Mit Bezug auf das Dritte Reich wird Deutschland von manchen bis heute angefeindet. Gleichzeitig genießt es international große Anerkennung für die Aufarbeitung seiner dunklen Vergangenheit. Warum wir gut daran tun, uns dessen bewusst zu sein, soll an der südostasiatischen Geschichte mit Fokus auf Kambodscha verdeutlicht werden.
Wer sich länger auf der Indochinesischen Halbinsel aufhält, dem wird vielleicht auffallen, dass dort Rassismus und Nationalismus oft Hand in Hand gehen. „Aber doch nicht diese friedfertigen Völker!“ denkt ihr? Aufgepasst! Fragt man den Quotenkambodschaner nach seinen Nachbarn, gemeint sind Thailand und Vietnam, bekommt man nicht selten folgende Antwort: Dem Volk der Khmer (die ethnische Mehrheit in Kambodscha) habe Thailand seine Bräuche und Vietnam das Land geraubt. Das ist, für diesen Kulturraum, eine ungewohnt offene Anfeindung.
Gute alte Feinde
Khmer, Vietnamesen und Thais pflegen seit dem 13. Jahrhundert eine sehr konfliktfreudige Nachbarschaft. Erstere beherrschten einmal den Großteil des südostasiatischen Festlandes, bis die Einwanderung der Thaivölker und Vietnamesen für neue Machtverhältnisse sorgte. Zur Eskalation führte schließlich die französische Kolonialmacht im 19. und 20. Jahrhundert, unter der die loyalen Vietnamesen stets bevorzugt wurden. Während man ihnen gut bezahlte Jobs und Privilegien zugestand, grassierte in der kambodschanischen Bevölkerung die Armut. Thailands Armee besetzte in der Zwischenzeit kambodschanische Landspitzen im Westen, um die sich beide Länder bis heute streiten. 1954 musste Kambodscha unter Androhung von Waffengewalt ein Drittel seiner Landmasse an Vietnam abtreten, in dem bis heute rund acht Millionen ethnische Khmer systematisch unterdrückt werden. Während des zweiten Vietnamkrieges bombardierte die US Air Force inoffiziell kambodschanische Dörfer und tötete damit mehrere zehntausend Menschen.
Enthemmter Zorn
Wohin verletzter Nationalstolz, Verzweiflung und eine politische Radikalisierung führen können, bewiesen zwischen 1975 und 79 die Roten Khmer; eine militante kommunistische Bewegung unter ihrem Führer Pol Pot, deren Regime rund zwei Millionen Menschen das Leben kostete. Die Beteiligung der ethnischen Khmer (vor allem der ländlichen Bevölkerung) an den Übergriffen auf andere Volksgruppen und Intellektuelle war in dieser Zeit erschreckend hoch. Opfer waren vor allem Frauen, Kinder und Greise. Auf den sogenannten Killing Fields, den Internierungslagern, richtete man sie mit Knüppeln, Macheten oder einfach mit dem Kopf voran gegen Baumstämme hin. Viele andere starben aufgrund von Mangelernährung und der harten Feldarbeit, zu der man sie gezwungen hatte. Erst der militärische Eingriff Vietnams beendete die Terrorherrschaft der Roten Khmer, leitete aber einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg ein. Thailand stoppte mangels ausreichender Kapazitäten den Flüchtlingsstrom aus Kambodscha mit vorgehaltener Waffe und trieb zehntausende Zivilisten zurück in das Kampfgebiet.
Aufarbeitung – oder auch nicht
Von unterlassener Hilfeleistung will man in Bangkok bis heute nichts wissen. In Hanoi verweist man gerne darauf, dass Vietnam die sogenannten Steinzeitkommunisten bekämpft hat; vergisst aber zu erwähnen, dass es sich hinterher mit den Roten Khmer arrangierte und eine Marionette als neuen Regierungschef einsetzte. Der vietnamesische Einfluss auf die kambodschanische Politik bleibt bis heute unübersehbar. Seit 2006 findet der Versuch eines internationalen Tribunals statt, die Roten Khmer für den Massenmord zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Bemühung wird von der jetzigen Regierung Kambodschas massiv behindert. Dass ein Teil der ethnischen Khmer selber an den Übergriffen beteiligt war, macht den Fall umso prekärer. Die Elterngeneration schweigt sich beharrlich darüber aus, denn so wie im Schnitt etwa jede vierte Familie ein Mitglied an das Terrorregime verloren hat, dürfte das Verhältnis schuldiger Verwandter nicht unähnlich gewesen sein. Viele der gesuchten Totschläger und Folterknechte leben mittlerweile wieder als Bauern im Kreise ihrer Familien. Ganz so, als sei nie etwas geschehen.
Besinnung
Heute ist es die junge Generation, die versucht, mit ihrer Geschichte reinen Tisch zu machen. Internierungslager und Gefängnisse wurden zu Gedenkstätten umfunktioniert. Erstmals wird auch in der Schule darüber gesprochen, wenn auch wenig. Der Trend, sich wieder auf alte Traditionen und Bräuche zu besinnen, gewinnt an großen Zulauf. Schulen für die anmutigen Apsara-Tänze, die uralte Kampfkunst Bokkator sowie die für uns Europäer gewöhnungsbedürftige Volksmusik, sind gut besucht.
Leider profitieren davon auch rechte Stimmungsmacher, die bei der jungen Klientel immer mehr Zuhörer finden. So gilt die Meinung, Thailands Kultur sei nur ein Plagiat der kambodschanischen, als weit verbreitet. Hochrangige Politiker bedienen sich einer ganz ähnlichen Rhetorik, das allerdings aus Pragmatismus. Der Großteil der kambodschanischen Bevölkerung ist sehr arm und wird es noch lange bleiben. Die misswirtschaftende Volkspartei weist alle Schuld von sich und wird nicht müde, Thailand und Vietnam dafür verantwortlich zu machen. Am deutlichsten offenbaren sich diese Spannungen in den Grenzgebieten. Schusswechsel zwischen kambodschanischen und thailändischen Soldaten sowie Schlägereien mit vietnamesischen Bauern gehören zur Tagesordnung.
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