„It’s better to burn out than fade away“, schrieb Cobain in seinem Abschiedsbrief. Der Brief war an Boddah adressiert, seinen imaginären Kindheitsfreund, überhaupt hielt er sein Leben lang an seiner idealisierten Kindheit fest. Kurt Cobain war bei weitem nicht der erste Rockstar, der an seinem Ruhm, oder an den Drogen, an dem Druck, der Aufmerksamkeit, der Schnelllebigkeit des Rockstar-Daseins, oder an allem zusammen, zerbrach. Da waren Buddy Holly, Janis Joplin, Elvis Presley, Jimi Hendrix, Sid Vicious, Jim Morrison oder John Lennon. Doch wie der Journalist David Stubbs einmal schrieb, gibt es zwischen dieser Liste und Cobain einen großen Unterschied: Denn Kurt Cobain wollte nicht leben. Er wollte sterben.
Schon mit 13 oder 14 sagte er, er würde sich mit 27 umbringen. So wie Jimi Hendrix. Dass Hendrix an seinem eigenen Erbrochenen erstickt ist, wusste er damals wohl noch nicht. Seinen Plan hat er dennoch in die Tat umgesetzt. Doch was war es, das Cobain an diesem Leben so unerträglich fand, schon seit seiner frühen Kindheit? Vor allem auf dem letzten Nirvana-Album „In Utero“ setzt Cobain in seinen Texten immer wieder Geburt und Tod gewissermaßen in eine untrennbare Symbiose miteinander. Wie „umbilical noose“ in Heart-Shaped Box oder Pennyroyal Tea, ein Abtreibungsmittel. „Give me Leonard Cohen afterworld, so I can sigh eternally“, fleht Cobain da. Schon der Titel des Albums kann vielleicht als Cobains ultimativer Wunschtraum verstanden werden: Ein Weg zurück in den Mutterbauch. Doch den gab es nicht. Also ging Kurt Cobain letzten Endes in die andere Richtung, um diesem Leben zu entkommen.
‘I found my friends – they’re in my head“
(Aus: „Lithium“)
Kurt Cobain wird meistens als die Verkörperung des fragilen, depressiven, latent unglücklichen Außenseiters gesehen. Oder wie er selbst es einmal ausdrückte: „I’m thought of as this pissy, complaining, freaked-out schizophrenic who wants to kill himself all the time.“ Seine Realität war wohl vielmehr ein ständiges Schwanken zwischen den Extremen, zwischen Schwarz und Weiß, innerer Leere und Euphorie, zwischen Depression und Manie. Wenn er liebte, liebte er extrem: „I love you so much it makes me sick“ (aus: „Aneurysm“), wenn er hasste, dann hasste er ebenso extrem. Wie die Welt, die Gesellschaft in der er lebte. Cobain selbst erzählte seinem Biograph Michael Azerrad, er sei mit neun Jahren manisch depressiv geworden. Als Kind war er hyperaktiv und wurde mit Ritalin behandelt.
Er war nicht immer nur traurig und in sich selbst verkapselt. Er konnte auch lustig sein, Spaß haben. Seine Freunde beschrieben ihn als einen der lustigsten Menschen, den sie kannten. Ebenso wie alles was er tat, war auch sein Humor von einer tiefen, satirischen, auch schwarzen Art. Auch hier spiegelte sich Kurt Cobains tiefes Verständnis von den Abgründen der westlichen Gesellschaft und der menschlichen Psyche als solche. Wenn man eines über Kurt Cobain mit Sicherheit sagen kann, dann, dass er nichts ohne Grund tat. Er war authentisch in dem, was er sagte und tat. Und gefiltert durch seine manischen Depressionen war alles an ihm wohl umso intensiver und unausweichlicher. Seine Zerbrechlichkeit ebenso wie seine Wut. Seine Liebe ebenso wie sein Hass. Seine Musik ebenso wie sein Schweigen.
‘I hate myself and I want to die’
(Kurt’s Vorschlag für den Titel des 3. Nirvana Albums ‘In Utero’)
„I think I’m dumb“ singt Cobain in seinem Song ‘Dumb’ – und meint es auch so. Schon als Kind hatte Kurt ein extrem niedriges Selbstwertgefühl. Bei seinen ersten Auftritten mit seinen Bands vor Nirvana und auch noch zu Beginn von Nirvana konnte er kaum in Richtung seines Publikums schauen. Er spielte, sang und schaute auf den Boden. Als wollte er gar nicht gesehen werden. Als er noch in der High-School war, wollte Kurt einmal bei den Melvins als Gitarrist vorspielen. Der Versuch endete damit, dass er einen hochroten Kopf bekam und wie versteinert dastand, ohne auch nur einen Ton zustande zu kriegen.
