Eigentlich schien es, eine nette Zeit zu werden mit anderen Teens auf einer schönen, französischen Insel. Die Sonne glitzerte auf dem Meer. Sie hatten ein leckeres Eis in den Händen. Doch in Wirklichkeit trog der Schein. Was sich eigentlich abspielte und welche Not dabei aufkam, darüber spricht unsere Autorin Frieda mit Toni.
Dieser Artikel handelt von seelischem Leiden. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du wirklich weiterlesen möchtest. Am Ende des Artikels findest du mögliche Hilfsangebote.
Du hast dich als Teenie nach einem anstrengenden Schuljahr auf die Sommerferien in einem Ferienlager gefreut. Wie kamst du auf dieses Freizeitangebot?
Schon während des Schuljahres überlegte ich mir ein Sommerferienprogramm. Da ich mit meinen Eltern nicht mehr wegfahren wollte, kam ich auf die Idee, an einer Freizeit mit Gleichaltrigen teilzunehmen. Da ich untypischerweise noch nichts mit Jungs zu diesem Zeitpunkt anfangen konnte, wollte ich auf eine Mädchenfreizeit gehen. Aufgrund einer zu geringen Teilnehmerzahl kam diese allerdings nicht zustande und es wurde alternativ eine gemischt geschlechtliche Freizeit angeboten. Nach einigem Zögern sagte ich dem Freizeitangebot zu.
Das heißt, du hattest vor dieser Freizeit kein gutes Bauchgefühl, dorthin zu gehen?
Ja, das stimmt. Im Grunde genommen hatte ich davor schon die Erfahrung gemacht, dass auf Freizeiten oft Beziehungen geschlossen werden, die sehr kompliziert sein und das gemeinsame Miteinander erschweren können. Auch war das meine erste Auslandsreise und dann noch mit einer geplanten Dauer von zehn Tagen.
Wie hast du den Beginn der Freizeit erlebt?
Dort angekommen, bezogen wir unsere aufgebauten Zelte, die nach Geschlechtern getrennt waren. Natürlich gab es auch ein Freizeitprogramm und man konnte einen Surfschein über eine Surfschule machen. So waren wir ziemlich gut beschäftigt.
Wann kam der einschneidende Moment, der für dich so vieles verändert hat?
Der kam recht schnell, nachdem ein Mädchen mit einem Jungen eine Beziehung einging, was laut der Freizeitregelung nicht geduldet war. Ein Mitarbeiter suchte das Gespräch mit uns Mädchen und befragte uns über diese Beziehung. Dabei sagte ich einen naiven, aus meiner Warte unbedeutsamen Kommentar, der mich allerdings die ganze Freizeit und darüber hinaus noch verfolgen sollte. Dieser Kommentar entwickelte sich derart zu einem Missverständnis und zu einem Eigenleben, das kaum mehr zu stoppen war und von erwachsener Ebene, den Mitarbeitern, nicht mehr geklärt wurde.
Was ist denn genau passiert?
Das Paar, das sich gegen die Freizeitregelung in eine Beziehung begab, schürte plötzlich großen Hass gegen mich. Es war, als bräuchten sie einen „unschuldigen“ Dritten, auf dem sie ihre Schuld abladen konnten. Jegliche Entschuldigungsversuche meinerseits wurden abgelehnt und ich war richtig gefangen in einer Sackgasse von Schuldvorwürfen und übler Nachrede. Die Gerüchteküche war ordentlich am Brodeln.
Wie hast du dich dabei gefühlt?
Es war wie ein Fallen in ein tiefes Loch ohne Halt. Ich konnte nichts mehr ausrichten, fühlte mich ohnmächtig und wie in die Ecke getrieben. Dann verstärkte sich das Mobbing, indem ich von den anderen Mädchen gemieden und nur noch selten angesprochen wurde. In einer Nacht wurden Bonbons gelutscht und in meinen Schlafsack geworfen, der von ihnen auch sonst als Müllsack benutzt wurde. Ich fühlte mich verachtet und es kam es mir vor, als wüsste keiner mehr so richtig, was die Ursache für diese verzwickte Situation war.
Konntest du etwas dagegen unternehmen?
Ich versuchte ein paar Mal, das Gespräch mit den Mitarbeitern zu suchen, die allerdings auch überfordert waren. Auch war mir klar, dass ein paar Mädchen hätten abreisen müssen, wenn ich von den weiteren Mobbingvorfällen erzählt hätte. So entschied ich mich, zu schweigen, um kein größeres Unheil anzurichten.
Wie ging es weiter?
Ich war sehr angespannt und konnte mit der Situation überhaupt nicht umgehen. Es kam mir alles sehr surreal und wie ein Schock vor. Natürlich war das Ganze auch von Selbstvorwürfen begleitet. Warum hatte ich mich überhaupt zu dieser Beziehung geäußert? Es war für mich das erste Mal in meinem Leben, so eine Ächtung auch von anderen Menschen zu erfahren, so nach dem Motto. „Du bist uncool, mit dir wollen wir nichts mehr zu tun haben.“ Bei Jugendlichen ist das Image und Beliebtheit oft sehr wichtig- Ich kam mir wie ein Makel vor, mit dem keiner mehr etwas zu tun haben wollte.
Konntest du zu deiner Familie oder zu deinen Freunden zu Hause Kontakt aufnehmen?
Nein, das war nicht möglich. Meine Eltern waren sehr beschäftigt zu diesem Zeitpunkt und ich konnte mich mit ihnen über schwierige Themen nicht austauschen. Meine bisherigen Freunde waren ein paar der Mädchen, die mit auf der Freizeit waren. Doch danach wollten sie nur noch auf Abstand mit mir „befreundet“ sein.
