Judith Scholz aus Urbar bei Koblenz lebt seit mehr als zehn Jahren im afrikanischen Ghana und versucht dort, das Leben der Menschen ein kleines bisschen besser zu machen. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.
Wann sind Sie zum ersten Mal nach Ghana gereist und warum?
Ich bin 1999/2000 das erste Mal nach Ghana geflogen. Ich habe zufällig von einem Bremer gehört, der in Ghana ein Kinderheim gegründet hat. Als ich ihn anrief und fragte, ob ich dort mitarbeiten könne, sagte er sofort ja. Ich konnte natürlich nicht ahnen, was mich in Ghana erwartet. Das Kinderheim war noch gar nicht fertig gebaut, zehn Kinder und ein total korrupter blutjunger sogenannter Manager haben in einem gemieteten Haus „gehaust“.
Alles ging drunter und drüber. Als ich mich mit dem Manager anlegte, wurde der sehr unangenehm, hat mit Voodoo gedroht und uns aus dem Haus ausgeschlossen. So lebten wir dann monatelang bei einer Pastorsfamilie, sozusagen im Kirchenasyl. Das Jahr war wirklich sehr hart und lehrreich und ich habe mich in das Land verliebt – trotz aller Schwierigkeiten. Ich habe Freunde gewonnen, die ich noch heute habe. Viele haben mit uns gekämpft und so konnten wir gegen Ende dann doch in ein neues Haus umziehen.
Wie kamen Sie auf die Idee, komplett nach Ghana auszuwandern?
Ich habe in dem einen Jahr ein komplett anderes Leben kennengelernt, eine andere Kultur und eine andere Menschlichkeit, andere Wertvorstellungen, mit denen ich mich besser identifizieren konnte als mit jenen in Deutschland. Für einen Menschen, der so schüchtern ist wie ich, gehemmt und ohne Selbstbewusstsein, war Ghana eine Offenbarung. Dort wird man nach ganz anderen Maßstäben bewertet, es herrscht eine komplett andere Toleranz und Akzeptanz.
Mit meinem neuen Namen Akua (Ekuea), was bedeutet „am Mittwoch geboren“, hatte ich quasi eine neue Identität, mit der ich viel freier war als zuvor. Ich weiß nicht genau, wie ich das beschreiben soll. Jedenfalls hat mich das Fernweh nach einem Jahr zurück in Deutschland nie wieder losgelassen. Ich hatte gehofft, mit der Zeit würde sich das Fernweh nach Ghana legen. Dem war aber nicht so.
2003 habe ich an meiner Fachhochschule durchgesetzt, dass ich mein praktisches Studiensemester in Ghana machen durfte und habe noch drei Monate dran gehängt. Damals habe ich im Kinderheim gewohnt, bei meiner Freundin im Sozialamt das Praktikum gemacht und die Theoriestunden an der Uni in der Hauptstadt Accra absolviert. Danach war klar, ich muss einen Schnitt machen. Ich muss mich dazu entscheiden, ganz nach Ghana zu ziehen. Leicht war der Schritt nicht, die materiellen Dinge sowie Familie und Freunde zurückzulassen. Trotzdem wusste ich, es geht nicht anders und ich habe noch nie einen einzigen Tag diesen Schritt bereut.
Was macht das Leben und die Menschen in Ghana aus?
Ghana ist wie eine große Familie. Das merkt man schon daran, dass man sich immer mit Sister, Brother, Uncle, Papa, Mama, Auntie anspricht, je nach Alter. Wenn man den Namen nicht kennt, sagt man immer Morning Brother, Morning Ma und so weiter. Das gibt schon einmal von vorneherein eine Art Vertrautheit. Die Menschen gehen hier sehr respektvoll miteinander um. Allerdings ist Ghana auch sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite stehen die Menschen füreinander ein, helfen sich in Not, man sieht nicht weg. Es würde zum Beispiel nie passieren, dass sich Leute auf der Straße prügeln und niemand schreitet ein. Auf der anderen Seite gibt es den Voodoo, hier Juju genannt, und es gibt zuhauf Jujumen oder Voodoomänner, die auch in Anspruch genommen werden. Da werden Leuten Unfälle und Krankheiten angehext. Das kann man nun glauben oder nicht, aber hier ist es sehr real und auch Krankenhäuser entlassen Patienten, wenn sie erkennen, dass die Krankheit spirituell ist. Dann gibt es den Seher und Propheten, der die Kraft hat zu “sehen”, wer der Verursacher dieser Krankheit dann war, also wer das Juju gemacht hat. Das alles zeugt natürlich weniger von Nächstenliebe.
