Nach längerer Zeit dürfen nun wieder öffentliche Gottesdienste gefeiert werden – allerdings nur unter strengen Hygienevorschriften. Die stellen die Kirchen vor große Aufgaben und theologische Probleme. Wie geht das überhaupt, Gottesdienste unter strengen infektionshygienischen Maßnahmen? Ein Bericht von Benedikt Bögle.
Mittlerweile sind in Deutschland öffentliche Gottesdienste wieder möglich: Nachdem seit Mitte März Gläubige nicht zu Gottesdiensten zusammenkommen konnten, stellt dies eine deutliche Erleichterung der Corona-bedingten Einschränkungen dar. Einen Großteil der Fastenzeit und Ostern konnten Christen dadurch nicht in der ihnen gewohnten Form feiern. Bei allen Lockerungen aber ist natürlich klar: Auch die Kirchen müssen eine Möglichkeit finden, Gottesdienste so zu feiern, dass das Infektionsrisiko nach Möglichkeit gering gehalten wird.
Die katholische Bischofskonferenz entwickelte dafür eigene Richtlinien. Dabei soll der Zugang zu den Sonntagsmessen begrenzt werden: „Die Zahl der zugelassenen Gottesdienstteilnehmer richtet sich nach der Größe des Raumes und sämtlicher für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen geltenden Regeln“, heißt es in dem Papier. Ordnungsdienste sollen sicherstellen, dass ausreichend Abstand zwischen den Gläubigen eingehalten wird. Vor der Eucharistiefeier desinfizieren Priester und Diakon ihre Hände. Die Gläubigen sollen nach Möglichkeit ihr eigenes Gotteslob, das Gesangsbuch der katholischen Kirche, mitbringen.
Grundsätzlich: Messfeier als „Quelle und Höhepunkt“
Maßnahmen, die im Blick auf die Ausbreitung des Virus sinnvoll erscheinen. Und dennoch mehren sich innerhalb der katholischen Kirche die Anfragen. Grundsätzlich gilt: Die Feier der Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt kirchlichen Lebens, wie das Zweite Vatikanische Konzil formuliert (Lumen Gentium 11). Dabei sollen die Gläubigen die Messfeier in „tätiger Teilnahme“ mitfeiern (Sacrosanctum Concilium 21). Damit ist klar, dass eine sonntägliche Feier via Fernsehen, Radio oder Livestream auf Dauer keine Lösung sein kann.
Wie beschränkt man den Zugang zur Kirche?
Die erste große Frage rund um die Coronabeschränkungen betrifft dabei direkt den Zugang zu dieser Messfeier. Wer darf noch reinkommen, wer nicht mehr? Grundsätzlich wird es dabei Pfarreien geben, die von einer Platzbeschränkung weniger stark betroffen sein werden, etwa weil einer kleinen Gemeinde eine relativ große Kirche zur Verfügung steht. Mit zusätzlicher Bestuhlung kann da jeder mitfeiern. Anderswo aber wird der Zugang beschränkt werden. Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, die Kirche zu öffnen und dann wieder zu schließen, wenn die zulässige Personenzahl erreicht ist.
Das Problem: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Gerecht erscheint das nicht. Daher gibt es auch die Überlegung, sich vorher im Pfarrbüro für einen Gottesdienst anzumelden. Sind etwa 30 Personen in einer Pfarrkirche zugelassen und meldet man sich als einunddreißigster, weiß man schon im Voraus: Ich werde keinen Platz bei der Messe bekommen. Zumindest ist man dann nicht mehr enttäuscht und kann sich den Weg zur Kirche sparen. Die Konsequenz dieser Lösung aber wäre, tatsächlich unangemeldete Menschen an der Kirchentüre abzuweisen. Aber wer will einer älteren Dame sagen, sie dürfe nicht mehr in die Kirche und müsse nach Haus gehen?
Mehr Messen – wenn möglich
Sicherlich könnte schlicht das Angebot an Messen erhöht werden – dann werden sich die Gläubigen ja beinahe automatisch auf die verschiedenen Termine verteilen. Das mag dort gelingen, wo der Pfarrer entsprechende Kapazitäten hat. Viele Priester aber feiern ohnehin schon drei Sonntagsmessen, weil sie mehrere Pfarreien zu betreuen haben. So einfach verdoppeln lässt sich die Zahl der Messfeiern da nicht. Auch hier ist Augenmaß nötig: Was am einen Ort möglich ist, kann sich anderswo als unmöglich darstellen.
Denkbar wäre, die Gläubigen auf Gottesdienste über die gesamte Woche zu verteilen. Ja, Kirche feiert gerade am Sonntag das „kleine Osterfest“, erinnert jeden Sonntag aufs Neue an die Auferstehung Jesu von den Toten. Und ja, seit es Kirche gibt, treffen sich die Christen am Sonntag zum Herrenmahl. Gleichzeitig aber fordert die Corona-Krise nach neuen Lösungen, die zudem ja nur für eine bestimmte, möglichst kurze Zeit gelten sollten. Bevor ein Großteil der Gemeinde keine Messe feiern kann, erscheint doch eine Aufteilung auf mehrere Gottesdienste im Lauf der Woche als das weniger einschneidende Mittel. Ideal ist das nicht, klar.
