Schon immer war ich sehr gut darin, die Verantwortung für meine Probleme in die Hände anderer Menschen zu geben. Dass dies nicht auf Dauer funktioniert, muss ich noch lernen.
In den vergangenen Wochen ging so gut wie alles schief, was schief gehen kann. Ich fühlte mich mit meinem Leben einfach nur überfordert und steckte fest in einer depressiven Episode. Meine Laune wurde zunehmend schlechter, was ich an meinen Mitmenschen ausgelassen habe. Ich habe mich ständig über belanglose Dinge aufgeregt und unnötige Diskussionen begonnen. Gleichzeitig war ich wütend darüber, dass niemand sieht, wie schlecht es mir geht und dementsprechend auch niemand etwas unternimmt. Der Umgang mit mir wurde unerträglich. Schuld daran war aber natürlich nicht ich, sondern die anderen, habe ich mir erfolgreich eingeredet.
Schon immer war ich sehr gut darin, die Verantwortung für meine Probleme in die Hände anderer Menschen zu geben. Es ist schließlich einfacher, andere Menschen für die eigenen Gefühle zu beschuldigen und wütend zu sein, wenn sie einen nicht retten, nur weil man es gerade selbst nicht schafft. Wieso sehen sie nicht wie schlecht es mir geht? Wieso machen sie nichts? Wieso verurteilen sie mich für mein Verhalten, anstatt mir zu helfen? All diese Fragen schwirrten mir in dieser Phase durch den Kopf.
Veränderung bedeutet: Raus aus der „Opfermentalität”
Das Ganze basiert auf der sogenannten „Opfermentalität“, die ich mir über die Jahre angeeignet habe und von der ich mich langsam verabschieden muss. Grundsätzlich basiert diese Denkweise auf der Überzeugung, dass schlimme Dinge immer wieder passieren werden und andere Menschen sowie Umstände dafür zur Verantwortung zu ziehen sind. Demnach macht es gar keinen Sinn, selbstständig etwas verändern zu wollen. Es wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die Ursachen dieser Gedanken sind genauso verschiedene wie die Äußerung. So haben manche Betroffene Manipulation oder Betrug erlebt. Andere wiederum befinden sind in einer Co-abhängigen Beziehung oder haben ein traumatisches Erlebnis hinter sich.
Wenn ich über meine persönlichen Erfahrungen nachdenke, gründet sich mein Verhalten vermutlich darin, dass ich für eine gewisse Zeit von Mitschüler*innen und Freund*innen gehänselt sowie ausgegrenzt worden bin. Darauf folgte eine langwierige Lebensphase, die von sozialen Ängsten und depressiven Episoden geprägt war. Mir ging es also während eines großen Teils meines Lebens schlecht. Ich kannte es nicht anders. Somit ist es nicht verwunderlich, dass ich mich irgendwann in der Rolle des Opfers eingelebt hatte. Es wurde zum Kinderspiel, andere zu beschuldigen und auf jemanden zu warten, der*die mich von meinen Problemen befreit.
Die einzige Person, auf die wir uns verlassen können, sind wir selbst
Generell ist es langfristig schwierig, sein eigenes Leben von anderen Menschen abhängig zu machen. Menschen kommen und gehen. Selbst unser engster Freundeskreis wird sich irgendwann auflösen. In unserer Familie wird es Todesfälle geben. So hart wie es auch klingen mag: Die einzige Person, auf die wir uns wirklich immer verlassen können, sind nur wir selbst.
Das bedeutet nun allerdings nicht, dass wir nicht mehr füreinander sorgen sollen. Ganz im Gegenteil! Selbstverständlich brauchen wir Bezugspersonen, jedoch sollten wir nicht in eine Abhängigkeit geraten. Unser psychisches Wohlbefinden funktioniert nicht wie ein Auto, das in die Werkstatt gebracht und dort von einer anderen Person repariert werden kann. Unsere Mitmenschen können uns zwar das nötige Werkzeug reichen, doch die eigentliche Arbeit muss durch uns passieren. Hilfe ist schön und gut, bringt allerdings nur etwas, wenn wir etwas daraus lernen.
Die Erkenntnis tut weh
Die Erkenntnis ist schwer und tut auch ein wenig weh, doch ich muss mir dessen endlich bewusst werden. Selbstverständlich kann ich meine Mitmenschen für die Probleme in mir verantwortlich machen. Ich kann genauso darauf warten, dass sie mich davon befreien. Dennoch wird sich dadurch nichts an meiner Situation ändern, denn die einzige Person, die für mein Leben verantwortlich ist, bin ich selbst. Niemand sonst.
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