Nach den Attentaten in Paris wurde viel über die Berichterstattung der Anschläge diskutiert. Natürlich kann man kritisieren, aber eine Debatte über Medienberichterstattung nützt dem eigentlichen Problem nichts. Ein Kommentar.
Freitagabend, 13. November 2015, Terroranschläge in Paris. Als mich die Nachricht erreichte, war ich schockiert, fassungslos, ein bisschen, wie gelähmt. Nach dem “Warum?” und “Wieso?” schossen mir Gedanken wie “Warum schon wieder Paris?” und “Wenn es jetzt schon wieder Paris war, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis es auch Berlin oder München trifft.” Kurzum: Ich hatte Angst. Angst, weil Paris geographisch nicht weit von Deutschland entfernt liegt, weil Paris doch im Grunde wie Berlin ist. Dort leben Menschen, die die gleichen kulturellen und moralischen Werte teilen. Ich konnte mich in die Menschen in Paris hineinversetzten, konnte mir vorstellen, dass sowas auch in Köln passieren könnte, wenn ich mit Freunden oder Familie in einem Restaurant zu Abend esse.
#BleuBlancRouge
Nach den Anschlägen in Paris wurde gerade im Internet große Anteilnahme und Solidarität gezeigt. Unter den Hashtags #PrayforParis und #ViveLaFrance wurde den Opfern und Angehörigen Mitgefühl ausgesprochen. Auf Facebook konnte man sein Profilbild mit den französischen Nationalfarben unterlegen lassen. Kaum fingen die Hashtags auf Twitter an zu trenden und die ersten Profilbilder wurden geändert, da wurden die ersten kritischen Stimmen laut. Warum bietet Facebook jetzt ein Tool an, mit dem man sein Mitgefühl für Paris ausdrücken kann, wenn so viele grausame Dinge jeden Tag passieren, dass man eigentlich mehrmals am Tag sein Profilbild in unterschiedliche Flaggen tauchen müsste? Das gleiche galt für zahlreiche Gebäude weltweit: Das Brandenburger Tor in Berlin, der CN Tower in Toronto und auch die Oper in Sydney erstrahlten in bleu, blanc, rouge.
Natürlich spielt räumliche Nähe eine Rolle
Auf einmal war der Terror so nah und Bombenangriffe nicht nur etwas, dass im Nahen Osten passiert. Das Schlimme ist ja: Im Nahen Osten passieren Bombenangriffe und Selbstmordattentate öfter. Darüber wird auch in den Medien berichtet. Im Juli zum Beispiel explodierte eine Autobombe auf einem Markt nahe der irakischen Hauptstadt Bagdad. Medienberichten zufolge gab es über 120 Todesopfer. Der “Islamische Staat” (IS) bekannte sich später zu der Tat. Wenn ein solch grausames Verbrechen verübt wird, dann ist das immer schlimm, egal ob es in Paris, Bagdad oder Beirut passiert. Der springende Punkt ist aber: Wir erwarten es irgendwie. Wir sind abgebrühter, wir wissen, dass es Krieg im Nahen Osten gibt. Da ist ein weiterer Bombenanschlag natürlich Thema, aber nichts, was nicht vorhersehbar war. Und jetzt kann man einwerfen: Paris war auch vorhersehbar, Frankreich steht im Visier des “Islamischen Staats”, weil Frankreich Luftangriffe auf Stellungen des “IS” fliegt. Aber dennoch: Uns Europäer trifft ein solcher Anschlag in Paris mehr, als einer in Bagdad oder Beirut. Das hat nichts damit zu tun, dass wir kein Mitgefühl mit den Menschen dort haben oder finden, dass das weniger schlimm ist. Sondern schlicht und einfach damit, dass Paris näher an Deutschland liegt und dass wir die gleichen moralischen und demokratischen Werte teilen.
Medienberichterstattung
Und deswegen ist es falsch, auf die Medien zu schimpfen und zu behaupten, dass über Paris viel mehr berichtet wird als über Beirut oder Bagdad. Über Beirut und Bagdad wird auch berichtet, nur interessiert es die Menschen nicht so sehr, gemessen an den Leserzahlen der Meldungen über Attentate im Nahen Osten. Aber auch andererseits: Die Nachrichten richten sich danach, was die Menschen interessiert und auch was sie betriftt. Mal ganz runtergebrochen: Wenn ein Mord an einer einzelnen Person in einem kanadischen Dorf passiert, dann ist das eine wichtige Nachricht für die dortige Lokalpresse und natürlich ist es tragisch. Es ist aber keine Nachricht für die Presse in München, Madrid, New York oder Rio. Es findet eine Selektion statt, es wird aussortiert, diskutiert was von Bedeutung ist. Die Journalisten entscheiden, was eine Meldung wert ist und was nicht. Sie entscheiden danach, was für ihre Leser oder Zuschauer interessant ist. Und deswegen hört auf zu moralisieren, dadurch bekundet ihr kein besonderes Mitgefühl, sondern stellt eine Debatte über Medienberichterstattung über das, was im Moment das Wesentliche ist: Den “IS” nicht gewinnen lassen.
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