Deutschland und Europa haben die erste Halbzeit der Digitalisierung verloren. Das sieht zumindest der Telekom-Chef Timotheus Höttges so. Deutschland-Bashing und Industrie-Kritik gehören in den letzten Wochen schon fast zum guten Ton. Kaum eine Nachrichtensendung oder Stammtischgespräche kommen derzeit ohne negative Floskeln aus. Nach schlechten Konjunkturzahlen und einem schwachen Ifo-Geschäftsklimaindex bemängeln Experten, Politiker und Wirtschaftsbosse gleichermaßen die Standortprobleme, die bis vor wenigen Monaten scheinbar noch nicht existent waren. In dieser Woche attestierte das Statistische Bundesamt der Bundesrepublik ein BIP-Wachstum von mickrigen 0,1 Prozent für das dritte Quartal. Ist Deutschland noch das „Land der Ideen“, das avantgardistisch gesellschaftliche und technologische Themen anspricht und umsetzt?
Siemens und Telekom als Vorreiter
Ein paar Firmen nehmen sich im Besonderen einer radikalen Digitalisierung und Innovativität an, um den Anschluss an die USA nicht gänzlich zu verlieren. Auch den aufstrebenden Asiaten möchten sie Paroli bieten und dort weiterhin Geschäfte machen. Die Deutsche Telekom und Siemens wollen nun zusammen die Kapitänsbinde tragen und gemeinsam die zweite Halbzeit der Digitalisierung gewinnen. Dazu vereinbarten sie bereits auf der CEBIT im März ein Forschungsbündnis, das kürzlich auch offiziell besiegelt wurde. In der ersten Phase sollen Anlagen in den Siemens-Forschungslaboren in Nürnberg, Karlsruhe und München über das bestehende Glasfaser- und LTE-Netz der Telekom verbunden werden. Das Ziel dieser Forschung ist es, herauszufinden ob die deutsche Infrastruktur eine Hightech-Industrie überhaupt tragen kann.
Die sogenannte Industrie 4.0 ist nicht nur ein Steckenpferd der Siemens Vision 2020, sondern auch der Titel für die neue Hightech-Strategie der Bundesregierung. Das Siemens-Elektronikwerk Amberg in der bayerischen Oberpfalz ist so etwas wie ein Schaufenster in die Zukunft. Dieses Werk wurde stetig modernisiert und funktioniert inzwischen weitgehend automatisiert. 75 Prozent der Wertschöpfungskette bewältigen Maschinen bereits eigenständig. Mitdenkende und intelligente Systeme zeichnen die Industrie 4.0 aus: Die Computer und Maschinen kommunizieren untereinander und verbessern die Produktion und Produktivität dadurch ständig. Seit dem Bau des Werkes 1989 wurde die Belegschaftsgröße von rund 1.000 Mitarbeitern konstant gehalten. Der Umsatz konnte in dieser Zeit aber durch Optimierungen um das Siebenfache gesteigert werden. Derartige Fortschritte in Fabriken kann man daher getrost als vierte industrielle Revolution betiteln.
Zwar gibt es keine Strategie mit dem Namen Telekom Vision 2020, aber klare Ziele hat das Unternehmen unter der Führung von Höttges allemal; auch in Bezug auf die neue industrielle Revolution: „Mehr Innovation durch Partnering und mehr Marktnähe“ will Telekom erreichen und gleichzeitig die besten Netze bereitstellen. In Sachen Partnering hat Telekom durch die Kooperation mit Siemens bereits einen guten Schritt getan. Jedoch gehen bei allgemeinen Umstrukturierungen wie bei Siemens auch Stellen verloren. So kündigte die Deutsche Telekom an, bis 2018 „einige hundert Stellen“ im Sektor „Digital Business Unit” abzubauen. Merkwürdigerweise ist die 4.000 Mitarbeiter starke Abteilung genau die, die Zukunftsideen haben und kreative Ideen hervorbringen soll. Es ist also eine zentrale Komponente in den Digitalisierungsprojekten. Telekoms erfolgreiche Cloud-Services gehen beispielsweise vom Digital Business Unit aus. Die Innovationskraft soll in Zukunft auch an anderer Stelle im Unternehmen gestärkt werden.
Fazit:
Industrie 4.0 hat längst Einzug in die deutsche Wirtschaft gehalten. Auf Basis des Programms der Bundesregierung wurde zusammen mit Unternehmen bereits eine gute Grundlage für zukunftsträchtige Produktion geschaffen. In ihrem gemeinsamen Forschungsbündnis prüfen Telekom und Siemens nun die Möglichkeiten für Hightech-Produktion in Deutschland. Die digitale Revolution in der Industrie ist aus mehrerlei Hinsicht lukrativ: Für die Unternehmen aus einer profitorientierten Sichtweise und für den technologischen Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb.
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