Im Laufe des Lebens begegnet die Angst jedem von uns. In manchen Situationen scheint sie uns zu schwächen und zeigt uns unsere Grenzen auf. Aber es gibt auch Momente, in denen uns das Überwinden einer Angst stärker macht. Doch wie können wir es schaffen, unsere Ängste zu überwinden?
Wie reagiere ich auf meine Angst?
Bei Ängsten ist es wichtig, dass eine Aufteilung in krankhafte (pathologische) und gesunde (nicht-pathologische) Ängste stattfindet. Eine pathologische Angst beeinträchtigt das Leben stark und geht oft mit einer erheblichen emotionalen Belastung der Betroffenen einher sowie einer bestimmten Anzahl und Art von Angstsymptomen. Bist Du Dir unsicher, ob eine pathologische Angst vorliegt, kann die Beratung eines Psychotherapeuten Aufschluss geben. In Fällen von Phobien und Angststörungen ist es wichtig, sich professionelle psychotherapeutische Hilfe zu suchen, um durch eine Behandlung im Rahmen einer Psychotherapie Genesung zu erfahren.
Klinisch relevante Angststörungen können durch Selbsttherapie nicht immer verschwinden. Wenn Betroffene die Konfrontation allein durchführen, können bestimmte Vermeidungsstrategien, die ihnen oft selbst nicht bewusst sind, dazu führen, dass die Angst sogar noch schlimmer wird. Doch wer unter seinen kleineren, nicht-pathologischen Ängsten leidet und noch Selbstwirksamkeitsspielraum verspürt, kann einige Strategien der Psychotherapie nutzen, um sich von den Beklemmungen zu befreien. Wenn man von Beginn an den richtigen Umgang mit der Angst pflegt, kann außerdem vermieden werden, dass sich eine zunächst klein beginnende Furcht zu einer Phobie entwickelt.
Der Teufelskreis der Angst
In der kognitiven Verhaltenstherapie werden mehrere zentrale Schritte gegangen, um eine Angststörung zu bekämpfen. Je nach Art der Angststörung gibt es – abgesehen von der klassischen Vorgehensweise – zusätzlich individuelle Herangehensweisen und Therapieschritte. Zu Beginn der Behandlung wird immer eine Psychoedukation durchgeführt. Hierbei erfährt der Betroffene von den Ursachen und Automatismen der Störung. So sollen die Symptome erklärt und normalisiert werden. Der „Teufelskreis der Angst“ der Psychologen Margraf und Schneider wird hierbei genutzt, um den Verstärkungsmechanismus der Angst zu verdeutlichen: Reize aus der Umwelt, wie zum Bei-spiel eine Menschenmenge, werden wahrgenommen und mit Gedanken besetzt. Diese Gedanken können die Einschätzung der Menschenmenge als potentiell gefährlich beinhalten: „Große Menschenmengen, die sind doch unberechenbar. Wenn mir jetzt was passiert, dann hilft mir keiner“.
Auf diese Einschätzung der Gefahr folgt eine bewusste Angst, die mit körperlichen Angstreaktionen, wie etwa verstärktem Herzschlag oder Brustschmerzen, einhergehen. In diesem fatalen Moment schließt sich jedoch der Teufelskreis, denn die körperlichen Angstsymptome werden als Bestätigung des am Anfang stehenden Gedankens der Gefahr interpretiert: „Jetzt passiert es wirklich, ich bin ausgeliefert“. Betroffene sehen den Stimulus für die als gefährlich beurteilten körperlichen Missempfindungen verantwortlich an. Die Missempfindungen sind jedoch nur eine Reaktion auf die Erzeugnisse des eigenen Gedankenkarussels. Im Folgenden wird der äußere Stimulus (hier die Menschenmenge) als tatsächlich gefährlich wahrgenommen. Jede Konfrontation mit dem Stimulus löst die Angstgedanken aus und die körperlichen Angstsymptome setzen ein.
Die Vermeidung als Angstverstärker
Die logische Reaktion auf einen als unangenehm empfundenen Stimulus ist die Vermeidung. Ärgerlicherweise trägt das Vermeiden der Angstsituation dazu bei, die Angst zu verstärken. Dies kann zu einer Chronifizierung der Phobie oder sogar einer Generalisierung führen. Die Mechanismen, die hinter diesem behavioristischen Konstrukt stehen, nennen sich negative Verstärkung und direkte Bestrafung.
Das Weglassen eines negativen Reizes durch Vermeidung – in unserem Beispiel: der Menschen-menge – resultiert in einem Belohnungsgefühl. Dadurch bildet sich jedoch das Verhalten, welches zu dem Belohnungsempfinden geführt hat, noch stärker aus. Wird das Verhalten verstärkt, empfindet die Person bei der nächsten Konfrontation noch mehr Angst, auf die sie wieder mit Vermeidung reagiert.