Toll ist auch, dass alle Arten von Glaubensrichtungen hier friedlich nebeneinander leben. Methodisten, Adventisten, Katholiken, Pfingstler, Zeugen Jehovas und die Muslime. In jedem Ort gibt es eine muslimische Gemeinde, also einen Ortsteil oder Stadtviertel mit der Moschee im Mittelpunkt. Alle christlichen und alle muslimischen Feiertage sind gleichermaßen staatliche Feiertage. Alle Feste werden irgendwie gemeinsam gefeiert, man wünscht sich gegenseitig ein frohes Fest. Muslime heiraten auch Christen. Man kann in einem Tro Tro sitzen, das sind öffentliche Kleinbusse, und der Fahrer hält plötzlich an, springt aus dem Bus und betet, weil er ein Moslem ist und es Zeit für das Gebet ist. Da würde sich nie jemand im Auto beschweren. Auf der anderen Seite gibt es hunderte von selbsternannten Kirchen mit den abenteuerlichsten Namen die nur auf eins aus sind: den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Viele machen ihren “Gottesdienst” nur unter einem Palmendach.
Was ich sehr liebe, ist, wie man hier mit menschlichen Schwächen umgeht. Es wird überhaupt nicht bewertet, obwohl man Mitmenschen so beschreibt: The fat man, the one with the very big head, the one who has the ears like a bat und so weiter. Wenn die Weißen dann irritiert sind und sagen, dass das doch gemein sei, sagen die Menschen hier “Aber er ist doch ganz dick, er weiß es ja selber.” Mich rief letztens eine Mitauszubildende meiner Tochter an und ich fragte, welche der Auszubildenden sie sei. Da sagte sie “The fatest one”. Das finde ich sehr befreiend, denn es nimmt einem jegliche Hemmungen. Dazu kommt, dass Ghanaer sehr lustig sind und fröhlich. Eine Freundin meinte einmal vor vielen Jahren, dass sie noch nie so viel gelacht hätte wie in Ghana.
Wie kam es zu der Gründung Ihrer Organisation?
Nach meinem ersten Jahr habe ich mit Geld von Verwandten und Freunden einige wenige Kinder und junge Mädchen in Ghana unterstützt. Dann habe ich einen winzigen Artikel in die Zeitung gesetzt, der damals fast 8.000 D-Mark eingebracht hat. Zeitgleich kamen zwei Herren zu Besuch, ich glaube vom Finanzamt, die klärten mich auf, dass man als Einzelperson ohne Verein keine Spenden einsammeln darf und dass ich einen Verein gründen sollte. Zu dem Zeitpunkt habe ich schon an der FH studiert und die Evangelische Studentengemeinde hat mir vorübergehend sehr geholfen, indem ich deren Konto benutzen durfte und sie auch für mich Spendenquittungen ausstellen konnten. So war ich rechtlich erstmal abgesichert. Durch die Zeitung kamen auch zwei tolle ehrenamtliche Helfer auf mich zu und mit noch vier weiteren also im Ganzen sieben Personen gründeten wir dann den Verein „Kindern Zukunft geben Ghana“.
Als ich dann 2006 ganz nach Ghana gegangen bin, habe ich in Ghana die Hilfsorganisation „Children We Care Foundation” gegründet und bin aus dem Verein in Deutschland ausgeschieden. Da stand er aber schon mit einem festen Stamm von Vorstandsmitgliedern und Unterstützern auf sicheren Beinen.
Wie sieht Ihre Arbeit in Ghana aus?
Das ist eine große Frage. Wir haben ja das gemeinwesenorientierte Schul- und Ausbildungsprojekt und ein Ausbildungszentrum für Frauen und junge Mädchen. Ersteres leiten wir von einem Hauptbüro aus, welches in einer Kleinstadt liegt. Das Zentrum liegt in einem kleinen Dorf, in dem ich auch lebe.
Obwohl ich die Leitung habe, bin ich am liebsten mit meiner Kollegin unterwegs. Ich sitze ungern im Büro. Wir sind meistens in den Dörfern unterwegs. Wir betreuen insgesamt 80 Kinder und Frauen in Schule und Ausbildung. Sie leben mit ihrer Ursprungsfamilie oder Pflegefamilie bzw. Großmüttern, Tanten und Onkeln zusammen. Sie kommen alle aus extrem armen Verhältnissen.
