Kennst du das? Du sitzt in der S-Bahn und ärgerst dich über den Streit mit deinen Eltern, da bemerkst du auf einmal einen Blick und die Zeit bleibt stehen. Du verlierst jegliches Gefühl und entschwindest in eine andere Welt? Was war das? Ein Erklärungsversuch von Christian Erxleben.
- Sie ist nicht immer einfach und leicht zu verstehen ist sie erst recht nicht. Sie lässt dich frieren, erzittern und eine Gänsehaut bekommen. Zugleich lässt sie dich schwitzen, glühen und strahlen. Die Liebe ist ein Mysterium, das uns Menschen seit Jahrtausenden fasziniert, prägt und regelmäßig zum Verzweifeln bringt. Warum verlieben wir uns in jemanden, den wir erst vor einigen Wochen kennengelernt haben? Warum kann das Glücksgefühl vom Beginn einer Beziehung nicht ewig anhalten? Warum enden einige Beziehungen in Streit und Auseinandersetzungen, andere in Freundschaften? Es sind diese Fragen, die dieser unbeschreibliche Zustand aufwirft.
Zunächst stellt sich die vermeintlich einfachste aller Fragen. Was ist eigentlich Liebe? Wie lässt sie sich definieren, eingrenzen, beschreiben? Einen interessanten Ansatz hat Gustave Flaubert im 19. Jahrhundert gefunden. „Man liebt nur, woran man leidet“, schrieb der französische Schriftsteller. Damit trifft er für mich einen entscheidenden Punkt, den sicherlich viele Menschen ablehnen würden. Selbstverständlich hat die Liebe viel mit Nähe, Wärme, Sicherheit, Geborgenheit oder Glück zu tun. Trotzdem ist es häufig das Gegenteil der aufgezählten Fähigkeiten, Gefühle und Zustände, die zwei Menschen zusammenführen. Es sind die Unterschiede, die uns reizen, den anderen näher kennenzulernen.
Differenzen und Toleranz
Gewisse Gemeinsamkeiten sind die Grundlage einer Beziehung. Stimmt jedoch alles perfekt zueinander, wird sich mit der Zeit ein entscheidender Faktor ändern: Die anfängliche Harmonie verwandelt sich zunehmend in Disharmonie. Es gibt nichts, was für den anderen neu und interessant ist. Es gibt keine Möglichkeiten, sich zurückzuziehen und etwas auf eigene Faust zu entdecken. Schließlich verbindet dich und deinen Partner alles. Es ist nicht die Liebe, die euch stark macht, es ist die absolute Synchronität, die euch letztendlich den Spaß nimmt und somit die Liebe erstickt.
Glücklicherweise finden in den meisten Fällen, sei es durch göttliche Fügung oder Zufall, zwei Menschen zueinander, die sich nicht vollkommen ähneln. Es ist gerade dieser Reiz, dass es auch einigen Stellen reiben kann, der die ersten Treffen mit einem Unbekannten ausmacht. Wie wird er oder sie wohl reagieren, wenn ich von meinen Schwächen, Fehlern und Vorlieben erzähle. Amüsant wird es auch, wenn eine Differenz festgestellt wird. Wie, du magst kein Death Metal? Oder: Du hast eine Katzenallergie? Miezi kuschelt jede Nacht mit mir. Es sind diese kleinen kurzen Momente, die darüber entscheiden, wie die Beziehung zwischen zwei Personen weitergehen kann. Es kann sein, dass der eine Gesprächspartner aufsteht und den Raum verlässt. Ebenso kann ein lautes Lachen ertönen und das Eis ist gebrochen.
Im weiteren Verlauf wird die Liebe eben an diesen Unterschieden wachsen und stärker werden. Für deinen Partner nimmst du Mühen auf dich, die nur durch die Kraft der Liebe bewältigt werden können. Du überwindest deine Ängste und erlebst mit deiner Anvertrauten Augenblicke, die du alleine in dieser Form nicht erfahren hättest. Provokant ausgedrückt ist Liebe für mich Hass! Nur durch die scheinbar unvereinbaren Probleme, die uns voneinander „trennen“, können wir wirklich zueinander finden. Liebende arbeiten an den Problemen. Man versucht auf den Partner zuzugehen, sich zu motivieren etwas Ungeliebtes zu tun, um dem anderen eine Freude zu machen. All diese Bemühungen tragen zu einer starken Liebe bei. Und letztendlich kann durch den stetigen Kampf mit Ängsten und Freuden ein Bund geschaffen werden, der nicht mehr zwischen gut und schlecht unterscheidet. Schließlich sind das nur bürgerliche Kategorien, die in den Sphären der Liebe irgendwann unbedeutend erscheinen.
Werbung und Wirtschaft zerstören die Ehe
Immer, wenn ich meine Eltern sehe und beim Nachdenken feststelle, dass sie seit mehr als 25 Jahren glücklich verheiratet sind, stellt sich mir eine Frage: Wieso ist es für unsere Generation so schwer, den Bund des Lebens für mehr als fünf oder zehn Jahre aufrechtzuerhalten? Während 1960 nur 10,7 Prozent der Ehen geschieden wurden, waren es 2012 erschreckende 46,2 Prozent. Wie kann sich die Quote der Menschen, die sich nicht mehr lieben, in knapp einem halben Jahrhundert so massiv erhöhen? Die Gründe dafür sind nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich zu suchen.
Es mag sein, dass die Menschen in einer Liebesbeziehung schneller unglücklich werden, weil sich die Gesellschaft im digitalen Zeitalter stark verändert hat. Der Grund für mehr Auseinandersetzungen, Affären und Scheidungen liegt meiner Meinung nach jedoch in der Wirtschaft. Diese vermittelt uns in zahlreichen Werbeclips, die längst nicht mehr nur nach 24 Uhr zu sehen sind, sondern auch schon am Nachmittag über die Bildschirme flimmern, dass die nächste Bekanntschaft nur einige Meter entfernt auf ihrem Sofa liegt und auf einen neuen Liebhaber wartet. Durch das steigende Angebot und die stetige Präsenz von Dating-Börsen und Apps wird der Mensch dauerhaft Druck ausgesetzt. Du bist unzufrieden? Gleich nebenan findest du jemanden, mit dem du glücklich werden kannst.
Normalerweise hat solch ein billiges Angebot keine Chance gegen die mächtigen Gefühle, die ein Kuss zwischen zwei Liebenden freisetzen kann. Doch der Mensch ist schwach. Er ist ein Sklave seiner Lust. Deswegen gibt er seinen Fantasien immer öfter nach und bemerkt erst, wenn es zu spät ist, wie groß der Fehler ist, den er begangen hat.
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