Bei Konfrontation mit dem Stimulus, der Menschenmenge, erfährt die betroffene Person durch die als negativ empfundenen körperlichen Angstsymptome eine direkte Bestrafung. Anhand dieses Teufelskreises und mit Hilfe des Erkennens der lernpsychologischen Mechanismen hinter dem eigenen Verhalten kann für jede betroffene Person ein individuelles Störungsmodell entworfen werden.
Konfrontation und Vorbereitung
Auch Angst-Tagebücher helfen, das eigene Verhalten zu verstehen und einordnen zu können. Um die Angst zu überwinden, muss man vor allem Folgendes lernen: Das Angstgefühl ist zwar sehr unangenehm, aber es ist nicht gefährlich. Um diesen Gedanken zu festigen, können Verhaltensexperimente durchgeführt werden, bei denen die Angstsymptome künstlich hervorgerufen werden. Atemnot kann durch das Atmen durch einen Strohhalm erzeugt werden. Herzrasen und Schwitzen können zum Beispiel durch sportliche Aktivitäten verursacht werden. Durch diese Experimente trainiert man, die Angst auszuhalten und die Symptome als ungefähr-lich einzustufen.
Zentrales Ziel ist es, dass die Betroffenen ihr Sicherheitsverhalten aufgeben und nicht mehr für die Angstvermeidung belohnt werden, sondern für das Ertragen der Angst. Das Vermeiden der Angst hat einen unmittelbaren Belohnungseffekt. Hält man die Angst jedoch aus, erreicht sie ein Maximum, welches sie für kurze Zeit hält, wonach sie dann aber abschwächt. Man kann üben, bis zu dieser Abschwächung zu warten, bis ein Belohnungsempfinden einsetzt, welches das aushaltende Verhalten verstärkt. Der Lerneffekt ist: Die Angst wird nicht immer schlimmer, wenn ich mich ihr stelle, sondern schwächt nach einiger Zeit ab. Die Furcht vor der nächsten Konfrontationssituation wird dadurch etwas geringer sein und schwindet so von Konfrontation zu Konfrontation.
Bevor jedoch eine Konfrontation mit dem angstauslösenden Stimulus stattfindet, sollte man zu-nächst die Befürchtungen bezüglich der konkreten Situation erarbeiten. Ein Mensch mit sozialer Phobie könnte demnach befürchten: „Wenn ich mit geöffnetem Regen-schirm durch das Kaufhaus laufe, werde ich angestarrt, ausgelacht, beschimpft und angefeindet. Während der Konfrontation konzentriert sich der Patient darauf, kein Sicherheitsverhalten zu zeigen und die Angst auszuhalten. Im Nachhinein nimmt man dann Bezug auf die vorherigen Befürchtungen und vergleicht sie mit dem tatsächlichen Erlebnis. Oft entsteht dadurch ein Realitätsfeedback, das zeigt: Die Erwartungen sind schlimmer als die Realität
Gedanken ändern das Empfinden
Ein weiterer wichtiger Bereich der Verhaltenstherapie ist die „kognitive Therapie“. Oft werden Ängste und Phobien durch falsche Glaubenssätze gespeist. Wenn eine Person mit Platzangst ihr Herzrasen und ihre Brustschmerzen als einen beginnenden Herzinfarkt interpretiert, kann durch das Erkennen der Fehlinterpretation der Teufelskreis der Angst durchbrochen werden. Patienten mit sozialer Phobie besitzen häufig die Auffassung, sie seien inkompetent.
Gleichzeitig unterstellen sie den anderen in ihrer Umgebung eine kritische Grundhaltung und geben der Meinung ihrer Mitmenschen ein besonderes Gewicht. Diese Patienten können daran arbeiten, ihre dysfunktionalen Gedanken und Überzeugungen zu verändern. Sie lernen auch, diese „Denkfehler“ selber zu erkennen, indem sie die eigenen Denkmuster hinterfragen. Oft hilft bei diesem Prozess die Frage: Was würden andere in dieser Situation denken?
Was bringen mir die Strategien?
Viele der oben beschriebenen Strategien werden im Rahmen einer Psychotherapie durchgeführt und sollten auch von einem Psychotherapeuten angeleitet werden. Doch das Wissen um die Dynamiken, die hinter einer größer werdenden Angst stecken und das Bewusstsein um die Verstärkungsmechanismen geben uns auch im normalen Alltag die Möglichkeit, den kleineren Ängsten auf die richtige Weise bewusst zu begegnen und sie im besten Fall zu überwinden. Weitere interessante Informationen zu den verschiedenen Arten pathologischer Angst und warum Angst eigentlich gut ist, findet Ihr in dem Artikel „Phobien – Ein Einblick in die Tiefen der menschlichen Furcht“.
Geli
Ein sehr gut recherchierter und verständlich lesbarer Artikel!
Vielen Dank