Unser Alltag sieht so aus: Jeden Montag haben wir im Büro ein kleines Teamtreffen. Da werden die Arbeiten der letzten Woche besprochen, Problemkinder diskutiert und dann die Arbeit neu verteilt und geplant für die Woche. Meine Kollegin kümmert sich um die Neuanfragen, die kaum überschaubar sind. Wir besuchen die Kinder in den Schulen, haben Gespräche mit den Lehrern und den Kindern selber. Dann machen wir auch Hausbesuche, wobei wir natürlich viel über die familiären Schwierigkeiten erfahren. Wir organisieren Jugendtreffen für alle unsere Kinder, die im Pubertätsalter sind und treffen auch regelmäßig alle Auszubildenden im Büro. Wir organisieren auch Treffen mit unseren Eltern und den Lehrern. Die Straßen zu den Dörfern sind oft sehr abenteuerlich. In der Trockenzeit extrem staubig, in der Regenzeit sehr verschlammt – dann ist im Matsch steckenbleiben Alltag. Die Hitze ist extrem und oft sind es morgens schon 30 Grad im Schatten. Klimaanlage haben wir nicht.
Aber die Abenteuerlichkeit ist auch das reizvolle für mich. Kein Tag ist wie der andere und man weiß nie was passiert. Das Telefonnetz funktioniert besonders in den Dörfern auch nicht besonders und so fährt man oft auch vergebens los, weil man die Personen vorher nicht anrufen kann. Einige Kinder leben im sogenannten Hinterland, wo man nur zu Fuß hinkommt. Da müssen wir uns vor Schlangen in Acht nehmen, weil wir nicht in Stiefeln unterwegs sind. Im Ganzen ist die Arbeit total bereichernd, abwechslungsreich, interessant und eben abenteuerlich.
Gab es in all den Jahren eine Situation, die Sie besonders berührt hat oder ein Kind, das besonders beeindruckend war?
Dies ist eine sehr schwierige Frage. Situationen, die mich immer sehr berühren, sind solche, wenn etwa eine junge Frau mit der Ausbildung fertig ist und ihre kleine Verselbstständigungsfeier hat. Da bin ich immer sehr bewegt und stolz auf die Frau und auf uns. Manche hatten so einen holprigen Weg und Probleme in der Kindheit. Wenn sie dann dastehen und jetzt jemand sind, bin ich immer sehr gerührt.
Wir hatten eine Tochter, die wir seit dem Grundschulalter betreut haben. Sie ist jetzt Krankenschwester. Sie hatte immense Schwierigkeiten, auch Depressionen und Selbstmordgedanken. Jedes Mal wenn ich sie jetzt treffe, könnte ich vor Freude weinen, wenn ich sehe, was aus ihr geworden ist. Da sind aber auch die traurigen Geschichten. Das kleine Mädchen vor vielen Jahren mit einem riesigen Krebsgeschwür am Auge zum Beispiel. Sie starb, weil zu Beginn der Krankheit 100 Euro für die Behandlung fehlten.
Wo wollen Sie mit der Organisation hin?
Um ehrlich zu sein, bei der unsicheren und schwierigen Spendenlage, bei der es besonders für so kleine Organisationen wie unsere sehr schwierig ist, an Gelder zu kommen, ist mein Hauptziel, das zu halten was wir erreicht haben. Wir planen zum Beispiel ein Projekt, um frühe Schwangerschaften zu vermeiden. Unser Ziel sind auch die Junior High Schools in drei Dörfern. Die jungen Mädchen hier werden so früh schwanger und das ist wirklich ein Riesenproblem. Natürlich haben sie dann keine verantwortlichen Väter für ihre Kinder. Sie brechen die Schule ab und stecken im Armutszirkel fest. Der zweite Schwerpunkt sind dann die jungen Frauen die bereits Kinder haben und keine Ausbildung. Für dieses Projekt brauchen wir aber eigene Gelder. Langfristiges Ziel wäre es dann, solche Projekte zu initiieren, die sowohl dem einzelnen als auch den Gemeinden helfen.
Frau Scholz, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Infos unter: http://kindern-zukunft-geben-ghana.de/
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