Wie funktioniert der Sozialismus in Kuba? Und wie kommt es, dass ein Taxifahrer in Kuba mehr verdient als ein Arzt? Im Oktober 2017 reiste ich für drei Wochen nach Kuba, um an einer Sommeruniversität der Universität Havana teilzunehmen. Während meiner Reise lernte ich viele Kubaner sowie das kubanische System näher kennen und möchte in diesem Bericht meine Erkenntnisse zusammenfassen.
„Havanna hätte niemand erfinden können. Dazu ist es zu gewagt, zu widersprüchlich und einfach viel zu schön.“ – Die ersten Worte meines Reiseführers, die meinen kompletten Aufenthalt in Kuba wiederspiegeln.
Das System Kubas
Wenn man auf der Straße oder in der Universität nach dem System Kubas fragt, bekommt man ausschließlich eine Antwort: „Im Übergang zum Sozialismus. Wir sind noch kein sozialistischer Staat, jedoch auf dem Weg zu einem. Solch ein Prozess dauert mehrere Jahrzehnte“, erklärt mir Henry, mein Professor an der Universität Havana. Er selber ist stolzes Parteimitglied der Einheitspartei „Kommunistische Partei Kubas“ (Partido Comunista de Cuba, abgekürzt PCC). Die Position Professor ist jedoch nicht der Deutschen gleichzusetzen. In Deutschland ist der Weg dorthin lang, steinig und schwer planbar. In Kuba wiederum ist jeder Lehrer an einer Universität automatisch Professor. So kam es, dass Laura und Henry, zwei Professoren schätzungsweise Anfang 30, sich bereit erklärten, uns Einblicke in den kubanischen Sozialismus zu geben.
„VIVE EL SOCIALISM“
Ein Hauptmerkmal des Sozialismus ist die soziale Gerechtigkeit und Gleichbehandlung aller Bürger. Keiner soll benachteiligt beziehungsweise bevorzugt werden. Dies ist deutlich erkennbar im kubanischen Bildungssystem. Egal an welchen Ort Kubas gereist wird, alle Schüler/innen tragen die selbe Schuluniform. Lediglich die Farbe dieser verändert sich mit dem Alter der Schüler/innen – ebenfalls im gesamten Land. Auf die Frage, ob Lehrer/innen einen gewissen Grad an Freiheit haben, Lehrmaterialien und Unterrichtsstoff selbst auszusuchen, wird nur gelacht. National wird dasselbe im Unterricht durchgenommen sowie dieselben Bücher genutzt. Diese wurden selbstverständlich zuvor vom Staat ausgewählt. Unterrichtseinheiten sollen so gut wie möglich zeitgleich unterrichtet werden, sodass ein/e Schüler/in ohne Probleme von einer Provinz Kubas zur nächsten ziehen kann, ohne ein Kapitel eines Unterrichtsfaches überspringen zu müssen. So wird garantiert, dass jedes Kind Kubas die selbe Bildung erhält. Die Enkelkinder Fidel Castros erhalten dadurch die selbe Bildung wie die Söhne und Töchter der Arbeiterklasse Kubas. Bildung kann nicht erkauft werden und ist nicht abhängig von dem Gehalt der Eltern.
Um die Gleichberechtigung Kubas auch nach dem Erlangen eines Bildungsabschlusses aufrecht zu erhalten, verdient jeder kubanische Bürger, der für den Staat arbeitet (etwa 85 Prozent aller Bürger), etwa gleich – unabhängig vom Beruf, der Position oder dem Bildungsgrad. Monatlich bekommt jeder Staatsbedienstete bis zu 28 CUC (dem US Dollar gleichgesetzt). Genaue Angaben zum Einkommen sind vom Staat geheim gehalten. Zudem bekommt jeder Kubaner monatlich rationiert bestimmte Lebensmittel vom Staat. Mit der sogenannten „Russian Card“ (Russische Karte) können sich die Bürger monatlich an der „Bodega“ (übersetzt: Vorratskammer) Güter wie Reis, Bohnen, Zucker, Salz etc. abholen. Kinder bis zu sieben Jahren bekommen zudem etwas Milch. Wasser soll selbst abgekocht werden. So versucht der Staat, den Bedarf an Lebensmitteln der kubanischen Bürger/innen abzudecken.
Wie kann es dennoch sein, dass auf der Strasse gebettelt wird und viele Bürger/innen Kubas hungern?
„Die rationierten Portionen decken höchstens 30 Prozent des Bedarfes eines Menschen ab“, erklärt Laura (Professorin an der Universität Havana). Der restliche Bedarf muss selbst finanziert werden. Dies ist jedoch teurer als die ca. 28 CUC (oder weniger), die ein Kubaner vom Staat erhält.
Es scheint mir seltsam, dass die Staatsbediensteten mit bis zu 28 CUC überleben, während ein Tourist für eine dreistündige Taxifahrt 20 CUC bezahlt. Und das in einem sogenannten „Taxi Collectivo“ (Kollektivtaxi). Im selben Taxi sitzen sieben weitere Reisende – das macht 160 CUC für den Taxifahrer in nur drei Stunden. Weit mehr als das Gehalt eines Staatsbediensteten.
