Der Bischof von Eichstätt, Gregor Maria Hanke, hat eine längst überfällige Debatte zur Zukunft der Kirchensteuer entfacht: Trägt diese Form der Kirchenfinanzierung auf Dauer oder können wir nicht andere Wege gehen? Ich möchte noch einen draufsetzen: Hilft diese Form der Finanzierung wirklich der Kirche oder bringt sie diese nicht in falsche Abhängigkeiten?
Rund 12 Milliarden Euro kommen jedes Jahr durch sie zustande. 44 Millionen Deutsche tragen dazu bei: Die Rede ist von der Kirchensteuer. Als „Annexsteuer“ wird sie auf die Einkommen- und Lohnsteuer „draufgeschlagen“ und automatisch an die katholische bzw. evangelische Kirche abgeführt. Dies macht die Kirchen hierzulande zu einem „Big Player“. Über die Caritas bzw. die Diakonie sind die Kirchen der größte Arbeitgeber Deutschlands (nach dem Staat) und mischen auch sonst fleißig mit: Sie unterhalten Schulen, Gymnasien, Kindergärten, Tagungshäuser, Hochschulen – und in Bayern gibt es sogar eine Katholische Universität.
Dieser Reichtum der Kirchen, den wir hierzulande schon gewohnt sind, ist übrigens im internationalen Vergleich einzigartig. Ein ähnliches System wie in Deutschland gibt es zwar noch in der Schweiz und in Skandinavien. An allen anderen Orten auf der Welt – etwa in den USA oder in Lateinamerika – lebt die Kirche von Spenden.
Das deutsche Kirchensteuersystem hat zahlreiche Vorteile: Das sichere und relativ konstante Steueraufkommen macht für die Kirche einiges planbarer. Sie kann – in recht üppigem Umfang – Personal anstellen, Kirchengebäude sanieren, Kindergärten bauen, Krankenhäuser betreiben und vieles mehr. Hierbei ist sie insbesondere nicht von Großspendern abhängig, die ihr plötzlich den Geldhahn zudrehen können.
Das System hat aber auch einige Nachteile: Es kollabiert, wenn es eines Tages nicht mehr von einer solch breiten Mehrheit getragen wird, von der es jahrelang leben konnte und auf die es noch jahrelang angewiesen sein wird. Den Kirchen brechen zwar gegenwärtig nicht die Mitglieder weg (die politischen Parteien haben hier ganz andere Probleme!). Dennoch wird es in den nächsten zehn Jahren zu dem Punkt kommen, dass die Kirchensteuereinnahmen (deutlich) zurückgehen. Dann müssen – wie auch schon heute – Kirchen geschlossen werden und Personal kann eben nicht mehr bezahlt werden.
Vielleicht wird dann auch die Frage aufkommen, ob nicht der Staat oder die Allgemeinheit der Steuerzahler einen Beitrag zum Erhalt von Kirchengebäuden leisten könne oder leisten müsse. Denn schließlich handele es sich ja um öffentliche Kulturgüter, die allen zugute kommen. Das Wahrzeichen vieler deutscher (und europäischer) Städte ist ihr Dom bzw. ihre Kathedrale. Wieso sollte nicht die Allgemeinheit einen Beitrag hierzu leisten? Etwa durch eine Kultusabgabe, die – bei allen – ein Prozent der Einkommensteuer ausmacht?
Die Kirchen in Deutschland sollten sich aber auch darüber Gedanken machen, ob sie von der Kirchensteuer und den damit finanzierten Projekten letzten Endes überhaupt profitieren. Obwohl die Kirchen im Lande Martin Luthers noch immer steinreich sind, geht es ihnen gerade hier besonders schlecht. Auch wenn eine (knappe) Mehrheit der Deutschen auf dem Papier noch katholisch oder evangelisch ist, gehen nur noch zehn Prozent der katholischen und drei (!) Prozent der evangelischen Christen sonntags in die Kirche. Und in diesen zehn bzw. drei Prozent ist bereits die Generation unserer Großeltern enthalten, die von Hause aus noch einen stärkeren Bezug zum Glauben hatten. Wie leer sollen die Kirchen also übermorgen sein, wenn es nur noch uns junge Menschen gibt?
