Es kann uns überall auf der Welt passieren: Wir finden zu jemandem, lernen ihn oder sie kennen und verlieben uns. Schwierig gestaltet es sich, wenn unser Wunschpartner aus einem anderen Kulturkreis stammt. Sich gegen die Liebe entscheiden. Ein Erlebnisbericht.
Auf einer hüfthohen Mauer sitzend lasse ich das abendliche Bild auf mich einwirken. In den verbliebenen Sonnenstrahlen bilden Wolkenstreifen ein blassrotes Relief am Himmel. Die goldenen Dächer des Königspalastes von Phnom Penh erstrahlen direkt vor mir im künstlichen Scheinwerferlicht. Dutzende Familien sitzen lachend auf den davor angelegten Rasenflächen. Touristen wuseln dazwischen umher und werden von den Tuk-Tuk-Fahrern regelrecht belauert, während von den Straßenrändern die Gerüche der Garküchen locken. Auf einem großen, goldumrahmten Plakat wacht das Konterfei des kambodschanischen Königs auf seine Untertanen. Smog zeigt sich in den Lichtkegeln der Straßenlaternen als nebelartiger Schleier in der tropisch heißen Luft. Hinter mir fließt der Mekong als graubrauner Strom gemächlich in Richtung Osten. Ich drehe meinen Kopf zur rechten Seite und schaue direkt in ein vertrautes Gesicht. Die junge Frau, die da auf der Mauer sitzt, ist klein und zierlich. Kräftiges schwarzes Haar, mandelförmige Augen und bronzene Haut weisen sie als Khmer, als Kambodschanerin aus. Ich lächle ihr zu, sie erwidert es. Kannitha* ist achtzehn Jahre alt und wir kennen uns mittlerweile seit einem halben Jahr. Als ältere Schwester einer Schülerin von mir, sehen wir uns oft in dem Freiwilligenprojekt, in dem ich unterrichte. Aus eher zurückhaltenden Gesprächen entwickelte sich eine enge Freundschaft. Wir fühlen, dass uns noch mehr verbinden könnte.
Fremde Welt
Verliebtsein kennt jeder, sogar ich bei aller Verpeiltheit. Neu war mir aber das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch, gemischt mit einer tiefen Verunsicherung. Denn Kannitha stammt aus einer traditionell kambodschanischen Familie; womit nicht ganz zu Unrecht zu befürchten war, dass es zu beachtende Normen und einige Fettnäpfchen gibt, von denen ich auch nur wenige ausgelassen habe. Die Familie, die ich durch einige Besuche gut kenne, gehört zur unteren Mittelschicht der kambodschanischen Gesellschaft, weshalb die beiden ältesten Kinder mit Teilzeitjobs ihre allein erziehende Mutter unterstützen. Die spricht kein Wort Englisch, zeigte sich mir gegenüber aber sehr freundlich, wenn auch zurückhaltend.
Ein Sponsor aus Deutschland finanziert Kannitha die schulische Bildung. Sie spricht also gutes Englisch und erzählte mir von den Alltagsproblemen ihrer Familie, von Verwandten die in den ländlichen Provinzen Reis anbauen und – aufgrund der Lage des Familienhauses in einem ärmeren Stadtviertel – vom kriminellen Milieu. Kannitha interessiert sich sehr für das politische Geschehen Kambodschas, was meiner Ansicht nach sogar internationalen Seltenheitswert verdient. In unseren Gesprächen kritisierte sie die Misswirtschaft der Volkspartei, schilderte mir die ethnischen Konflikte in ihrem Land und fand ein vernichtendes Urteil für die ihrer Meinung nach gewollt misslungene Bildungspolitik. In ihren Ausführungen erweckte sie aber nie den Eindruck, nach Mitleid zu heischen, was ich ihr hoch anrechne. Die finanzielle Not ihrer Familie vermied Kannitha in Gesprächen weitgehend. Wie sie einmal zugibt, um mich in keine peinliche Lage zu bringen. Auch ihre Verwandten brachten dieses Thema während meiner Besuche nie zur Ansprache. Einerseits war das beruhigend auf mich, weil es in gewisser Weise bestätigte, dass ich nicht als potenzieller Schwiegersohn aus dem reichen Westen gesehen werde. Andererseits schaffte die Verschwiegenheit auch vollendete Tatsachen: Ich bin nicht Teil dieses Kreises.
Näherkommen
Auf meine Einladung zu einem ersten Date reagierte Kannitha noch etwas verhalten. Offenbar gehört es sich nicht, dass Jungen und Mädchen in der Kennlernphase alleine unterwegs sind. Umgekehrt war mir ihr plötzlicher Vorschlag, die Mutter kennen zu lernen, sehr suspekt. Es schien, als würden wir nach Sicherheiten suchen; nicht ohne ein schlechtes Gewissen, da wir uns eigentlich Vertrauen schenken wollten. Ich konnte Kannitha ihre Vorbehalte allerdings nicht vorwerfen. Während wir Deutsche mit dem Klischee junger Asiatinnen aufwachsen, die sich an den erstbesten „reichen“ Westler krallen, bekommt sie in ihrem Umfeld mit, wie die Armut vieler Khmer von Sextouristen aus Europa und den USA gnadenlos ausgenutzt wird. Bei unserem allerersten „Date“ waren wir also zu sechst: Mit mir Kannitha, ihre jüngere Schwester, zwei meiner Schüler sowie ein enger Freund von Kannithas Familie, den ich vom abendlichen Kickboxtraining in den kleinen Seitengassen kannte. Weil ich manchmal sehr fantasielos bin, lud ich an diesem Tag alle fünf zum neuen „Terminator“ -Film ein. Schnell wurde klar, dass es auch ein schlichtes Essen getan hätte und ich mit der Einladung ins (immerhin einzige) Kino einer Einkaufsmeile für die reiche Oberschicht der Stadt ziemlich dick aufgetragen habe. Fettnäpfchen, here I come!
