Mit dem Night Court macht New York seinem Spitznamen als Stadt, die niemals schläft, alle Ehre. Und nein, dabei handelt es sich nicht um eine neue Szenebar in Lower Manhattan, sondern tatsächlich um das Strafgericht in der 100 Centre Street, nördlich des Financial Districts, vor dem bis um 1.00 Uhr nachts Gefangene angehört und verurteilt werden.
Warum ist das so?
Nach den gesetzlichen Bestimmungen im Staat New York, hat jeder vorläufig Festgenommene das Recht auf eine richterliche Anhörung innerhalb von 24 Stunden nach der Festnahme. Da allerdings in einer Stadt wie New York City täglich hunderte Personen festgenommen werden, reichen die normalen „officehours“ tagsüber nicht aus um eine umgehende richterliche Anhörung für jeden von ihnen zu gewährleisten.
Um das Gesetz einhalten zu können, musste also auf die nächtlichen Stunden ausgewichen werden und somit wurde vor über zwanzig Jahren das „Night Court“ ins Leben gerufen. Der Dienst beginnt dabei um 17.30 Uhr – also ungefähr dann, wenn die üblichen Gerichte im Gerichtsbezirk Manhattans schließen – und dauert bis 1.00 Uhr nachts an. Die Fallstatistik ist unglaublich: innerhalb dieser knapp acht Stunden werden jeden Tag (!) ca. 70 bis 90 Fälle abgehandelt. Verurteilungen am Fließband! Das führt zu über 100.000 Fällen pro Jahr – kein Wunder, denn das nächtliche Gericht pausiert nicht einmal an Weihnachten.
„Prime Time Crime Scene“
Ein komisches Bild, das sich einem dort bietet: Der Zuschauerraum ist auf der einen Seite gefüllt mit Angehörigen, die den Angeklagten seelischen Beistand leisten. Auf der anderen Seite sitzen eine Handvoll Touristen, denn das Night Court hat es inzwischen sogar in diverse renommierte Reiseführer geschafft. Der Grund dafür ist, dass es sich bei den nächtlichen Verurteilungen genauso gut um eines der neuesten Off-Broadway-Stücke handeln könnte. Darf ich vorstellen? Die heutigen Protagonisten:
- eine Handvoll lässig wirkender Anwälte in mehr oder weniger schicken Anzügen, die auf ihre Tablets und Laptops starren während sie darauf warten, dass ihre jeweiligen Mandaten die „Bühne“ betreten können,
- ein Staatsanwalt, der im Zweiminutentakt die Anklageschriften vorliest,
- eine Richterin, die zuvor noch lockig flockig in ihren Freizeitklamotten den Gerichtssaal betrat und beinahe als Touri-Zuschauerdurchgegangen wäre,
- ein Dutzend Polizisten, die „Bäumchen wechsel dich“ zu spielen scheinen, so oft wie diese den Saal betreten und wieder verlassen,
- eine Protokollführerin, die von Nagellack inspizieren über Haare richten und den Polizisten “schöne Augen machen” so ziemlich alles veranstaltet, nur kein Protokoll führt
- und dann wären da, last but not least, natürlich die „Hauptdarsteller“, die vorläufig Festgenommenen, die einer nach dem anderen bei Aufruf ihrer Kennziffer (wo sind wir denn hier gelandet?) vor der Richterin erscheinen und auf ihr Urteil warten.
Prostitution – Drogenbesitz – Stalking
Vor dem Criminal Court werden dabei vor allem Vergehen abgehandelt. Das sind in New York alle Taten, die entweder mit Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr abgeurteilt werden können. Goodtoknow: als Vergehen gilt dabei beispielweise auch der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit.
Ferner gehören vor das Criminal Court auch sogenannte „arraignments“. Darunter versteht man die erste richterliche Anhörung nach einer Festnahme, wobei der Richter entscheiden kann, ob der Festgenommene in Haft bleibt oder aber gegen Kaution freigelassen wird. Darüber hinaus können auch Verbrechen abgehandelt werden. Für diese besteht allerdings nur eine vorläufige Zuständigkeit, bis der Fall unter bestimmten Umständen schließlich vor die Grand Jury kommt.
Das heutige Theaterstück stellt dabei eine Komposition aus Drogendealern, Prostituierten und Stalkern dar, von denen viele zu einer Geldstrafe verurteilt und manche auch freigesprochen werden. Auffällig ist, dass die gesamte Prozedur trotz des in Amerika bestehenden commonlawsystems, das sich grundlegend vom deutschen Rechtssystem unterscheidet, dann doch recht bekannt vorkommt. Es ist nur irgendwie amerikanischer: mit einer übertriebenen Anzahl an Polizisten, die übertrieben wichtig dabei aussehen, übertrieben unwichtige Dinge zu tun und Anwälten, die auch aus der neuesten „Law & Order“-Folge entsprungen sein könnten.
Und trotzdem, vom Ablauf passiert ungefähr dasselbe wie vor einem deutschen Gericht, nur eben in Lichtgeschwindigkeit. Denn in der folgenden Nacht warten bereits die nächsten 70 bis 90 Fälle, die die Richterin aburteilen muss. Tauschen möchte man mit ihr nicht unbedingt. Dann doch lieber schnell in die neue Szenebar.
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