Mit der Zeit fühlte Kurt sich immer mehr entfremdet von seiner Umwelt und den Menschen in Aberdeen. „I wanted to be from another planet really bad… I knew that there were thousands of other alien babies dropped off and they were all over the place and that I’d met quite a few of them“, sagte er einmal in einem Interview. Kein Wunder, dass er mit der ganzen Aufmerksamkeit, den Erwartungen und dem Ruhm durch den Erfolg von Nirvana nie wirklich fertig wurde. Er wollte nicht gesehen werden, aber die ganze Welt schaute plötzlich auf ihn. Er hatte viel zu sagen, doch er hätte nie geglaubt, dass so viele es hören wollen würden. Er hasste den Mainstream, doch auf einmal war Nirvana der Mainstream. Wie Michael Stipe von REM es ausdrückte: „Nirvana didn’t go mainstream, the mainstream became Nirvana.“ Und Kurt Cobain ertrank letzten Endes darin.
‘I’m on warm milk, laxatives, cherry-flavored antacids’
(Aus: „Pennyroyal Tea“)
Immer wieder litt Cobain an schlimmen Bauchschmerzen; seine Magenschleimhaut war entzündet und feuerrot. Wenn es besonders schlimm war, konnte er kaum essen oder etwas bei sich behalten. Doch obwohl er jahrelang immer wieder die verschiedensten Ärzte aufsuchte, konnte ihm keiner sagen, was die Ursache seiner chronischen Schmerzen war. Cobain selbst schlug irgendwann vor, die mysteriöse Krankheit nach ihm, „Cobains-Disease“ zu taufen. Besonders auf den monatelangen Touren der Band wurden die Schmerzen schlimm. Kurt sagte, sie haben der Wut, die in seinen Songs zum Ausdruck kommt, noch weiteren Brennstoff geliefert. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und begann Heroin zu nehmen. Nach eigener Aussage, um die Symptome seiner Krankheit zu lindern, da nichts anderes half.
‘I’m a negative creep – and I’m stoned’
(Aus: „Negative creep“)
Wie die meisten Drogengeschichten begann auch die Kurt Cobains mit Gras. Praktisch seine gesamte High-School-Zeit – bis er die Schule im letzten Schuljahr schließlich abbrach. Dann begann er auch mit härteren Drogen herumzuexperimentieren. Noch bevor es Nirvana überhaupt gab, nahm Kurt zum ersten Mal Heroin. Später sagte er zu seinem Biographen Michael Azerrad: „Es machte mir Angst. Aber ich wusste, dass ich es einmal tun würde.“ Kurt nahm die Opiate vor allem, um, wie er sagte, für ein paar Tage eine Pause von seinem Hass gegenüber den Menschen und seiner Umgebung zu entkommen. „Ich bekam ein bisschen Gefühl für sie und konnte zumindest ein Stück hinter ihre Fassaden blicken und sie als wirkliche Menschen betrachten. […] Das war nötig, weil ich davon müde war, andauernd nur zu hassen.“ Dennoch versuchte Cobain, den Missbrauch von Drogen nicht zu glorifizieren. „I chose to do drugs. I don’t feel sorry for myself at all, but I have nothing good to say about them. They are a total waste of time“, sagte er in einem Interview.
Wirklich abhängig von der Teufelsdroge Heroin wurde er jedoch erst später, als er durch Nirvana massenhaft Geld zur Verfügung hatte. In Interviews leugnete er immer wieder, abhängig zu sein. Er sagte, er benutze das Heroin als Medikament gegen seine chronischen Magenschmerzen. Wie mir scheint: Typisches Suchtverhalten. Er benutzte jede Ausrede, um weiter Heroin nehmen zu können. Auch nachdem seine Tochter Frances Bean geboren wurde, schaffte er es nicht, von der Teufelsdroge wegzubleiben. Und das begann schließlich, sich auf seine Gesundheit auszuwirken: er kämpfte mit Gedächtnisschwierigkeiten, vergaß oftmals seine eigenen Songtexte oder die Akkordabfolgen, immer häufiger brach er auf Konzerten zusammen. Wie in eigentlich jedem Fall einer Drogensucht zogen sich auch Cobains Freunde und Bandmitglieder immer mehr von ihm zurück, sie wussten nicht, wie sie mit seiner Sucht umgehen sollten.