Was hast du zu diesem Zeitpunkt über Freundschaft gelernt?
Ich war sehr enttäuscht über meine bisherigen Freundschaften. Es war für mich unerklärlich, wie ein ungeschickter Kommentar nicht zu vergeben sei und wie sich doch alles im Grunde genommen darum drehte, wie „cool“ und beliebt man bei den anderen Teens ist. Innerlich war mein Herz gebrochen und ich bemerkte, wie ich mich immer mehr selbst ablehnte und in eine Sozialphobie rutschte.
Das heißt, das Mobbing hörte mit dem Ende der Freizeit nicht auf?
Diese Hoffnung hatte ich zuerst, da ein paar der Mädchen nicht auf meiner Schule waren. Als ich bei einer Physikstunde aus dem Fenster und sie dort stehen sah, durchfuhr ein Schmerz blitzartig meinen Körper. Ich war wie gelähmt vor Angst. Von diesem Zeitpunkt an waren sie regelmäßig auf meiner Schule. Das ging leider bis zum Abitur so.
Gab es keine Gesprächsmöglichkeiten mit Lehrern, Sozialarbeitern oder anderen, möglichen Unterstützern?
Über Mobbing wurde auf meiner Schule nicht wirklich gesprochen. Da die Art und Weise, wie ich das Mobbing erlebte, sehr subtil war und von außen oft undurchsichtig, hatten die Mädchen ein leichtes Spiel. Ich wehrte mich nicht, weil ich mir irgendwann selbst sagte, dass ich daran schuld sei. Als es mir auch körperlich immer schlechter ging und ich starke Einschlafprobleme hatte, riet mir meine Hausärztin zu einer Psychotherapie. Aber ich hatte kein Vertrauen darin und fühlte mich noch schlechter, weil ich dachte, dass ich so schlimm wäre. Es kamen auch Vorstellungen dazu, dass ich eine Zumutung für mein Umfeld wäre und eine so derartige Belastung, sodass ich über Suizid nachdachte.
Gab es irgendwann einen Wendepunkt?
Ja, aber erst nach Jahren der Aufarbeitung. Und das war dann tatsächlich mit psychotherapeutischer Hilfe, nachdem ich einen Zusammenbruch erlitt. Es war ein langwieriger und schwieriger Prozess des Loslassens, der Selbstannahme und der Vergebung.
Hast du dich auf neue Freundschaften eingelassen?
In der Tat habe ich später, im erwachsenen Alter, neue Freundschaften aufbauen dürfen, die mehr auf Liebe und Annahme basierten. Aber innerlich blüht heute manchmal noch die Angst auf, etwas Falsches zu sagen, was eine heftige Lawine an Schmerz anbahnen könnte.
Was würdest du heute zu den Verantwortlichen dieser Freizeit von damals sagen?
Ich würde sie bitten, Freizeitregeln zu hinterfragen und diese transparenter von Anfang an zu machen. Außerdem wäre ein Gesprächsangebot in der gesamten Gruppe zu bevorzugen, anstatt in Kleingruppen über andere Menschen zu sprechen. Ich hätte mir, als Jugendliche, mehr gewünscht, an die Hand genommen zu werden, was auch Reflexionen oder den Umgang miteinander angeht. In der Jugend war ich orientierungslos und hätte mir erwachsene Hilfe von außen gewünscht.
Willst du ein Wort an andere Betroffene richten?
Wenn du selbst von Mobbing betroffen bist, kann ich dich nur ermutigen, dir frühzeitig Hilfe zu suchen. Jetzt, im Nachhinein, denke ich, dass man nie zu laut um Hilfe schreien kann. Wenn der letzte Schrei nur noch durch einen Suizidversuch ausgedrückt werden kann, ist es wirklich schrecklich. Lasst uns alle achtsamer miteinander umgehen und über diese schwierigen Themen sprechen. Auch finde ich es sehr schade, dass ich durch die Mobbing-Situation oft unter Angst lernte und mich teilweise kaum auf den Unterricht konzentrieren konnte. Das muss wirklich nicht sein!
Ist dir noch etwas wichtig, zu sagen?
Aus heutiger Sicht weiß ich, dass die damalige Freizeitsituation nicht der Auslöser für meine folgenden psychischen Erkrankungen war. Vielmehr war es ein Katalysator und wie ein Nährboden für weiteren Stress. Ich war nicht gut aufgestellt, was meinen Selbstwert oder mein Selbstbewusstsein anging. Ich verstehe heute vielmehr, wie ein gefestigtes Inneres in Resonanz nach außen wirkt. Von daher habe ich immer wieder entschieden, an mir selbst zu arbeiten, anstatt bei anderen die Schuld zu suchen. Dabei ist mir wichtig, mit meinen Gedanken nicht allein zu bleiben, sondern ins Gespräch zu kommen und auch Fragen zu stellen.
Vielen Dank für unser Gespräch!
Mögliche Hilfsangebote findest du bei der bundesweiten Telefonseelsorge (0800 – 1110111 oder 0800 – 1110222), beim Haus- oder Facharzt, in psychologischen Beratungsstellen bei dir vor Ort, in Kliniken mit psychiatrischer Abteilung, bei Ex-In-Genesungsbegleitern oder in Selbsthilfegruppen. Bei akuter Lebensgefahr lautet die Nummer 112 für den Rettungswagen.
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