Unsere Autorin Frieda spricht mit ihrer Freundin Larissa* über ihr selbstverletzendes Verhalten. Sie erzählt von ihren Erlebnissen und gibt uns dadurch die Möglichkeit, ein wenig ihre Welt verstehen zu lernen.
In diesem Beitrag geht es um psychisches Leiden. Wenn du selbst betroffen bist, entscheide, ob du wirklich weiterlesen möchtest. Am Ende findest du mögliche Hilfestellen. Wenn du einen Kommentar schreiben möchtest, freue ich mich sehr.
*Name geändert
Liebe Larissa, kannst du dich an deine erste Verletzung erinnern?
Larissa: Nein, nicht genau. Ich hatte als Kleinkind schon meine „Methoden“, mich zu bestrafen oder mir Gutes zu entziehen. Auf diese Methoden möchte ich aber hier nicht näher eingehen.
Das heißt, du bist mit dem Gedanken aufgewachsen, dich selbst bestrafen zu müssen?
Larissa: Mir ging es besser, wenn ich wieder eine Verletzung hatte. Es beruhigte mich und ich konnte wieder klarer denken. Und ich habe das Verhalten auch passend zu meiner gefühlten Wertlosigkeit empfunden. Irgendwann waren meine Handlungsabläufe automatisiert: Wenn ich mit schwierigen Situationen nicht umgehen konnte, kam es zu den Verletzungen.
Wie hat dein Umfeld auf die Verletzungen reagiert?
Larissa: In der Kindheit und Jugend blieben die Verletzungen weitgehend versteckt und wenn mal jemand hinter die Fassade geblickt hat, habe ich eher Ablehnung erfahren. Im jungen Erwachsenenalter wurde mir öfters gesagt: „Das muss aufhören!“ oder „Das hast du früher doch nicht gemacht!“
Haben dir Psychotherapien oder Klinikaufenthalte geholfen?
Selbst in Kliniken habe ich die Erfahrung gemacht, dass selbstverletzendes Verhalten entweder sofort mit einer Entlassung einherging oder, dass nur wenig Hilfe zur Regulation angeboten wurde. Meistens wurde dann eine Verlegung auf die geschlossene-geschützte Station angekündigt oder man musste einen Vertrag unterschreiben, dass man das Verhalten einstellte.
Das setzte mich immer stark unter Druck. Hinzu kam bei Klinikaufenthalten, dass ich schon unter den Patienten einen kleinen Konkurrenzkampf wahrnahm: „Wer sich am schwersten verletzt hat, leidet am meisten.“ Eine Freundin meinte mal zu mir: „Ja, bei dir sind die Verletzungen ja nicht so schwer wie bei xy. Um dich mache ich mir keine Sorgen.“ Das hat mich ziemlich getroffen, zumal oft genug das Argument betont wird: „Wer sich selbst verletzt, will nur Aufmerksamkeit!“
Wie hast du dir selbst die Verletzungen erklärt?
Larissa: Lange Zeit habe ich mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht. Für mich war es folgerichtig, mich so zu verhalten und öfters bekam ich die Handlung auch nicht aktiv mit. Ich war der Überzeugung, dass die Verletzungen ohne Grund „einfach so“ passieren. Später, in einer Verhaltenstherapie, lernte ich die Auslöser kennen und verstand schon eine gewisse Dynamik dahinter.
In Summe erkannte ich auch, dass die Verletzungen meistens in sehr hohen Druck- und Anspannungssituationen passiert und an bestimmte Ereignisse, wie beispielsweise der eigene Geburtstag, gekoppelt waren. Ich lernte dann in der Therapie zu verstehen, welche Gedanken und Gefühle ich zum Beispiel mit meinem Geburtstag verband oder was ich an den vergangenen Geburtstagen erlebte. Das brachte Licht in mein Gedankenchaos.
Hast du dann gelernt, mit diesen schwierigen Situationen umzugehen?
Larissa: Erst einmal half es, ein Bewusstsein für den aktuellen Anspannungszustand zu schaffen. Ich stand oft neben mir, wodurch ich gar keinen Zugang zu mir selbst hatte. Da lernte ich in der Therapie, mir selbst zu begegnen und bestimmte, schwierig auszuhaltende Gefühle zuzulassen. Nicht selten endete das aber auch anfänglich in Verletzungen. Da braucht es eine Weile, eine Balance in der Therapie zu finden und zu wissen, welche Themen noch zu überfordernd waren.
Hast du erlebt, dass die Verletzungen weniger wurden mit der Zeit?
Larissa: Während der Therapiezeit wurde es teilweise gehäufter, aber mit der Zeit verstand ich mehr die Zusammenhänge und lernte, durch Regulationsmöglichkeiten mit schwierigen Momenten umzugehen. Ich stellte mich gewissen Problemen und erkannte dabei, dass ich fähig war, sie zu lösen. Davor war es oft so, dass schon eine Verletzung passierte und so viel andere Themen auslöste, sodass ich die eigentliche Problematik nicht lösen konnte.
Wie bist du damit umgegangen, wenn du dich verletzt hast?
Larissa: Das kam darauf an, ob ich zu Hause oder in einer Rehabilitationsmaßnahme war. Zu Hause habe ich die Wunden gesäubert und verbunden. Da hat sich immer ein sehr liebevolles Gefühl eingestellt, so als würde sich jemand um mich kümmern. In der Reha-Maßnahme habe ich kurz Bescheid gegeben und die Wunde wurde von den Pflegekräften versorgt. Von den Therapeuten bekommt man dann öfters die Anleitung, ein Protokoll zu führen, in dem man über die Verletzung reflektieren soll.
Wie stehst du heute dem selbstverletzenden Verhalten gegenüber?
Larissa: Es kommt heute noch ab und an vor. Es ist aber viel seltener geworden. Irgendwann ist mir auch bewusst geworden, dass es ein gefährliches Verhalten ist, weil die Verletzungen schwerer werden können. Es wird ja auch von ärztlicher Seite geprüft, ob die Verletzungen einen suizidalen Charakter haben. Das soll dem Eigenschutz dienen. In Summe sehe ich das selbstverletzende Verhalten so, dass im Moment der Verletzung nur noch dieses eine Verhalten zugänglich ist. Man hat noch keine sinnvollen Alternativen gefunden, die in diesem Moment greifen könnten.
Machst du aktiv etwas, um die Selbstverletzungen zu reduzieren?
Larissa: Ja, das ist sehr spannend. Ich war immer sehr gerne im Schwimmbad und habe diese Leidenschaft neu entdeckt. Es war für mich immer klar, dass mit Verletzungen der Eintritt nicht möglich ist. So las ich mir immer wieder die Baderegel durch, wenn die Anspannung in mir stieg. Meistens entschied ich mich dann fürs Schwimmbad.
Das hilft mir bis heute, einigermaßen stabil durch Krisenzeiten zu kommen. Mit Sicherheit könnten auch andere Sportarten helfen, bei denen Verletzungen hinderlich wären. Außerdem rufe ich schneller einen Freud an und bitte um Hilfe, wenn es bei mir brenzlig wird. Sonst schaffe ich oft Abhilfe mit bestimmten Reizen, wie kaltem Wasser, bestimmten Düften oder mechanischen Reizen, wie Igelbällen.
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