Das Spektakuläre im Gewöhnlichen zu suchen – das setzt sich die erfolgreiche französische Schriftstellerin und Journalistin Pascale Hugues zum Ziel. Ihre Werke werden durch die Erzählung persönlicher Schicksale zum Spiegel der europäischen Geschichte. Mit f1rstlife sprach sie über Ihre Arbeit, erklärt, wie sie zum Journalismus gekommen ist und verrät, was sie angehenden Journalisten mit auf den Weg geben kann.
Frau Hugues, worum geht es genau in Ihrem neusten Buch „Ruhige Straße in guter Wohnlage“ und wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Es geht um eine sehr gewöhnliche Straße in Berlin, nichts Spektakuläres, niemand Berühmtes hat darin gelebt. Eigentlich hat man auf den ersten Blick den Eindruck, dass dort nichts passiert ist. Die Idee ist mir gekommen, als ich das erste Mal in die Straße kam, weil man durch die Architektur doch merkt, dass sehr viel zerstört worden ist – ungefähr zwei Drittel der Häuser. Sie haben diese schöne kaiserliche Architektur neben den Blocks aus der Nachkriegszeit, wovon viele jetzt auch durch neue Gebäude ersetzt werden. Doch so eine Straße, die auf dem ersten Blick nichts zu sagen hat, wird zum Spiegel für die deutsche Geschichte. Das fand ich sehr interessant.
Ich habe gelesen, dass Sie für dieses Buch sehr viel recherchiert haben. Was treibt Sie bei diesen Recherchen an, was inspiriert Sie?
Also, es ist nicht einfach. Ich wusste überhaupt nicht, wie man über so eine Straße recherchiert. Zuerst fragt man die Nachbarn, ob sie eine alte Dame oder einen alten Mann kennen, die in der Straße gelebt haben. Diese habe ich besucht und sie erzählten ihre Geschichte. Dann habe ich durch Zufall in der Buchhandlung und auf dem Schulfest meiner Kinder Leute getroffen, die in der Straße gewohnt haben. Eine wichtige Quelle ist auch das Archiv, viel findet man in Bauakten, in Polizeiakten oder in alten Zeitungen. Außerdem war es ein sehr jüdisches Viertel, deshalb habe ich eine Annonce in einer Zeitung für Berliner Juden, die nun überall auf der Welt verteilt sind, aufgegeben. Ich habe sehr großes Glück gehabt, denn es haben sich 13 Leute gemeldet, die früher in der Straße gewohnt haben und als Kinder geflüchtet sind.
Sie erforschen gerne die Geschichte Ihres Umfeldes. Ihre Familiengeschichte verarbeiteten Sie in Ihrem Roman „Marthe und Mathilde“. Was ist besonders, wenn es um die eigene Geschichte geht? Hatten Sie bei diesem Buch ein besonderes Ziel oder eine Intention?
(Anm. d. Red. In diesem Buch geht es um die gemeinsame Geschichte und die lebenslange Freundschaft ihrer deutschen und ihrer französischen Großmutter, die zusammen im Elsass aufwuchsen.)
Bei der eigenen Geschichte gibt es eine Art Zwang, ich kann es nicht genau erklären, aber man hat das Gefühl, man muss es machen. Besonders in Familien, wo die große Geschichte sehr viel im Leben der Familie zerstört hat. Das kennen die Deutschen sehr gut. Dann gibt es irgendwann eine Generation, die dann guckt und die das wissen will. Das befreit auch und es erklärt sehr viel. Also ich hätte kein Buch geschrieben, wenn ich zwei nette Omas gehabt hätte. Das wäre dann sehr anekdotisch geworden. Doch als ich entdeckte, dass ihre Geschichte, wie auch die Geschichte meiner Straße, die große Geschichte Europas spiegelt, erkannte ich, dass das ein sehr gutes „Sujet“ ist. Man lernt die Geschichte des Elsass und die deutsch-französische Geschichte anhand von zwei Protagonisten, also meiner beiden Großmütter, kennen. Dann wird es viel lebendiger, als wenn man nur trockene Daten oder abstrakten Heldentaten aufschreibt.
Das Buch hat, wie Sie gerade erwähnt haben, viel mit den deutsch-französischen Beziehungen zu tun. Was sind Ihre Gedanken zur „deutsch-französischen Freundschaft“, gerade im Jahre 2013?
