Die KI-Transformation ist in vollem Gange und macht auch vor der Welt des Marketing nicht Halt. Während sich auf Tiktok, Instagram und Co die ersten virtuellen Influencer tummeln, sorgen die Modekonzerne Mango und Levi’s mit KI-Werbekampagnen einschließlich artifizieller Models für Schlagzeilen und Umbruchsstimmung in der Branche. Wie weit lassen sich Menschen von KI-generierter Werbung beeinflussen?
KI-Marketing: Chronologie eines Hypes
Emily Pellegrini ist ein neuer Star am Influencer-Himmel. Die rund 260.000 Follower des Models bewundern Einblicke in ein Leben voller Glamour, das gelegentlich von nachdenklichen Momenten unterbrochen wird, die für Authentizität sorgen. Auch an exklusiven Events, Kooperationen und sogar Dating-Angeboten mangelt es nicht. Dabei ist Emily Pellegrini eine Kunstfigur, geschaffen mithilfe des KI-Tools Chat GPT. So authentisch die bis ins Detail gepflegten Social Media-Kanäle auf den ersten Blick wirken: Die Protagonistin ist zu keiner der Emotionen fähig, die sie ihrem Publikum zur Schau stellt.
Es ist ein Paradoxon, das symbolisch für Grabenkämpfe steht, die aktuell in der Marketing-Branche ausgefochten werden. Auf der einen Seite klingen Hoffnungen der KI-Fans, die eine vollständige Technologisierung der Kreativbranche befürworten – demnach könnten uns in Radio, Fernsehen und sozialen Medien schon bald en masse Künstliche Intelligenzen in Form von Journalisten, Models und Influencer*Innen begegnen und für Marken völlig neue Formen der Werbung erschließen. Auf der anderen Seite stehen Existenzängste, Skepsis und Einwände Kreativschaffender, die sich um künstlerischen Anspruch und Authentizität der Branche sorgen.
Wie effektiv ist KI-Marketing wirklich?
Über einen Durchbruch der KI-Transformation im Marketing dürfte neben ethischen Aspekten und politischer Regulierung vor allem ihre in Frage stehende Werbewirkung entscheiden. Marketing in seiner heutigen Form greift auf einen sensiblen Prozess der Identifikation zwischen Idol und Konsument zurück, der durch Künstliche Intelligenz repliziert werden soll. Die althergebrachte Maxime, die besagt, dass Menschen von Menschen kaufen, verliert damit ihre unangefochtene Gültigkeit. Doch kaufen Menschen von Maschinen?
Auch wenn die abschließende Klärung dieser Fragen durch wissenschaftliche Studien noch aussteht, besteht in der psychologischen Werbewirkungsforschung Einigkeit in Bezug auf die Schlüsselrolle der Emotionen, die durch Werbedarstellungen ausgelöst werden. Gerade bei sogenannten ,,low involvement”-Produkten, deren Kauf nicht mit einer intensiven gedanklichen Auseinandersetzung verbunden ist, trägt emotionale Werbekommunikation zur Aufmerksamkeitsaktivierung und verbesserten Erinnerung bei. Die wiederholte Verknüpfung positiv assoziierter Reize mit einem Produkt gehört zum Standardrepertoire des Marketings.
Wenn in naher Zukunft KI-generierte Werbedarstellungen optisch nicht mehr von Kampagnen mit humanen Modellen zu unterscheiden sind, dürften sich in Bezug auf ihre emotionale Wirkung – und damit auch Werbewirkung – keine systematischen Unterschiede ergeben. Angesichts der immensen Einsparungspotentiale könnten Künstliche Intelligenzen in entsprechenden Szenarien den Siegeszug antreten.
KI-Umbruch: Die Angst in der Branche
Und doch: Aller KI-Euphorie zu Trotz verläuft die Automatisierung der Marketingfunktionen in deutschen Unternehmen äußerst schleppend. Einer Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ermittelt für das Jahr 2023 einen Anteil von nur zwölf Prozent der deutschen Gewerbebetriebe, in denen KI-basierte Technologien in operative oder strategische Prozesse eingebunden werden. Die zögerliche Entwicklung hängt sicherlich mit der geringen Reife der Technologie zusammen, die derzeit ein substanzielles Ausmaß an Qualitätsprüfung erfordert.
Auf einer tieferen Ebene stehen den Kosteneinsparungspotentialen durch Künstliche Intelligenz aber auch Befürchtungen entgegen, durch einen allzu forschen Einsatz etwa von KI-Marketing Reputationsschäden zu erleiden, die sich aus anhaltend negativen Einstellungen der Verbraucher zu KI ergeben können. So stehen laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des Thinktanks ,,Progressives Zentrum” nur etwa 23 Prozent der Deutschen dem Thema Künstlicher Intelligenz insofern positiv gegenüber, als dass sie einen positiven Einfluss auf die eigene Lebensgestaltung erwarten.
