„Jedes Leben ist von innen her gesehen nichts weiter als eine Kette von Niederlagen.“ (Orwell, George)
Auch wenn Willy Brandt in vielen Nachlässen und Biografien als heroischer Charismatiker dargestellt wird, kann man auch die Niederlagen und Rückschläge in seinem Leben nicht verleugnen, die ihn nur allzu häufig in tiefe Depressionen stürzten. Von allen Seiten trafen ihn Vorwürfe, egal was er tat. Wenn man heute Angela Merkel auf einem CDU-Parteitag zu Gesicht bekommt, hat man schnell das Gefühl, sie hätte Geburtstag und all´ die netten Damen und Herren der politischen Bühne freuen sich mit ihr. Es duftet nach Harmonie, Freundschaft und absoluter Loyalität. Wenn man im Gegensatz dazu die Stimmung in der eigenen Partei gegenüber Willy Brandt zu seinen besten Jahren wahrgenommen hatte, so hätte es wohl eher nach Schwarzpulver, Schweiß und Blut gerochen. Egal ob es Franz Neumann während seiner Kandidatur zum Berliner Oberbürgermeister war oder einer der Politikgrößen Helmut Schmidt bzw. Herbert Wehner während seiner Kanzlerjahre. Leicht wurde es Brandt von der SPD nicht gemacht.
Rebellion in der Jugend ist unerlässlich
Aber zurück zum Anfang. Geboren wurde Willy Brandt unter dem Namen Herbert Ernst Karl Frahm 1913 in Lübeck. Er ist ein uneheliches Kind, was zu damaligen Zeiten noch ein echtes Problem darstellte. Auch schon seine Mutter Martha musste mit dem gleichen Schicksal leben und so war sein Großvater, der die einzige männliche Bezugsperson Brandts darstellte, auch nicht sein leiblicher Opa. Vielleicht liegen in diesem familiären Chaos schon die Wurzeln für seine späteren emotionalen Schwierigkeiten und Bindungsängste. Brandt vergisst nie seine eigene Herkunft und nimmt auch in späteren Jahren nicht den Habitus eines blasierten neureichen Aufsteigers an.
Sein großes Vorbild war der SPD-Gründer August Bebel, der sich schon früh klar für den Sozialismus bekannte. 1929 tritt der junge Willy im Alter von 16 Jahren in die Sozialistische Arbeiterjugend ein. In den frühen dreißiger Jahren wird Willy SPD-Genosse, doch er sieht sich zu weit links von der Parteispitze und wechselt zunächst in die Sozialistische Arbeiterpartei (SAPD). Er will die Tolerierungspolitik der SPD gegenüber dem damaligen konservativen Reichskanzler Heinrich Brüning nicht akzeptieren und regt sich in diesen frühen Jahren schon mächtig auf. Auch in seiner Abiturarbeit lässt er sich von niemandem seine kritische Schnauze verbieten und stellt in seinem Aufsatz höchst provokant das Schulsystem infrage. Übrigens kommt er damit durch! Später sagt er auch in Hinblick auf seine eigene Jugend: „Man muss junge Menschen rebellieren lassen, sonst kommen sie später nie zur Ruhe. Ich habe mir in meiner Jugend auch keine Vorschriften machen lassen.“
Jahre im Exil
Als 1933 die nationalsozialistische Diktatur mit dem Ermächtigungsgesetz und der Reichstagsbrandverordnung das Fundament ihrer Schreckensherrschaft schwarz auf weiß auf dem Papier festhielten, flüchtete Brandt ins Exil nach Norwegen. Erst hier nimmt er den Namen Willy Brandt an, um sich vor Verfolgungen seitens des nationalsozialistischen Regimes zu schützen. Von Norwegen aus verfasst er unzählige Artikel für die SAPD, bis er 1936 von der Partei nach Berlin delegiert wird, um eine Untergrundgruppe gegen die Nazis zu organisieren. Ein Jahr später reist Brandt nach Spanien, um dort vom brutalen Bürgerkrieg unter Franco zu berichten. Auch hier musste er feststellen, wie deutsche Truppen dem Faschismus die Hand reichten.
Fast möchte man Franz Josef Strauß zurufen: „Ja, das hat der Herr in diesen Jahren getan!“. Der CDU-Politiker ließ sich im Wahlkampf 1961 zu der höchst polemischen Aussage hinreißen: „Eines aber wird man Herrn Brandt doch fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“ Seine Exiljahre werden ihm in seiner politischen Karriere immer wieder zum Vorwurf gemacht, allerdings frage ich mich, warum man sich dafür rechtfertigen sollte, kein Nazi gewesen zu sein!
Berliner Demonstrationen und der Mann des Jahres
Steine fliegen durch die Luft, die Stimmung ist hochgradig angespannt, Berliner Polizisten stehen mit Maschinenpistolen bereit. Auch einige Panzer werden für alle Fälle in Position gebracht. Wir schreiben den 5. November 1956. Über 100.000 Menschen sind auf den Straßen Berlins unterwegs, um gegen die martialische Niederschlagung des Aufstands in Ungarn durch die Sowjets zu protestieren. Es ist ein grauer Tag für die Welt, doch es soll der Wendepunkt für Willy Brandt sein. Mit seinen Worten erreicht Brandt das Volk und schon 1958 wird er zum Oberbürgermeister Berlins gewählt. Schnell wird er zum deutschen Kennedy, der einer der wenigen ist, der sich klar in der Öffentlichkeit gegen den Mauerbau ausspricht.
Nachdem Adenauer schon 1961, trotz seines Schweigens hinsichtlich des Mauerbaus, erneut zum Kanzler gewählt wurde, war Brandts Enttäuschung 1965 zunächst recht groß, dass es auch beim zweiten Versuch nur zur großen Koalition gereicht hat. Doch er nutzt seine Chance, sich als Außenminister in Szene zu setzen und beim dritten Versuch wird er 1969 endlich Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er berührte die Menschen mit großen Gesten. Mit Worten wie „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ oder dem Kniefall am Mahnmal des Ghetto-Aufstands in Warschau, überzeugte er die Öffentlichkeit. Der Spiegel kommentierte später: „Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien – weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können.“
Die Frauen
Willy Brandt und die Frauen, das sind Geschichten für die Boulevard-Presse. Brandt heiratete 3-mal und über zahlreiche außereheliche Affären wurde bzw. wird bis heute viel gemunkelt. Und letztlich wurde der Kanzler von nichts anderem als einer Liste von Frauennamen zu Fall gebracht. Denn mit der sogenannten Guillaume-Affäre wurde bekannt, dass Brandts Referent Guillaume ihm nicht nur Frauen für sein Vergnügen zugeführt haben soll, sondern dieser auch DDR-Spion war. Nachdem sich die Öffentlichkeit über angeblichen Alkoholismus und Frauenaffären echauffierte, trat Willy Brandt als Kanzler ab.
„Nun wächst zusammen, was zusammengehört.“
Mit dem Mauerfall am 9. November 1989 ging Brandts politischer Traum endlich in Erfüllung. Einen Tag später hält der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt eine großartige Rede vor der Schöneberger Rathaus. Er ruft dazu auf, sich einander die Hände zu reichen und macht verständlich, dass die langfristigen Interessen Deutschlands immer auch mit großen Pflichten gegenüber dem europäischen Kontinent einhergehen. Ohne es selbst genau zu wissen, würde ich behaupten, dass Willy Brandt einen Spruch seines Freundes John F. Kennedy überaus ernst genommen hat: „Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen – das eine bedeutet Gefahr, das andere Gelegenheit.“
Schreibe einen Kommentar