Zuneigung
Es dauerte nicht lange bis Kannitha und ich auch alleine im Stadtpark spazieren gingen und an den Märkten zusammen aßen. Mit ihrer Hilfe wollte ich meinen Wortschatz in Khmer erweitern; ein vergebliches Unterfangen, sie lachte sehr oft bei meinen Versuchen ihr nachzusprechen. Unser Miteinander kam mir wie ein wechselseitiger Lernprozess vor: Wir beide wussten wenig über die Gedankenwelt des anderen, darüber wie wir tickten und fühlten. Als Kinder zwei so unterschiedlicher Kulturen wie die Kambodschas und Deutschlands, war es schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Trotzdem behielten wir unsere Treffen bei. An einem Wochenende nahm Kannitha mich mit zu einem Buchclub, in dem ich ihren engeren Freundeskreis kennenlernen sollte. Von dem wurde ich erst einmal misstrauisch beäugt und sehr genau über meine Person befragt. Am Ende schien man mir das Prädikat „tauglich“ zu verpassen, jedenfalls wurde ich sehr herzlich in der Runde aufgenommen. Im Laufe der Monate verbrachte ich so deutlich mehr Zeit mit kambodschanischen Jugendlichen beim Sport und gemeinsamen Abhängen in den Straßen, als mit meinen gleichaltrigen Arbeitskollegen aus Europa. Abends begleitete ich Kannitha oft noch bis vor die Haustür, was sie anfangs mit dem Argument abgelehnt hatte, dass ich in diesen Vierteln nach Einbruch der Dunkelheit gefährdeter sei als sie selbst. Und nein, ich fühlte mich nicht besonders mutig, wenn ich danach alleine durch die Gassen zurück musste. Allerdings kannten mich auch Kannithas Nachbarn nach einer Weile vom einander Grüßen und irgendwie fühlte ich mich immer ein wenig behütet.
Vernunft
Es war unbestritten eine schöne und lehrreiche Zeit für uns beide. Trotzdem entschieden Kannitha und ich uns am Ende gegen eine Beziehung, die über eine, nach wie vor enge Freundschaft hinausgeht. Nebst kultureller Unterschiede kam dazu, dass mein Freiwilligenvertrag auf sechs Monate beschränkt war und eine Fernbeziehung auf eine junge Frau aus einer traditionellen Gesellschaft noch abschreckender wirken muss als auf mich. Ich habe tatsächlich ernsthaft in Erwägung gezogen, in Kambodscha zu studieren und mich bei mehreren Universitäten erkundigt, ob mein Abitur anerkannt würde. Nachdem sogar Einheimische mir von dieser Idee abrieten und ich feststellen musste, dass die kostenlose Bildung in Deutschland ein Luxus ist, entschied ich mich schnell wieder dagegen.
Kannitha und ich waren uns bis zum Schluss nicht einmal sicher, ob unsere Erwartungen an eine gemeinsame Partnerschaft wirklich übereinstimmen. Frühes Heiraten zum Beispiel ist in Kambodscha nicht unüblich, aber darüber, ob Kannitha sich mit einer Familie und Kindern sieht, haben wir nie gesprochen. Vermutlich wollte sie mich nicht abschrecken – oder man redet in Kambodscha nicht darüber – während ich uns beide schlichtweg für viel zu jung halte.
Eine sanfte Berührung am Arm holt mich aus meinen Gedanken. Etwas benommen schaue ich mich um. Hinter rauscht noch immer der Mekong, drumherum tönen der abendliche Verkehrslärm, lachende Parkbesucher, während der Smog im Hals kratzt und der golden leuchtende Palast malerisch im Hintergrund erstrahlt. Ich drehe mein Gesicht zu Kannitha; sie sieht mich unvermindert an. „Ey keh?“, fragt sie. Was ist? In einer Woche werde ich Kambodscha verlassen und schon jetzt tut der Gedanke daran im Herzen weh. Entgegen aller Befürchtungen über unerfüllte Hoffnungen wird die enge Freundschaft zwischen Kannitha und mir aber bestehen, was wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht wissen können. Irgendwie hat auch die Bekanntschaft mit ihr dazu beigetragen, dass mein Herz für dieses Land Wurzeln schlagen konnte. Uns wird also immer etwas verbinden. Eine andere Form von Intimität, eher seelischer Natur. „Ort ey teh.“, antworte ich, vermutlich mit einem schrecklichen Akzent. Im Sinne von: Keine Sorge. Alles ist gut.
*Name geändert
Nico
Ein sehr interessanter und zugleich berührender Artikel!