Psychologisch erklärt: So funktioniert Influencer Marketing
Neben hemmenden Effekten, die von mangelnder Akzeptanz oder geringer Entwicklungsreife der Technologien ausgehen, ergeben sich auch auf psychologischer Ebene Einwände, die dem Vormarsch Künstlicher Intelligenz im Marketing Limitationen auferlegen könnten. Denn die Werbewirkung stellt einen hochkomplexen Prozess dar, der von der vorherigen Einstellung zum Produkt und der Bereitschaft zur gedanklichen Involvierung, aber auch dem Wertesystem, medialen Nutzungsgewohnheiten und der Persönlichkeit von Konsumenten beeinflusst wird. Die Etablierung sozialer Medien als zentralem Informations- und Kommunikationskanal gerade jüngerer Zielgruppen hat zum Aufstieg des ,,Influencer-Marketings” geführt, dessen psychologische Wirkmechanismen weit über assoziative Verknüpfungen von Emotion und Produkt hinausgehen.
Dem wortwörtlichen Einfluss in sozialen Medien liegt dabei eine medial vermittelte Bindung zwischen Content Creator und Follower zugrunde, die maßgeblich auf der wahrgenommenen Ähnlichkeit zur Person des Konsumenten beruht und von der subjektiven Glaubwürdigkeit und Authentizität des Influencers mediiert wird. Die Werbewirkung ähnelt hier dem Prozess des Modelllernens, das der Psychologe Albert Bandura als Nachahmung beobachteter Verhaltensweisen menschlicher Vorbilder beschrieben hat.
Kann eine KI influencen?
Wenngleich ein entsprechender Identifikations- und Nachahmungsprozess auch am Vorbild eines KI-Influencers einsetzen könnte, bleibt die artifizielle Darstellung in Bezug auf authentische, humane Erfahrungen limitiert. Für Produkte, die genuin menschliche Bedürfnisse adressieren, dürfte eine Vermarktung per KI auch in Zukunft eher auf Unverständnis stoßen: So ist etwa schwer vorstellbar, dass eine künstliche Influencerin von Koffein-Sprays berichtet, die ihr geholfen hätten, ihren hormonbedingten Haarausfall zu bändigen. KI-Influencer können also Aufmerksamkeit erzeugen, für positive Emotionen sorgen, sachliche Informationen vermitteln und sogar als Vorbild fungieren. Eine Etablierung am Markt ist wahrscheinlich, wird jedoch die Nachfrage nach Persönlichkeiten, die von authentischen, humanen Erfahrungen berichten, nur schwer adressieren können.
KI-Marketing: So weit ist die Entwicklung schon fortgeschritten
Während die Automatisierung von Marketingprozessen durch Anwendungen Künstlicher Intelligenz voranschreitet, wird ihre Bewährung hinsichtlich Aspekten einer verbesserten Werbewirkung also abzuwarten sein. Maßgeblichen Einfluss üben derzeit vor allem Analysetools aus, die mittels KI-gestützter Algorithmen große Mengen an marketingbezogenen Kundendaten erfassen und auswerten. Auf Basis entsprechender Erkenntnisse können sowohl Kundenerlebnisse personalisiert werden, als auch Kampagneninhalte und -designs überprüft und hinsichtlich ihrer Wirkung optimiert werden.
Technologien künstlicher Intelligenz erfüllen an dieser Stelle Erwartungen, die in der jüngeren Vergangenheit vor allem an die Neuropsychologie gestellt wurden und in der Annäherung an den ,,gläsernen Kunden” bestehen, dessen Bedürfnisse aufgrund gut trainierter Algorithmen bereits auf Basis weniger Datenpunkten vorhersagbar werden.
Ein Blick in die Glaskugel
Wie in vielen Bereichen der Wirtschaft zeigen Technologien Künstlicher Intelligenz also auch im Marketing eine gewissermaßen euphorische Entwicklung, die im Spannungsfeld politischer Regulierung und anhaltender Skepsis der Konsumenten die Verschiebung etablierter Grenzen technologischer Realisierbarkeit vorantreibt. Dabei befindet sich sowohl der unternehmensseitige Planungs- und Kreationsprozess als auch das Marketingerleben der Konsumenten im Umbruch.
Während der gläserne Kunde in greifbare Nähe rückt, darf nicht übersehen werden, dass es letztlich in der Verantwortung der Konsumenten liegt, über Reichweite und Akzeptanz einer möglichen Technologisierung der Werbung zu entscheiden. Auch in Zukunft wird ihre Nachfrage nach authentischen Persönlichkeiten und humanen Bezugspunkten darüber entscheiden, ob Mensch oder Maschine im Marketing die Oberhand behält.
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