Hinzu kam der Kampf von Kurt und Courtney um das Sorgerecht für ihre Tochter Frances, nachdem sie dieses aufgrund von in der Zeitschrift VanityFair veröffentlichten Gerüchten, Courtney habe während ihrer Schwangerschaft Heroin genommen, entzogen bekamen. 1994 versuchten seine Ehefrau Courtney Love, Freunde und Familie ihn durch eine Intervention zu überzeugen, einen Entzug zu machen. Courtney drohte, sie würde sich sonst scheiden lassen und ihm Frances wegnehmen. Kurt ging ihn eine Entzugsklinik in Kalifornien, brach jedoch nach nur wenigen Tagen aus. Ein paar Tage später war er tot.
‘Throw down your umbilical noose so I can climb right back in’
(Aus: „Heart-Shaped Box“)
Am 8. April 1994 entdeckte ein Elektriker Kurt Cobains Körper im Gartenhaus der Villa, die Kurt mit seiner Frau Courtney und deren 20 Monate alten Tochter Frances Bean bewohnte. Eine Schrotflinte lag auf seiner Brust, der Lauf zeigte in Richtung seines Gesichtes. Neben seinem Körper lagen ein Abschiedsbrief und sein Führerschein. Anders hätte man ihn wohl kaum noch als Kurt Cobain erkennen können. Definitiv konnte er nur noch durch einen DNA-Abgleich identifiziert werden. Die Forensiker vermuteten den Zeitpunkt seines Todes am 5. April 1994, drei Tage bevor er gefunden wurde. In seinem Blut wurden Spuren von einer extrem hohen Dosis Heroin und Valium gefunden.
Nur sechs Wochen zuvor hatte Cobain bereits in Rom versucht, sich durch eine Überdosis an Beruhigungsmitteln das Leben zu nehmen. Seine Frau fand ihn bewegungslos auf dem Boden des Hotelzimmers liegen, das Gesicht völlig blau. Er lag mehrere Tage im Koma. Bei dem zweiten Versuch wollte er wohl auf Nummer sicher gehen, nicht mehr aufzuwachen. In seinem Abschiedsbrief heißt es:
„I haven’t felt the excitement of listening to as well as creating music along with reading and writing for too many years now. I feel guilty beyond words about these things […] The worst crime I can think of would be to rip people off by faking it and pretending as if I’m having 100% fun. […] I don’t have the passion anymore, and so remember, it’s better to burn out than to fade away.“ Courtney Love kommentierte das so: „Nein du A****, das schlimmste Verbrechen ist es, ein verdammter Rockstar zu bleiben, wenn du es hasst!“ Er hinterließ seine damals 20 Monate alte Tochter Frances Bean Cobain. In seinem Abschiedsbrief schrieb er, er wolle nicht, dass sie mit so einem kaputten, destruktiven Vater aufwachsen müsste; „Frances and Courtney, I’ll be at your altar. Please keep going Courtney, for Frances – for her life which will be so much happier without me.“ Ich glaube nicht.
Das Ende von Kurt Cobain sollte als Warnung gelten. Schon Jahre vor seinem brutalen Selbstmord gab es viele Anzeichen, dass Cobain dringend psychologische Hilfe gebraucht hätte. Doch wegen seines enormen Erfolges wurden diese Anzeichen praktisch unter dem Haufen Geld, das er machte vergraben. Seine Plattenfirma verbot Courtney zuzugeben, dass die Überdosis in Rom ein ernsthafter Selbstmordversuch gewesen war.
Kurt Cobain ist nicht als Rockstar gestorben, sondern als Mensch, dessen verzweifelte Hilfeschreie jahrelang überhört wurden. Wenn man etwas Positives aus diesem schrecklichen Verlust ziehen will, dann vielleicht die Lehre, genau hinzuhören. Es könnte ein Leben retten.
„The words kept getting smaller and smaller
Until
Separated from their music
Each letter spilled out into a cartridge
Which fit only in the barrel of a gun
And you shoved the barrel in as far as possible
Because that’s where the pain came from
That’s where the demons were digging
[…]
That is always the cost
As Frank said,
Of a young artist’s remorseless passion
Which starts out as a kiss
And follows like a curse.
– Zitiert aus ‘8 Fragments for Kurt Cobain’ von Jim Carroll
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