Nachdem ein pensionierter Pfarrer in Münster von seinem leitenden Pfarrer und seinem Bischof öffentlich gemaßregelt wurde, weil er ungeschickt gepredigt hat, drängt sich mitten in der Sommerpause der Umgang mit sexualisierter Gewalt wieder in den Mittelpunkt der Diskussionen in der katholischen Kirche – und das kurz nach Veröffentlichung einer weiteren Studie zu diesem Thema.
Kein Manuskript – aber genug Gesprächsstoff
Wie übereinstimmend kirchliche Print- und Digitalmedien aus Münster berichten, soll Pfarrer Ulrich Zurkuhlen (79) während einer Predigt in der Münsteraner Heilig-Geist-Kirche im gleichnamigen Viertel die Vergebung der Kirche für Missbrauchstäter eingefordert haben. Daraufhin verließen etliche Gottesdienstbesucher unter lautstarkem Protest den Gottesdienstraum. Der Geistliche habe seine Predigt nicht beenden, geschweige denn, den eigentlichen Punkt über die biblische Botschaft von der Vergebung rüberbringen können.
Auf dem Kirchvorplatz gab es dann noch während der Messe Diskussionen über das Thema, wie einem Beitrag von „kirche und leben“, der Zeitschrift des Bistums Münster, zu entnehmen ist, in dem Gottesdienstbesucher zitiert werden: „So etwas geht gar nicht.“
Pfarrer reagiert – und Bischof auch
Dr. Stefan Rau, leitender Pfarrer der Seelsorgeeinheit im Münsteraner Süden, kritisierte die Predigt im Anschluss mit den Hinweisen darauf, dass zum einen Betroffene von sexualisierter Gewalt, die umgangssprachlich „Missbrauchsopfer“ genannt werden, im Gottesdienst anwesend waren und zum anderen die Betroffenen generell keine Bringpflicht der Vergebung hätten. Möglichst zeitnah wurde nun eine Klärung im Team der Pfarrei anberaumt. Zudem werde es eine öffentliche Aussprache am Montag, den 8. Juli, geben.
Nun hat auch Bischof Dr. Felix Genn eingelenkt und Pfarrer Zurkuhlen gebeten, nicht mehr zu predigen. Genn wird von der dpa zitiert, dass er „davon ausgehe, dass er [Zurkuhlen] sich daran halten“ werde. Dies ist kein offizielles Predigtverbot nach dem Kirchenrecht, aber man wird davon ausgehen können, dass die betroffenen Parteien es einhalten werden, das heißt, dass der Bischof es wirklich verlangt und der Pfarrer in dieser Sache auf ihn hört.
Öffentlichkeitswirksame Rhetorik – aber mit Geschmäckle
Man kann von der Reaktion der Vorgesetzten halten, was man möchte. Der Hinweis, dass es sich nicht um ein offizielles Predigtverbot handele, ist in jedem Falle juristisch sehr wässrig. Man könnte dahinter also eine gut gemeinte väterliche Mahnung vermuten, die den betroffenen Priester schützen soll, statt ihn offiziell dem Kirchenrecht auszusetzen. Dennoch wird hier mit „Verbotswünschen“ gearbeitet und mit Nachdruck – man beachte Wortwahl Genns – gearbeitet, also mindestens quasi-juristisch vorgegangen. Warum dann nicht einfach durch die vorgesehene Jurisdiktion, die dem Bischof nach Kirchenrecht übergeben ist und gemäß der er in anderen Fällen schon gehandelt hat? Ist das nicht Teil jenes in jüngerer Zeit oft beklagten Machtmissbrauchs?
Vergebung bleibt Verkündigungsauftrag
Der leitende und für alle gottesdienstlichen Handlungen in seinem Gebiet verantwortliche Pfarrer hat ebenso mit Hinweis auf die „Rechte der Opfer“ seine Reaktion bzw. Kritik an seinem Amtsbruder Zurkuhlen begründet. Dennoch muss in christlichem Kontext die Frage nach der Vergebung ein Desiderat bleiben. Gerade die Versöhnung mit den Beschuldigten und Tätern sexualisierter Gewalt, von denen Pfarrer Zurkuhlen, wie er selbst sagt, auch mindestens einen kennt, ist eine drängende Aufgabe der Kirche unserer Zeit.
Der Verweis, wie Zurkuhlen ebenfalls zitiert wird, auf die „Verbrecher“ durch einige Bischöfe könne für ihn kein Dauerzustand sein. Es ist, wenn man einer inzwischen mehrfach angefragten Studie um den Mannheimer Psychiater Prof. Harald Dreßing Glauben schenken darf, ja gerade nicht davon auszugehen, dass die Priestertäter einfach aussterben.
Der einzige Weg, wenn man sich nicht allzu sehr von Jesu Forderung nach Vergebung und vor allem den kircheneigenen Verweisen auf die Strukturen der Sünde(n) entfernen will, ist die Aussöhnung mit den beschuldigten und schuldig gewordenen Priestern. Das ist sicherlich eine unerhörte Botschaft für Betroffene wie auch die Gesamtgesellschaft im Angesicht der Schwere dieser Verbrechen und kann daher nicht leichtfertig eingefordert werden. Dennoch bleibt die Vergebung der Sünden ein Auftrag der Verkündigung.
Vergebung setzt nach katholischem Verständnis allerdings Reue voraus und ein absolutes Mindestmaß an Reue könnte angesichts der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs die Selbstanzeige sein. Und auch dann kann die Vergebungsbereitschaft der Opfer niemals eingefordert, sondern höchstens erhofft werden. Vielleicht wäre das für die aufgebrachte Öffentlichkeit, wie auch für Juristen, aber vor allem für die katholische Kirche eine gangbare Richtung.
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