Der private Sektor Kubas
Dieser Gehaltsunterschied ist dem kleinen, jedoch wachsenden Kapitalismus Kubas zuzuschreiben – dem privaten Sektor. Hier sind knapp zehn Prozent der Kubaner tätig. Vor allem profitieren sie vom wachsenden Tourismus des Landes. Teil des Sektors sind vor allem Taxifahrer und KellnerInnen. Sie verdienen weit mehr als Ärzte oder Doktoren des Landes, und das, obwohl letztere jahrelang studierten. Oft werden Juristen oder Bürger mit abgeschlossenem Medizinstudium im privaten Bereich tätig, um ein höheres Gehalt zu bekommen. So treffe ich oft Lehrer oder Universitätsprofessoren, die auf der Straße ihre Bilder oder kitschige Souveniers verkaufen, anstatt zu unterrichten.
Wie kann der kubanische Staat diesen Kapitalismus zulassen?
Eine richtige Antwort bekomme ich auf diese Frage leider nicht. „Manchmal muss man den Menschen auch ein bisschen von dem geben, was sie glücklich macht“, erklärt Henrz. Man soll also ein wenig von dem befeindeten Kapitalismus zulassen, damit genau dieser Teil ein bisschen Glück und Zufriedenheit bringt? Eher widersprüchlich.
Wer in Kuba “gut verdient” muss allerdings mit hohen Steuern rechnen. Ab 2000 CUC im Jahr muss ein Kubaner mit dem Höchststeuersatz von 50 Prozent rechnen. Dennoch verdienen Arbeiter des privaten Sektors weit mehr als Staatsbedienstete.
Jedoch gibt es laut kubanischen Statistiken nur 3,4 Prozent Arbeitslosigkeit (vgl. Deutschland 5,7% (Stand: August 2017)). Einige der Bürger, die für den kubanischen Staat arbeiten, müssen trotzdem auf der Strasse betteln. Oft jedoch nicht um Geld, sondern um Kleidung oder ein Stück Seife. Diese Güter sind nicht nur verhältnismäßig teuer, sondern auch schwierig zu finden. Eine Kubanerin erzählt uns auf der Straße, wie sie mit nur zwei T-Shirts und einer Hose lebt – sie arbeitet Vollzeit.
Prinzipiell ist es eher kompliziert, in Kuba Lebensmittel zu kaufen. Die Supermärkte führen selten mehr als zehn verschiedene Güter – ein Gut ist immer Rum. Diesen gibt es im großen Vorrat. Die ersten Tage versuchte ich noch, selbst Lebensmittel zu finden, um zu kochen. Nach einem Gespräch mit einer Kubanerin auf der Straße, die mir erzählt, dass ein Einkauf für ein Mittagessen bis zu drei Stunden dauern kann, bis man alle Güter in verschiedenen Märkten und Läden gefunden hat, entscheide ich mich aber doch lieber für die Restaurants.
Kubas Währungen
Prinzipiell werden in Kuba zwei Währungen genutzt: eine für die Einheimischen und eine für Touristen. Der CUC (Peso Convertible), welcher dem US Dollar gleichgesetzt ist, ist die einzige Währung, die Ausländer an Geldautomaten bekommen können. Um günstige Produkte, etwa auf dem Markt oder an Straßenständen zu erhalten, wird jedoch CUP (Peso Cubano) benötigt. 24 CUP ergeben etwa einen CUC. Nach einigen Tagen auf Kuba erhielt auch ich CUP und konnte mir für – in Euro umgerechnet – wenige Cents Früchte auf dem Markt kaufen. Güter und Dienstleistungen (wie etwa Taxifahrten), die nur in CUC zu erwerben sind, sind selbstverständlich um einiges teurer – sie sind nunmal Luxusgüter für Kubaner und daher vorerst für Touristen.
Zudem gibt es oft Preisunterschiede für Touristen und Kubaner. So zahlt ein Ausländer in Kuba etwa einen CUC Eintritt in ein Museum, während der Kubaner 30 Cent eines CUP zahlen muss. Auch wenn ein CUC für die wenigsten Touristen schmerzhaft ist, ist dies doch eine Form der Diskriminierung gegenüber Nicht-Kubanern und spricht gegen die reine Form des Kommunismus. Eine Währung für arm (CUP) und reich (CUC) zu schaffen, führt zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Dass Touristen einen anderen Preis als Einheimische zahlen, wird besonders in einem Beispiel deutlich: Flüge. Für denselben Flug innerhalb Kubas zahlt ein Tourist 130 CUC, ein Kubaner dagegen 7,50 CUC. Die Spaltung zwischen Touristen und Einheimischen wird noch deutlicher im Kubanischen Busverkehr. Ein kubanischer Bus für Langstrecken, welcher von Touristen nicht genutzt werden darf, kostet 66 COP (umgerechnet 2,75 CUC) für eine Strecke von etwa fünf Stunden. Ein Touristenbus, beziehungsweise der Bus für wohlhabende Kubaner, kostet für die selbe Strecke etwa 25 CUC.
Kuba – eine Reise wert?
Kuba ist ein Land von Schönheit und zur selben Zeit des Widerspruches. Mein Reiseführer hat Recht behalten. Wohlhabende können hier den schönsten Karibikurlaub verbringen, jedoch sollte man zur selben Zeit nicht die Augen schließen und das Leiden einiger Kubaner übersehen. Man sollte zudem vorab alles wichtige buchen, da es auf der Insel nur sehr beschränkt Internet gibt. Mit dem Reisepass, kann man sich stundenweise Internet kaufen und es an wenigen Hotspots in größeren Städten nutzten.
[…] sozialistische Staaten. Laut kubanischen Selbstverständnis befindet sich die Karibikinsel im Übergang zum Sozialismus. Sie ist noch kein sozialistischer Staat, allerdings ist sie am Weg dahin und der Prozess dauert […]