur“ und die Invasion der Achsenmächte auf Kreta
Der Angriff der deutschen Fallschirmjäger unter dem Kommando von Kurt Student, Oberbefehlshaber der Fallschirmtruppe der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, erfolgte in zwei Wellen. In der ersten Welle sprangen die Fallschirmjäger am Morgen des 20. Mai 1941 über der Region um die Hafenstadt Chania („Gruppe West“) ab. In einer zweiten Welle wurden weitere Fallschirmjäger in den Regionen um Rethymno („Gruppe Mitte“) und Heraklion („Gruppe Ost“) abgesetzt. Zuerst erschien es so, dass die alliierten Streitkräfte vor Ort, aufgrund der hohen Verluste an Mann und Technik auf deutscher Seite, einen Vorteil besaßen. Dennoch übermannte die Wehrmacht die lokalen Garnisonen. Schon einen Tag nach der Landung der deutschen Fallschirmjäger wurde der Militärflugplatz in Maleme (nähe Chania) von deutschen Einheiten eingenommen.
Innerhalb der nächsten neun Tage nach der Landung drangen die Fallschirmjäger Stück für Stück über die Insel und ins Landesinnere. Aus der Umgebung um Chania drangen die Truppen gen Osten und Süden der Insel vor. Am 31. Mai 1941 kamen die letzten Gruppen in Chora Sfakion, im Süden Kretas, an. Italienische Truppen landeten am 28. Mai 1941 in Sitia, im Osten Kretas, und erreichten zwei Tage später mit dem Ort Ierapetra den Südosten Kretas. Die Südseite Kretas bedeutete für die Achsenmächte vermutlich strategische Vorteile mit der Nähe zu Afrika.
Die Insel war demnach auf der gesamten Nordseite von West nach Ost und an zwei Punkten im Süden durch die Achsenmächte Deutschland und Italien innerhalb von elf Tagen besetzt. Am 23. Mai erreichten die deutschen Truppen auf Kreta Nachschub an Waffen und weiteren Truppen. Die alliierten Streitkräfte unter dem Kommando von General Major Bernard Freyberg kapitulierten sieben Tage nach der deutschen Invasion. Das „Unternehmen Merkur“ endete am 01. Juni 1941.
Deportationen, „Vergeltungsaktionen“ und Zwangsarbeit
Nach der Besetzung der Insel verübte die deutsche Wehrmacht erhebliche Verbrechen an der kretischen Bevölkerung. In sogenannten „Vergeltungsaktionen“ zerstörten die Trupps kretische Dörfer und ermordeten die dort lebenden Dorfbewohner. Unter den Opfern befanden sich allerdings nur männliche Dorfbewohner; Jungen bis alte Männer wurden im Rahmen der „Vergeltungsaktionen“ ermordet. Wichtig ist zudem zu erwähnen, dass sich die Soldaten des Fallschirmjäger-Korps alle freiwillig gemeldet haben und nicht, wie beispielsweise Mitglieder der Gebirgsdivision, durch die Wehrpflicht eingezogen wurden. Es sollte demnach davon ausgegangen werden, dass sie sich aus Überzeugung und nicht aus Pflichtbewusstsein zum Fallschirmjäger-Korps begeben haben.
Es ist zu vermuten, dass die Wehrmacht mit der Ermordung der männlichen Dorfbewohner, aktive Partisanen oder womöglich werdende Partisanen erwischen wollte. Kretische Partisanen wurden auch nach der Kapitulation der Commonwealth-Streitkräfte teilweise weiterhin durch diese unterstützt – beispielsweise durch den britischen Geheimdienst.
Im Rahmen der deutschen Besatzung errichtete die Wehrmacht auf Kreta eine Besetzungsverwaltung, in der unter anderem auch Zwangsarbeiter arbeiteten; ebenso wie im Straßen- und Festungsbau. Außerdem wurden nach der Besetzung Listen mit den Namen jüdischer Menschen auf Kreta angelegt. Am 21. Mai 1944 wurde die gesamte jüdische Gemeinde Chanias inhaftiert. Am 8./9. Juni 1944 legte das Frachtschiff „Tanais“ in Heraklion in Richtung Athen ab – auf dem Schiff befanden sich neben den kretischen Juden auch italienische Kriegsgefangene, kretische Widerstandskämpfer und deutsches Wachpersonal. Einen Tag nach dem Ablegen wurde die „Tanais“ von einem britischen U-Boot torpediert und sank innerhalb weniger Stunden. 51 Menschen konnten gerettet werden; unter ihnen allerdings kein einziger Jude.
Gedenken und „Engagement“ nach dem Krieg
Im Zuge des „Unternehmen Merkur“ starben ca. 3352 deutsche Soldaten. Sie sind auf einem groß angelegten Friedhof oberhalb des kretischen Ortes Maleme beigesetzt – 344 gefallenen Soldaten, dessen Leichen nicht geborgen werden konnten, wurde jeweils eine Platte mit Gravur auf dem Friedhof gewidmet.
Die Planung des Friedhofs begann schon in den 1960er/1970er-Jahren – teilweise unter der Beteiligung ranghoher deutscher Kriegsveteranen. Ihre Intention, den gefallenen Kameraden ein „Denkmal“ zu setzen, muss eindeutig kritisch beurteilt werden. Angeblich betrachteten sie in Verbindung mit ihrem Engagement nur die militärische Leistung und nicht den Angriffskrieg des NS; dennoch existieren Engagements, die nicht nur ausschließlich der militärischen Leistung gewidmet waren. So sorgte beispielsweise Kurt Student für die Umbettung von General Bruno Bräuer nach Maleme, der seiner Zeit Kommandeur des „Fallschirmjägerregiments 1“ sowie für die Deportation der kretischen Juden verantwortlich war. Bräuer wurde am 20. Mai 1947, genau sieben Jahre nach der deutschen Invasion in Chaidari, bei Athen hingerichtet.
