Welchen Stellenwert hatten behinderte Menschen in der Vergangenheit? Wie stellt sich die Situation rund um Schwangerschaftsabbrüche dar? Und wie werden Menschen mit Handicap in der heutigen Zeit behandelt? – Diese und vielen weiteren Fragen widmete sich die diesjährige „Junge Akademie Bioethik“. Die Christdemokraten für das Leben setzten sich mit dem Thema „My Body, My Choice – Der Paragraph 218 StGB und die Frage nach der Abtreibung“ auseinander. Eine Reise durch die Zeitgeschichte.
Teilhabe und Lebensschutz in der Antike: Das Römische Recht und die Griechische Kultur
Die Teilhabe behinderter Menschen findet ihre Wurzeln im Römischen Recht. Hier sind an erster Stelle insbesondere die Zwölftafelgesetze zu nennen. Diese waren nach der Vertreibung der etruskischen Könige sowie der folgenden Ständekämpfe zwischen Plebejern und Patriziern als Ausdruck der beginnenden römischen Identität entstanden. In den Tafeln IV und V war das Familienrecht, das Recht der „Väterlichen Gewalt oder Patria Potestas enthalten. In Auszügen lautet der Satz: „Cito necatus insignis ad deformitatem puer esto“ – „Rasch soll ein offensichtlich missgestaltetes Kind getötet werden können.“
Dadurch wurde die Tötung eines neugeborenen Behinderten legalisiert, jedoch wurde die Aussetzung auf öffentlichen Dunghaufen einer direkten Tötung oftmals vorgezogen, da hier eine geringe Überlebenschance des Neugeborenen nicht ausgeschlossenen werden konnte. Diese Findelkinder wurden in der Regel von jenen, die sich ihrer „erbarmt“ haben in die Sklaverei verkauft. Kaiser Septimus Severus (139-211) ergriff schließlich aufgrund bevölkerungspolitischer Notwendigkeiten erste Maßnahmen gegen Abtreibungen. Sie sind jedoch zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs als emanzipatorische Maßnahme zu verstehen.
In der griechischen Kultur wurde eine Abreibung schon von Platon und Aristoteles als Maßnahme der Bevölkerungskontrolle als legitime Maßnahme erachtet. Auch hier wurden Behinderte in die Sklaverei verkauft. Jedoch ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass Sklaven oftmals durchaus eine herausragende soziale Stellung, beispielsweise als Lehrer, erlangen konnten.
Die katholische Lehre und die „allumfassende“ Teilhabe
Entsprechend heidnischer Vorstellungen zogen angeborene menschliche Gebrechen den Zorn ihrer Gottheiten auf sich. Betroffene wurden daher aus Furcht von ihrem Umfeld gemieden. Davon zeugt auch die Schmährede in Psalm 135, 15-18: „Die Götzen der Heiden sind nur Silber und Gold, ein Machwerk von Menschenhand. Sie haben einen Mund und reden nicht, Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören nicht; auch ist kein Hauch in ihrem Mund. Die sie gemacht haben, sollen ihrem Machwerk gleichen, alle die den Götzen vertrauen.“
Die ersten Maßnahmen einer lebensbegleitenden, allumfassenden Gesellschaft wurden jedoch erst durch die Heilungen Jesu Christi eingeleitet. Hier sind insbesondere die Heilungen von Aussätzigen, Besessenen, Gelähmten, Stummen, Verkrüppelten sowie Blinden zu nennen. So zeichnete sich auch das Wirken der ersten Christen durch ihr Mitgefühl insbesondere mit Schwachen, Kranken, Behinderten und Sündern aus. Doch war ihre Erkenntnis, dass eine „allumfassende“ Teilhabe nur gelingen konnte, sofern sie auch das ungeborene Leben einschloss, eine absolute Revolution.
Davon, dass zu dieser Zeit das ungeborene Leben auch schon als Leben und somit als ein schützenswerter Teil der christlichen Gemeinschaft anerkannt wurde, zeugt der Vers Lukas 1,44: „Denn siehe, in dem Augenblick als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib.“ Es ist an dieser Stelle nur offensichtlich, dass totes Gewebe niemals in der Lage ist, zu hüpfen. Auch ist zu betonen, dass diese Erkenntnis ursprünglich dem Judentum entsprungen ist.