Würdige Messfeier?
Die Kritik geht aber teilweise noch weiter: Was geschieht denn mit der Feier der Messe, wenn die Gläubigen in großem Abstand zueinander stehen und sitzen? Wie feiert man, wenn nicht gesungen werden kann? Wie kann die Austeilung der Kommunion würdig geschehen? Bieten Handschuhe die notwendige Sicherheit? Ist das noch die Feier einer Gemeinschaft, einer Gemeinde? Was geschieht mit der Leiblichkeit, die in der katholischen Kirche die Feier aller Sakramente begleitet und prägt? Auch der Magdeburger Bischof Gerhard Feige stellte diese Fragen kürzlich in einem Gastbeitrag für katholisch.de: „Werden auf diese Weise nicht neue Probleme geschaffen und die Frustration vergrößert?“, so Bischof Feige
Damit bleibt die Frage: Was, wenn die Beachtung hygienischer Vorschriften zu einer Messfeier führt, die mit dem Glauben der Kirche nur noch schwer vereinbar ist? Bischof Feige etwa plädierte dafür, gerade die Schwachen im Blick zu haben, denen auch nach einer Öffnung der Gottesdienste die Mitfeier verwehrt bliebe: „Gerecht ist das auf keinen Fall“, so der Bischof gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur kna. Der Bischof schloss dabei nicht aus, auch nach einer rechtlichen Möglichkeit, wieder öffentlich Gottesdienst zu feiern, in seinem Bistum darauf zu verzichten.
Lösungen mit Augenmaß
Das natürlich wäre denkbar: Die Kirche feiert erst dann wieder Messe, wenn all die genannten Probleme beseitigt sind. Nur: Wann wird das sein? Messe unter gewohnten Umständen, also etwa ohne Mundschutz, begrenzter Personenzahl, Verzicht auf gemeinsamen Gesang – das kann noch Wochen, wenn nicht Monate dauern. Das Ausweichen nach Draußen könnte jetzt in den kommenden Sommermonaten eine sinnvolle Variante sein. Gefragt sind allenfalls Lösungen mit Augenmaß. Dabei ist es besonders wichtig, alle Betroffenen mit in die Umsetzung einzuschließen: Besonders auch die älteren und schwächeren Menschen müssen dabei im Zentrum der kirchlichen Überlegungen stehen. Die Teilnahme aller am Gottesdienst muss ermöglicht werden.
Karl Michael Waltl
Ja, das wird in der Tat ein Problem werden.
Oder: Es IST ein Problem.
Wer DARF? Wer DARF nicht?
Eine persönliche Nachlese zu 50 Tage „liturgischer“ Quarantäne vom 12. März bis 1. Mai 2020 in der Steiermark (50 Tage!):
Ein Pfarrer in unserer Gegend hat – angesprochen auf eine musikalische Unterstützung für die Feier der Osternacht schriftlich – geantwortet: “Ich habe mich entschieden, um jeglichen Anstoß von Bevorzugung bzw. Benachteiligung zu vermeiden, auch die Karwochenliturgie alleine zu feiern.” (sic!)
Papst Benedikt XVI. sagte am 11. Juni 2010 in seiner Predigt in der Messe zum Abschluss des Priesterjahres: „Der Hirte braucht den Stock gegen die wilden Tiere, die in die Herde einbrechen möchten; gegen die Räuber, die sich ihre Beute suchen. Neben dem Stock steht der Stab, der Halt schenkt und schwierige Passagen zu durchschreiten hilft. Beides gehört auch zum Dienst der Kirche, zum Dienst des Priesters.“
Wozu aber Stock und Stab, wenn sich der Hirte vor einer Gefahr, die seine Herde bedroht versteckt und sich ins private Leben zurückzieht und verschanzt?
Denkt man an das Weihnachtsevangelium, finden wir darin ganz zentral die Hirten.
In unserem bekanntesten Weihnachtslied „Stille Nacht“ heißt es so trefflich: „Hirten erst kundgemacht!“ Und am Ende dieser sechsten und letzten Strophe folgt: „Jesus der Retter ist da!“
Fast könnte man in dieser einfachen Liedstrophe die Zusammenfassung des Hirtenamtes sehen.
Die Corona-Pandemie ist für uns völlig neu und schwer zu fassen. Sie ist, im Zusammenhang mit dem Hirtenamt betrachtet, eine Bewährungsprobe, wie sich ein Hirte verhält und seinen pastoralen Dienst versteht und lebt.