Student selbst überlebte den Krieg und kam trotz einer geplanten fünfjährigen Haft ab 1946, im Jahr 1948, frei und betätigte sich ab 1951 als Präsident des „Bundes deutscher Fallschirmjäger e.V.“. Außerdem zählte er zu den Ehrengästen des „Kreta-Tages“, welcher jährlich im hessischen Altenstadt abgehalten wurde; ab 1998 wurde diese „Gedenkfeier“ offiziell verboten. Kritisch ist dies besonders aufgrund der Tatsache, dass in einer deutschen Stadt dem Tod deutscher Soldaten bei der Landung auf Kreta gedacht wurde, dennoch aber unweigerlich die vierjährige Besatzungszeit durch die Deutschen „gefeiert“ wurde und Personen, wie Kurt Student, zu den „Ehrengästen“ zählten.
Was ist passiert? Aufarbeitung der Geschehnisse durch Quellenarbeit
Die Bereitschaft, sich mit den Geschehnissen der deutschen Besatzungszeit auf Kreta auseinanderzusetzen, ist besonders in der Nachkriegszeit lange auf wenig Resonanz gestoßen. Erst in den letzten Jahrzehnten, in denen die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in verschiedensten Themenfeldern einen enormen Aufschwung erfuhr, wurde auch manches über die Besetzung Kretas 1941-1945 bekannt. Dennoch blieb das Gebiet von der Forschung überwiegend unberührt. Die Quellenlage stellt hingegen eine erhebliche Bandbreite an Material dar.
Neben allgemeinen Archivalien beispielsweise aus den Bereichen der „Verbände und Einheiten der Fallschirmtruppen der Luftwaffe“ oder dem „Bund deutscher Fallschirmjäger e.V.“, der sich in der Nachkriegszeit etablierte, existieren zudem Personalakten aus der Kriegszeit, sowie der Nachlass von Kurt Student.
Zudem wurden nach dem Krieg, Interviews mit griechischen Zeitzeugen geführt, dokumentiert und im Online-Archiv der Website „Erinnerungen an die Okkupationen in Griechenland“ veröffentlicht; unter den insgesamt 93 Interviews befinden sich zwölf Interviews, welche mit kretischen Zeitzeugen geführt wurden. Die Erinnerungen der Zeitzeugen zur „Schlacht um Kreta“ und dem „Unternehmen Merkur“ unterscheiden sich drastisch. Die Diskrepanz reicht von der Ansicht, es habe einen erbitterten Kampf zwischen Deutschen und Kretern gegeben bis zur Annahme, es habe keine „Schlacht um Kreta“ gegeben und der Widerstand der Kreter gegen die Deutschen sei ohne die Unterstützung der Alliierten unmöglich gewesen; die Anschauungen unterscheiden sich je nach Standort und Alter der Zeitzeugen zur Zeit der deutschen Besatzung.
Begegnungen zwischen Griechenland und Deutschland
Den Umgang mit der Rezeption und dem Gedenken an diese Zeit drückt die Ausstellung des deutschen Soldatenfriedhofs in Maleme, recht treffend aus: „Ehrendes Gedenken hat hier keinen Platz. Erinnern müssen wir uns aber unbedingt – um Krieg und Gewaltherrschaft in der Zukunft zu verhindern.“
Vor dem Hintergrund der Völkerverständigung zwischen Griechenland und Deutschland wird seit den 1950er-Jahren Austausch in Form von Jugendbegegnungen gewährt. Mit dem Generationenwechsel erlang diese Art des Austausches noch mehr an Bedeutung. Mehr als 20.000 Jugendliche wurden jährlich durch Austauschprogramme erreicht. Doch nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene wurden durch das Programm erfasst; durch Lehrerfortbildungen gab es auch für Lehrpersonal die Möglichkeit, sich mit der deutschen Besatzungszeit auseinanderzusetzen.
Im Rahmen des Engagements in Deutschland und Griechenland wurde neben dem zuvor erwähnten Interview-Archiv ein Online-Nachschlagewerk (www.kreta-wiki.de) von Annette Windgasse erstellt. Außerdem engagieren sich auch internationale Mitarbeiterinnen der Etz-Hayyim-Synagoge in Chania, indem sie auf ihrer Website über die Zeit um 1941 bis 1945 informieren und ebenfalls Kontakte zu jüdischen Kulturzentren nach Deutschland pflegen. Das griechisch-deutsche Projekt „Cultures and Remembrances“ ermöglicht unteranderem eine virtuelle Zeitreise nach Kreta im Zeitraum des 13.-20. Jahrhunderts. Außerdem wurden im Rahmen eines Projekts deutsche Schüler zur deutschen Besatzungszeit auf Kreta befragt; das Wissen darüber war äußerst „dünn“ und die Reaktionen sehr erschrocken.
Durch das Gebirge, das die Fallschirmjäger von der Nord- auf die Südseite der Insel durchquerten, führen heute Reisebus-Routen – ein unbehagliches Gefühl bei dem Gedanken, wenn sich an das Jahr 1941 erinnert wird. Aufgrund dessen bietet dieses Themengebiet mit seiner Vielfalt an Quellenmaterialien viel Raum für Forschung, Bildungsinitiativen und weitere Projekte zur Aufarbeitung und Verständigung.
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