Haiti befindet sich in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand. Die Hauptstadt Port-au-Prince wird von Bandengewalt terrorisiert. Diese Gewalt trifft auch die Kirche, wie eine italienische Ordensfrau gegenüber dem Hilfswerk „Kirche in Not“ berichtet. Von Benedikt Bögle.
Seit Jahren schon ist die politische Situation auf dem Inselstaat Haiti verheerend. Das Land befindet sich in einer bürgerkriegsähnlichen Situation. Der Präsident Jovenel Moise wurde 2021 ermordet, Neuwahlen haben bis heute nicht stattgefunden.
Im Gegenteil: Der Kampf um die Macht, wird Berichten zufolge, offen auf der Straße geführt. Darunter leidet auch die katholische Kirche in dem Land. Das berichtet das päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ unter Berufung auf die italienische Ordensschwester Marcella Catozza.
„Es herrscht Chaos“
Schwester Marcella Catozza leitet ein Waisenhaus mit 150 Kindern in der Hauptstadt Port-au-Prince. Sie sagte gegenüber „Kirche in Not“: „Es herrscht ein unbeschreibliches Chaos. Bewaffnete Gangs haben die Macht übernommen. Auch die Kirche ist Opfer der Gewalt geworden.“
Erst im Juni diesen Jahres wurde die ebenfalls italienische Ordensschwester Luisa Dell’Orto ermordet. Offiziell wird von einem Raubüberfall gesprochen. Schwester Marcella glaubt aber nicht daran. „Ich bin überzeugt, dass jemand dafür gezahlt hat, sie zu töten. Es konnte immer noch kein Täter gefasst werden“, sagt sie.
„Nicht noch eine Märtyrerin“
Nur zwei Wochen nach dem Mord wurde die Kathedrale von Port-au-Prince in Brand gesteckt. Die Feuerwehr kam, wurde aber an der Arbeit gehindert. Die Täter versuchten sogar, mit einem Lastwagen die Kirchenmauer einzureißen. In anderen Teilen des Landes wurde in Einrichtungen der Caritas angegriffen, Hilfsgüter gestohlen, Büros zerstört.
Die Gewalt hat nun auch Schwester Marcella direkt getroffen: „Vergangenen Monat wurde unsere Kapelle in Brand gesetzt. Wir haben keinen Altar mehr, keine Kirchenbänke“, sagt sie. Da sie sich auf einem Heimaturlaub in Italien befand, wurde sie von ihrem Orden gebeten, vorerst nicht nach Port-au-Prince zurückzukehren. „Es soll nicht noch eine Ordensfrau zur Märtyrerin werden. Es ist sehr hart für mich, nicht bei meinen Leuten zu sein“, sagt Schwester Marcella.
Gewalt und Armut
Die Bandenkriminalität trifft oft ohnehin Menschen in mehr als schwierigen Situationen. In dem Stadtviertel, in dem Schwester Marcella lebt und arbeitet, leben mehr als 100.000 Menschen nur in Blechhütten, haben keinen Strom oder Wasser. Dazu kommt die Gewalt: „Die Stadt ist in den Händen von Gangs. Die Menschen hungern. Die Schulen sind geschlossen. Die Krankenhäuser machen zu, weil sie keinen Strom mehr haben. Es ist unmöglich, unter diesen Bedingungen zu leben“, sagt die Ordensfrau im Gespräch mit „Kirche in Not“.
Das päpstliche Hilfswerk wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Der Prämonstratenser Pater Werenfried van Straaten hatte das Ziel, nach dem Krieg für die Verständigung der Völker zu sorgen. Das Hilfswerk hat sich der Religionsfreiheit verschrieben: Regelmäßig untersucht ein Bericht die Lage der weltweiten Religionsfreiheit und zeigt kritische Länder und Regionen auf.
Verfolgte und bedrängte Christen werden auf der ganzen Welt unterstützt. So finanziert „Kirche in Not“ Projekte, etwa im Irak, im Libanon, in Nigeria oder auch in der Ukraine. Schwester Marcella hofft vor allem auf Aufmerksamkeit: „Es sieht so aus, als ob sich niemand dafür interessiert, was in Haiti passiert“, sagt sie. „Niemand spricht über uns. Niemand weiß, was vor sich geht.“
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