Die Feier der österlichen Liturgie – im Besonderen die Osternacht, die gerade in dieser Zeit ein zentrales, klares und öffentliches Symbol hätte sein können (müssen!), wurde mit dem zu Beginn erwähnten Verweis: „Ich habe mich entschieden, um jeglichen Anstoß von Bevorzugung bzw. Benachteiligung zu vermeiden, auch die Karwochenliturgie alleine zu feiern.“ in ein totales Privatissimum verwandelt. Die Liturgie ist in eine, vor allen Unbillen versteckte, pseudo-behütete Scheinwelt entrückt. Der Hirte hat sich vor seiner Herde versteckt. Obwohl es heute – so haben es ein paar Gute Hirten vorgemacht – mit digitalen Mitteln ein Leichtes ist, aus der geschützten Mitte hervorzutreten und sich mit dem Stock und dem Stab vor die Herde zu stellen. Ohne den wichtigen und richtigen Vorgaben unserer Regierungen zu widersprechen!
50 Tage (Pfingsten – der 50. Tag) hätte der Hirte Zeit gehabt, sich persönlich um seine Herde zu kümmern. Etwa täglich mit 20 Schäfchen zu telefonieren. Das wären 1.000 priesterliche, seelsorgerische Gelegenheiten des Gespräches, des versöhnlichen Wortes und des pastoralen Wirkens gewesen.
Was kann aus dieser Misere denn zukünftig erwachsen?
Wird die Herde merken, dass der Hirte in dieser Notsituation nicht schützend vor ihr stand?
Wird sie merken, dass der Hirte sich in sein privates Leben zurückgezogen und sich dort versteckt hat?
Ob die Schäflein in der „nach-Corona“ Zeit noch zu ihrem Hirten Vertrauen haben werden?
Werden unsere Kirchen noch leerer?
Wird die behördliche Vorgabe – die 20 m2 Regelung – künftig nur mehr eine Beschreibung eines traurigen Status quo sein?
Der Schäfer hat seine Herde im Stich gelassen.
Alleine, im privaten Raum hat er gewartet, bis behördliche Vorgaben ihm sein pastorales Handeln erklärt und aufgetragen haben. Kreatives Wirken oder eigenständiges Vorgehen kamen dem bonus pastor nicht in den Sinn. Aus Angst oder, weil es diese absichernden, beamteten Vorgaben nicht gegeben hat, auf die er ohne seine Herde 50 Tage gewartet hat, hat er als Hirte einfach ein Time-out genommen.
……… bis wieder ruhigere Zeiten gekommen sind.
Dann braucht es den Schönwetter-Hirten wieder. In Glanz und Glorie.
Oder vielleicht nicht?
Was muss passieren, dass der Hirte erkennt, dass diese 50 Tage auch eine Chance zu einem Neubeginn sein hätte können?
Selten passiert es, dass sich aus solch einer schlimmen Situation auch völlig neue, GUTE Wege ergeben!
Man muss sie nur mutig beschreiten.
Vielleicht sogar gemeinsam?
G. F. Händel “The Messiah” – Jes 40,11:
He shall feed His flock like a shepherd:
and He shall gather the lambs with His arm;
and carry them in his bosom,
and gently lead those that are with young.
Karl Michael Waltl
Benedikt Bögle
Ich glaube, Sie weisen auf einen sehr augenfälligen Umstand hin: Wie Priester und im übrigen ja auch andere pastorale Mitarbeiter auf die Krise reagiert haben, war und ist sehr unterschiedlich. Sie weisen ja auch schon darauf hin, dass es durchaus auch die Möglichkeiten von Livestream-Gottesdiensten u.ä. gegeben hätte. Ich glaube, man muss mit der Form der Kritik ein bisschen aufpassen. Sie darf nicht pauschal ausgesprochen werden. Ich habe in den vergangenen Wochen sehr viele Möglichkeiten gesehen, auch in der Krise als Hirte da zu sein.
Theresia Böhm
Die Kirche hat sich ernsthaft bemüht einen Alternativersatz durch Live – Streams und Online Messen zu geben.
Aber es ersetzt in keiner Weise die physische Anwesenheit und die Vereinigung mit Christus in der Hl. Eucharistie, sowie die Gemeinschaft der Glaubenden. Nach dieser Abstinenz war ich mir wieder mehr dieses kostbaren Geschenkes bewusst geworden und Gottes Verheißung ” Ich bin bei Euch alle Tage, bis zum Ende der Welt.” Sie gibt Kraft,. Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft und auf das Ewige Leben.
Heinz Kellner
”Ersetzt in keiner Weise die physische Anwesenheit” – das ist wohl richtig und bleibt es auch. Aber ich bin dankbar für die vielen Bemühungen landauf-und landab die Mitfeier via Bildschirm zu ermöglichen. Sehr viel ist gelungen, manches war/ist verbesserungeswürdig. Wichtig bleibt mir die gute Absicht.
Und die hat aber auch ihre Grenzen. Wir müssen jetzt vorsichtig sein und unterscheiden: Was hat sich bewährt und soll bleiben? Was aber müssen wir einfach bleiben lassen oder neu überdenken, um nicht die Präsenz in unseren Kirchen aufs Spiel zun setzen.