Schweden rückte in den letzten Wochen und Monaten vermehrt durch Verbrennungen und Schändungen des Korans in den Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit. Der Umgang mit der heiligen Schrift des Islams war ein Grund für Erdogans anfängliche Blockade einer Aufnahme Schwedens in die NATO. Geht das schwedische Verständnis von Meinungsfreiheit zu weit? Ein Kommentar.
Es ist ein sonniger Donnerstagnachmittag in Stockholm. Eine wütende Menschenmenge hat sich vor einer Polizeiabsperrung versammelt. Hinter der Absperrung, geschützt von dutzenden Polizisten, stehen zwei Männer auf einem begrünten Hügel. Einer von ihnen erhebt einen Koran, wirft ihn zu Boden und tritt ihn mit Füßen. Danach putzen sich die beiden Männer die Schuhe mit der irakischen Flagge, die die arabischen Worte „Allahu Akbar“ (zu deutsch: Gott ist am größten) trägt.
Nachdem Schweden bei vielen solcher Aktionen zuvor die Meinungsfreiheit hochgehalten hatte, ermitteln nun die Behörden des skandinavischen Landes wegen Volksverhetzung. Es ist eine schwierige Frage: Darf man religiöse Gefühle zutiefst verletzen, um die eigene Meinung kundzutun?
Das hohe Gut der Meinungsfreiheit
In Schweden galt seit bereits 250 Jahren die Meinungsfreiheit. Sie ist Teil des schwedischen Selbstverständnisses, für das man sogar Spannungen in den internationalen Beziehungen in Kauf genommen hat. Entsprechend gespalten ist die schwedische Bevölkerung gegenüber der Frage, ob Koranverbrennungen diese Meinungsfreiheit abbilden.
Nach dem islamistischen Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ 2015 in Paris meldete sich Papst Franziskus – wie so oft während einer Flugreise – zu Wort. Er verurteilte den Anschlag scharf, erklärte aber auch: „Wenn Dr. Gasbarri [der Reiseorganisator des Papstes, Anm. der Redaktion], mein lieber Freund, meine Mama beleidigt, erwartet ihn ein Faustschlag.“ Dasselbe gelte für die Beleidigung der eigenen Religion. Die Meinungsfreiheit habe Grenzen, so der Papst. Sie würden dort beginnen, wo religiöse Gefühle verletzt würden.
Der fehlende Disput
Das Problem ist, das die Schändungen und Verbrennungen des Korans nicht zu einem Diskurs über den Islam oder Religionen im Allgemeinen geführt haben, sondern zu einer Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit. Die Verbrennung einer heiligen Schrift sagt nichts Anderes aus als: „Ich verachte euch, eure Religion und eure Schrift.“ Dabei ist es gleichgültig, ob man eine Tora, eine Bibel oder eben den Koran verbrennt. Jede Diskussionsgrundlage ist damit zerstört.
Selbstverständlich kann man argumentieren, dass auch der Ausdruck von Verachtung eine freie Meinungsäußerung darstelle. Sie erreicht aber im konkreten Fall nur das Schüren von Hass. Von daher sind die Ermittlungen wegen Volksverhetzung gerechtfertigt.
Wohin führt es, die identitätsstiftenden Gegenstände der gegnerischen Gruppe einfach anzuzünden? Wir Deutschen wissen es. Und Heinrich Heine wusste es schon 1823: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.”
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