Diese Erkenntnis wurde schließlich in der Mitte des ersten Jahrhunderts als überlieferte „Lehre der Zwölf Apostel“ der Didache 2,8 zusammengefasst: „Du sollst nicht das Kind durch Abtreiben umbringen und das Neugeborene nicht töten.“ Hieraus ergibt sich, dass Abtreibungen bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte möglich waren und der Schutz ungeborenen Lebens erst durch die katholische Kirche als erste Maßnahme einer lebensbegleitenden Gemeinschaft an Bedeutung gewonnen hat.
Spätes Mittelalter und Preußen
Der christliche Einfluss wird auch in der Gerichtsordnung Kaiser Karl V (1500-1558), dem ersten allgemeinen deutschen Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1532 deutlich. Es galt bis zur Gründung des deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871 in Versailles. Es hat bis dahin auch verschiedene Partikularstrafgesetzbücher in Bezug auf die Abtreibungsthematik stark beeinflusst. Diese entstanden insbesondere unter dem Eindruck naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sowie nationalstaatlicher Bestrebungen. Im Allgemeinen Landrecht für Preußische Staaten aus dem Jahre 1794 wurden allerdings bereits besondere mildernde Umstände berücksichtigt.
Dennoch wurde die Fürsorge für Menschen mit Behinderung bis dahin kaum von der weltlichen Jurisdiktion berücksichtigt. Vor dem Jahre 1900 waren es ausschließlich kirchliche Einrichtungen, die eine ernstliche Fürsorge betrieben. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf die Verwahrung Betroffener in Siechenhäusern oder Pflegeeinrichtungen. Diese waren vom Mittelalter bis in die Neuzeit spezielle Krankenhäuser für sehr schwer oder unheilbar erkrankte Menschen. Schwere Formen der Intelligenzminderung und geistige Behinderungen fanden keine Berücksichtigung.
Dennoch ist zu beobachten, dass sich insbesondere in den freien Künsten, der Musik sowie der Kultur im Mittelalter neurologisch auffällige Menschen, wie Leonardo da Vinci, Wolfgang Amadeus Mozart, Michelangelo und viele andere, verewigt haben. Ihre Auffälligkeiten benötigten keine Definition, da ihre Kenntnisse und Fähigkeiten von ihren Zeitgenossen geschätzt und gebraucht wurden. Diese Entwicklung hat der Modernismus bislang nicht erreicht.
Gesetz sah Strafen für Abtreibungen vor
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Im Jahr 1851 trat im Königreich Preußen ein neues Strafgesetzbuch in Kraft, welches die bisher geltenden Regeln bezüglich eines Schwangerschaftsabbruches in leicht veränderter Form übernahm. Diese gingen nach der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 in eine neue Gesetzgebung über. Diese wurde nach der Schaffung des Deutschen Kaiserreiches 1871 in das Strafgesetzbuch (StGB) des Deutschen Reiches überführt. Hier fanden sie in den Straftaten gegen das Leben unter dem Paragraphen 218 Erwähnung.
Das Gesetz definierte somit eine Abtreibung auch als einen Tötungsdelikt und sah Freiheitsstrafen sowohl für den Ausführenden als auch für die Schwangere vor. Aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sah das geltende Strafgesetzbuch zu diesem Zeitpunkt keine Milderungen vor. Dieses Gesetz sollte bis in das Jahr 1926 Bestand haben. In den Wirren des ersten Weltkrieges scheiterten die ersten Reformbemühungen. Diskussionen bezüglich Lockerungen gab es lediglich um das Jahr 1900 bezüglich einer strengen medizinischen Indikation. Abtreibungen wurden von Ärzten praktiziert und von staatlichen Stellen stillschweigend akzeptiert. Sie führten nur in seltenen Fällen zu Verurteilungen.
Zu Beginn des 20. Jahrhundert schlugen sich eugenische Debatten auf die Abtreibungsproblematik nieder. Es gab schon zu dieser Zeit erste und dennoch seltene Forderungen, den Paragraph 218 restlos zu streichen. Diese Forderungen hatten jedoch ihren Ursprung in der linken Parteienbewegung. Den größten Einfluss hatten auf diese Debatten jedoch sozialdarwinistische Ideologien, wonach nur der Stärkere ein Lebensrecht erhalten sollte. Dennoch bleib die letztlich dominante Haltung des sogenannte „Pronatalismus“, der einem steigenden Geburtenrückgang infolge des ersten Weltkrieges entgegenwirken sollte. Dies führte dazu, dass ein Abtreibungsverbot zunächst im nationalstaatlichen Interesse verblieb.
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