Mit 29 Jahren beendete Marcell Jansen seine Karriere und sorgte damit teilweise für Unverständnis. Doch Jansen blickte stets über den Tellerrand hinaus und verfolgte schon zu seiner Profizeit Projekte abseits des Rasens. Nun wurde er mit 33 Jahren zum jüngsten HSV-Präsidenten aller Zeiten gewählt.
Marcell Jansens aktive Fußballkarriere begann für heutige Verhältnisse ungewöhnlich – und sie endete auch ungewöhnlich. In Mönchengladbach geboren, spielte er 14 Jahre lang für die Borussia, davon drei Jahre für die Profimannschaft. In 73 Profispielen für die Borussia kam der Außenverteidiger auf fünf Tore, 2005 folgte die erste Berufung in die Nationalmannschaft. Als Nationalspieler war Jansen auch Teil des Sommermärchens 2006, er kam als jüngster Spieler des deutschen Kaders jedoch nur auf einen Einsatz beim Spiel um den dritten Platz gegen Portugal. Und dann ging es weiter nach oben in der Karriere des Marcell Jansen: Mit 22 Jahren folgte er 2007 dem Ruf des FC Bayern, dort war er jedoch nur zeitweise Stammspieler.
„Es war mir immer wichtig, mich mit einem Verein identifizieren zu können“
Nach nur einer Saison inklusive dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft sowie des DFB-Pokals bei den Münchnern wechselte er dann zum Hamburger SV, wo er seine neue sportliche Heimat fand und sieben Jahre blieb. Er tat diesen Schritt zu Zeiten, als der HSV noch ein Anwärter auf die oberen Plätze der Bundesliga war, und kam mit den Rothosen 2009 sogar ins Halbfinale der Europa League, wo es jedoch ein bitteres Ausscheiden gegen den ewigen Kontrahenten Werder Bremen gab. In der kommenden Saison erreichte er mit den Hamburgern erneut das Halbfinale, und erneut verlief dieses denkbar knapp: Nach einem 0:0 im Hinspiel gegen den FC Fulham gab es ein 1:2 im Rückspiel. Besonders bitter: Das Finale der Europa League fand in Hamburg statt, die Chance auf ein Heimspielfinale war also vertan. In den folgenden Jahren folgte der schleichende Niedergang des Bundesliga-Dinos, der ihn in der Saison 2013/2014 erstmals in die Relegation führte.
Sportlich gesehen war der Wechsel zum HSV für Jansen, der 2014 sein letztes Länderspiel bestritt, also ein Rückschritt, doch es gibt ja noch mehr im Leben als Pokale und Meisterschalen. „Es war mir immer wichtig, mich mit einem Verein identifizieren zu können“, sagt Jansen heute. Er begründet damit auch den Schritt, den er im Juli 2015 mit 29 Jahren vollzog: seine Karriere zu beenden. „Wer so etwas macht, hat den Fußball nie geliebt“, zeigte Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler damals sein Unverständnis. Jansen entgegnete in einem sozialen Netzwerk, nach zwölf Jahren Profi-Fußball den Sport als sein Hobby zurückhaben zu wollen. Denn: „Der Fußball, den ich liebe, der wird überall gespielt“ – sei es Kreisliga oder Bundesliga.
Vom Fußballer zum Unternehmer
Schon zu Spielerzeiten war Jansen ein Profi, der über den Tellerrand hinausblickte und Projekte abseits des Rasens verfolgte. Als er vor der Entscheidung stand, seine unternehmerischen Ideen weiterzuverfolgen oder noch ein paar Jahre im Ausland zu kicken, entschloss er sich für die Karriere im Hemd statt Trikot. Heute beteiligt sich der 32-Jährige an Startups, arbeitet als Testimonial für einen Wettanbieter und hat sich einen Traum erfüllt: Anfang 2018 wurde die Social-Media-App „Picue“ veröffentlicht, es war die Idee, die Jansen schon zu Spielerzeiten beschäftigt hatte. Die App funktioniert wie eine Art Gruppenchat, in der die Nutzer besondere Momente mit ausgewählten Nutzern teilen können. Zudem können die Nutzer berühmten Personen folgen.
Den Kontakt zum Fußball verlor Jansen jedoch nie, und so war es nur folgerichtig, dass er im Februar 2018 in den Aufsichtsrat der HSV Fußball AG gewählt wurde. Dass er Spaß an der Aufgabe hatte, zeigte sich schnell, und so kamen Ende 2018 die ersten Gerüchte um eine Kandidatur als HSV-Präsident auf. Aus Gerüchten wurden Fakten, und aus der Kandidatur wurde ein Amtsinhaber: Im Januar 2019 wurde Marcell Jansen mit 33 Jahren als jüngster HSV-Präsident aller Zeiten gewählt. „So nervös war ich zuletzt bei Europacupspielen oder Relegationskämpfen für unseren HSV“, sagte Jansen bei seiner Bewerbungsrede, und überzeugte damit schließlich die anwesenden Mitglieder. Mit 799:489 fiel die Wahl gegen seinen Konkurrenten Ralph Hartmann sogar deutlich aus. Jürgen Hunke, der eigentlich auch antreten wollte, zog seine Kandidatur kurz vor der Abstimmung zurück. „Wir brauchen eine Leistungskultur in unserem Verein. Es reicht nicht, nur in unserer schönen Stadt zu leben, sondern wir müssen auch erfolgreich sein“, sagte Jansen nach seiner Wahl. Vom Hamburger SV als erfolgreichen Verein zu träumen, erscheint ungewöhnlich. Doch eben diese Eigenschaft ist halt Marcell Jansens Sache.
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