Also das Wort kann ich erstmal nicht mehr hören, diese „deutsch-französische Freundschaft“, das ist so aufgeladen und langweilig. Ich habe das Gefühl, politisch geht es gerade nicht sehr gut und menschlich ist es den Franzosen und den Deutschen ein bisschen egal. Es ist mittlerweile so sicher, dass es Frieden und Versöhnung gibt, dass es den meisten sehr gleichgültig geworden ist. Obwohl es unterschwellig immer noch viel Neid gibt und viel ist unbekannt. Die Franzosen kennen die Deutschen nicht sehr gut. Die Deutschen meinen die Franzosen zu kennen, doch es gibt immer noch viele Klischees. Aber im Grunde genommen läuft das.
Jetzt noch einmal zu Ihrer persönlichen Geschichte. Was war Ihr Traumberuf als Kind und wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Als Kind wollte ich „Maman“ und „Maitresse“ werden. Meine Eltern fanden das immer sehr lustig, denn „Maitresse“ ist im Französischen die Grundschullehrerin, heißt aber auch Liebhaberin. Dann kamen sehr schnell das Schreiben und der Journalismus hinzu. Vielleicht war ich nicht selbstbewusst genug, um sofort zu sagen, dass ich nicht ausschließlich journalistisch, sondern auch richtig literarisch schreiben möchte. Durch die Bücher, die ich jetzt schreibe, ist es eine sehr schöne Mischung aus journalistischer Recherche nah an der Realität und einem etwas kreativerem Schreibstil.
Wie sind Sie dann genau zum Journalismus gekommen? Wie haben Sie angefangen, journalistisch tätig zu sein?
Ich habe in Frankreich Literatur und Englisch studiert. Das waren diese Klassen zur Vorbereitung für die „Grandes Écoles“ – ein Wahnsinn. Man arbeitet extrem viel. Irgendwann habe ich das nicht mehr geschafft und gesagt: “Jetzt ist Schluss, ich will nicht mehr studieren, ich will ins reale Leben.” Dann bin ich für ein Jahr nach England gegangen, da hat es sich gefestigt, was ich wirklich machen wollte. Die deutschen Studenten verbringen sehr oft ein Jahr in oder vor ihrem Studium im Ausland. In Frankreich ist alles sehr verschult. Man soll bloß nicht irgendwo nach rechts oder links gucken. Als ich zurückkam, habe ich eine Journalistenschule besucht. Das war zwar nicht so wahnsinnig hilfreich, aber damit bin ich dem nachgegangen, was ich machen wollte. Dann hab ich sehr viel Glück gehabt, dass ich sofort nach dem Studium einen Job beim Radio BBC in London bekommen habe durch die Verbindung zwischen Englisch und Journalismus. So folgte dann ein Job dem Anderen. Das hat sehr großen Spaß gemacht.
Gibt es einen Ratschlag oder etwas, dass Sie jungen Journalisten und Schriftstellern mit auf den Weg geben können?
Angehenden Journalisten, für Schriftsteller kann ich keine Ratschläge geben, sage ich: einfach neugierig sein, die Augen öffnen und sich trauen. Man muss es wagen, zu den Leuten hinzugehen und sollte probieren, nicht das Gleiche zu schreiben wie alle anderen. Ich habe gerade nochmal über den Wulff-Prozess gelesen. Ich war extrem schockiert, wie man den armen Mann behandelt hat und wie die Leute sich da rein gesteigert haben. Ich komme aus einem Land, wo die Korruption andere Maße hat. Denken Sie mal an Strauss Kahn, der wahrscheinlich eine Frau vergewaltigt hat. Fast jeder französische Politiker hat eine finanzielle oder sexuelle Affaire. Darauf kann man nicht stolz sein. Bei Wulff geht es nur um 750 Euro. Da finde ich, dass man ein bisschen Distanz wahren muss und nicht nur mit dem Strom schwimmen sollte. Alle haben nur eingehackt und schreiben: „Das ist unmöglich”. Da ist die Justiz schuld, aber die Presse auch. Generell sage ich, man sollte ein Freidenker sein und bleiben, auch wenn das nicht immer einfach ist.
Frau Hugues, vielen Dank für das Gespräch!
Portrait:
Pascale Hugues wurde 1959 in Straßburg geboren. Als Journalistin und Korrespondentin war sie unter anderem für die französische Zeitung „Libération“, das Magazin „Point“, die Berliner „taz“, den Berliner „Tagesspiegel“ und für ARTE tätig. 2013 veröffentlichte sie ihr drittes Buch. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Berlin.
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