Kirchensteuer lenkt vom Wesentlichen ab
Das Kirchensteuersystem hat Generationen von Menschen den Eindruck vermittelt, sie seien „Kunden“ ihrer Kirche und könnten deren „Dienstleistungen“ auf Abruf in Anspruch nehmen. Für die Weitergabe des Glaubens seien die Hauptamtlichen zuständig, denn dafür würden sie ja gerade bezahlt. Dass Jesus Christus auch mich konkret zur Umkehr und zum Weitersagen seines Evangeliums auffordert, ist da schnell vergessen. Die Selbstwahrnehmung als zahlende Kundschaft, die sich jeden Monat beim Blick auf den Gehaltszettel weiter verfestigt, hat hierzulande dazu beigetragen, dass Kirchen leer stehen und Bistumskassen überquellen.
Dabei schrieb Papst Benedikt XVI. „seiner“ deutschen Kirche bereits 2011 ein Wort ins Herz, das sie allzu schnell vergessen wollte: Entweltlichung. Bei seinem letzten Besuch in Deutschland hatte der Pontifex maximus gewiss auch das „deutsche“ Kirchensystem mit seiner Kirchensteuer im Blick, als er formulierte: „Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder ähnliches – bedeuteten jedesmal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wieder ganz ihre weltliche Armut annimmt. … Die geschichtlichen Beispiele zeigen: Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht, die über der christlichen Anbetung liegt und die ihre Struktur bestimmen sollte, wird deutlicher sichtbar.“
Man braucht kein Theologiestudium, um ansatzweise zu verstehen, was Benedikt damit gemeint haben könnte: Eine von weltlichem Reichtum und weltlichen Lasten befreite Kirche kann die frohe Botschaft besser, glaubhafter, kräftiger und unbefangener leben. Sie muss sich nicht daran orientieren, möglichst vielen zu gefallen, um schließlich nur noch ein Fähnchen im Wind zu sein. Sondern sie kann sich die Freiheit nehmen, Jesus Christus als das Maß aller Dinge anzuerkennen und den Glauben an ihn wirklich zu leben. Das bedeutet nicht (zwingend), kirchliche Kindergärten und Schulen zu schließen. Sondern: eine Rückbesinnung auf das Wesentliche des Glaubens, Jesus Christus selbst, die Weitergabe seiner Botschaft durch mein Leben, durch meinen Alltag, durch mein Gebet, und das Leben dieser Botschaft in der Gemeinschaft der Kirche.
Dafür ist eigentlich gar nicht so viel Geld nötig, wie uns beispielhaft die katholische Kirche in Afrika beweist. Dort trinkt der Vorsitzende der Bischofskonferenz zwar nicht immer den besten Wein (und verfügt auch nicht über einen eigenen Palazzo in Rom). Dafür blüht und sprüht hier das kirchliche Leben. Ein afrikanischer Bischof erzählte mir neulich von einer mehrstündigen Firmung, bei der sich 1.300 junge Menschen firmen ließen. Über 550 Priester und 350 Seminaristen verfügt seine Diözese – obwohl bekennende Christen hier mit (tödlicher) Verfolgung durch radikale Muslime rechnen müssten. Doch das scheint sie nicht abzuschrecken.
Und wie sieht es bei uns in Deutschland aus? … Ich bin davon überzeugt, dass der absehbare Einbruch der Kirchensteuereinnahmen (und damit auch das herannahende Ende der Kirchensteuer) etwas Erlösendes und Befreiendes hat. Dann können wir uns als Kirche endlich wieder auf den konzentrieren, um den es eigentlich geht: Jesus Christus.
[…] Quelle: f1rstlife […]