Junge Menschen vermissen Partys in der Corona-Pandemie am meisten. Dieser Vorwurf war insbesondere im Herbst ein größeres Thema in den Medien. Mitte November startete die Bundesregierung eine Kampagne, um junge Menschen zu motivieren, zu Hause zu bleiben – und traf die Lebenswelt der Jugend wenig. Ein kritischer Blick auf die junge Generation von Andrea Schöne.
#RestiamoACasa, #StayAtHome, #BleibZuhause – seit Beginn der Corona-Pandemie verbreiteten sich Hashtags zur Bekämpfung von Covid-19 auf der ganzen Welt, um soziale Kontakte auf ein minimales Maß zu reduzieren und am besten gleich ganz zu Hause zu bleiben. Junge Leute treiben die Infektionszahlen mit illegalen Corona-Partys in die Höhe und stellen unrealistische Ansprüche während der Pandemie – ein weit verbreitetes Klischee während der Pandemie. Oftmals kommt der Vorwurf vor allem von Menschen, die selbst gar nicht zu der Generation gehören.
Ansonsten wird vielmehr über junge Menschen gesprochen und wie sie sich fühlen könnten. So verhielt es sie auch bei der Regierungskampagne #Besondere Helden – statt mit der Jugend zu reden oder noch besser, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu äußern. Erst bei einer Sendung der Talkshow „hart aber fair“ Anfang Dezember wurde die Lebenswelt von jungen Menschen in der Pandemie überhaupt öffentlich diskutiert.
Es braucht Kampagnen für mehr Öffentlichkeit über die Lebenswelt der Jugend. Daher lohnt sich auch jetzt noch ein kritischer Blick auf die Regierungskampagne #BesondereHelden. Auf den ersten Blick musste auch ich über die Kampagne schmunzeln, bis mir auffiel, wie wenig die drei Videos mit meinen Schwierigkeiten als junge Frau mit Behinderung während der Pandemie zu tun haben. Ich fühle mich verhöhnt und nicht ernst genommen. Daher hier die TOP-5 Argumente, welche Themen im Hinblick auf die Lebenswelt junger Menschen mehr Öffentlichkeit brauchen.
1) Junge Menschen aus der Risikogruppe, behinderte Menschen und deren Angehörige
Völlig außer Acht lässt die Bundesregierungskampagne die schwierige Situation von jungen Menschen aus der Risikogruppe. Ein Jahr Isolation, das änderte sich auch nach dem Lockdown im Sommer, während alle anderen fröhlich Freund*innen trafen und das Leben genossen – für mich und meinen Freundeskreis nicht. Gleichzeitig schränken sich auch junge Menschen aus Rücksicht und Angst um Familienangehörige in ihrem Alltag seit Monaten enorm ein.
Als junge Frau mit Behinderung werde ich seit Beginn der Pandemie noch mehr als vorher aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Fehlende Barrierefreiheit ist für behinderte Menschen keine Neuigkeit, aber es wird während der Pandemie durch zum Beispiel zu hoch angebrachte Desinfektionsmittelspender zu einem Gesundheitsrisiko, das sich im schlimmsten Maße damit äußert, dass ich als körperbehinderte Frau – Stand der aktuellen Triage-Empfehlung – in einem Notfall kein Intensivbett erhalten würde. Wegen meiner Behinderung würde man mich aussortieren und wahrscheinlich sterben lassen
2) Corona-Rassismus und wieder aufstrebender Nationalismus
Die erste Auswirkung der Corona-Pandemie erlebte ich in meinem Bekanntenkreis durch Corona-Rassismus, der vor allem Menschen, die asiatisch gelesen werden, betrifft. Sie werden als Virus beschimpft und auch heute noch, nach fast einem Jahr, im öffentlichen Raum angepöbelt. Sie leben in ständiger Angst. Gerade diese Situation hätte die Bundesregierungskampagne aufgreifen müssen, wo auch eine Protagonistin asiatisch gelesen wird.
Ich erlebte die erste Coronavirus-Welle in Bologna in Norditalien. Ich bekam mit, wie alle Nachbarländer die Grenzen schlossen und italienisch gelesene Menschen (was auch immer „italienisches Aussehen“ überhaupt sein soll?) beschimpft und wie Aussätzige behandelt wurden. Gleichzeitig gab es in Italien Verschwörungstheorien, dass der Virus über Deutschland nach Italien kam, wodurch auch ich als Deutsche Hass erfahren musste . Dieser Nationalismus wird nach der Pandemie auch noch Auswirkungen haben, wie beispielsweise während eines Erasmus-Auslandssemesters.
3) Für immer durchkreuzte Lebenspläne
Vor einem Jahr noch fühlte ich mich wie der glücklichste Mensch auf diesem Planeten. Ich hatte mir den lang gehegten Traum erfüllt, mein Master-Studium in Bologna zu machen. Ein Jahr später sitze ich nun sehr ernüchtert wieder in meinem Kinderzimmer in Deutschland und studiere online. Ich bin traurig und depressiv, weil mir nichts auf der Welt die Erfahrungen ermöglichen kann, die ich während meines Auslandsstudiums in Italien machen wollte.
So ähnlich geht es auch tausend anderen jungen Leuten. Kein Freiwilligendienst im Ausland. Kein Aupair-Jahr. Kein Auslandssemester. Diese Erfahrungen zur Persönlichkeitsbildung werden einer ganzen Generation am Ende fehlen. Darüber schmunzeln kann ich nicht.
4) Privileg Home-Office haben nicht alle
Bleib zu Hause und sei faul wie ein Waschbär. Das ist die Grundaussage der Regierungskampagne und trifft nicht den Kern, da es nicht in jedem Beruf möglich ist, im Home-Office arbeiten zu können. Zum anderen haben auch nicht alle Schüler- und Student*innen einen eigenen Laptop, um den digitalen Unterricht wahrnehmen zu können. Selbst wenn Arbeit im Home-Office möglich ist, heißt es nicht, dass man Chips futternd auf dem Sofa hockt und Netflix schaut. Da die meisten meiner Freizeitmöglichkeiten wegfallen, arbeite ich quasi rund um die Uhr, wenn ich nicht gerade meinen Online-Vorlesungen lausche und Texte für die Vorlesungen vorbereiten muss. Herzlich Willkommen im Corona-Burnout!
5) Zukunftsängste und finanzielle Probleme
Nicht zuletzt trifft die Pandemie junge Leute finanziell auf ganz eigene Weise. Sehr viele Nebenjobs für Studierende sind von einem Tag auf den anderen wegen der Schließung der Gastronomie verloren gegangen. Trotzdem muss die Monatsmiete bezahlt werden. Die Hilfen für Studierende sind immer noch unzureichend – ebenso die Berufschancen in der Veranstaltungsbranche und allgemein beim Berufseinstieg.
Vorschläge für einen realistischen Blick auf die Jugend während der Pandemie
- Sprecht direkt mit jungen Menschen, statt ständig über sie zu reden.
- Ladet junge Menschen mit verschiedenen Hintergründen in Talkshows ein.
- Versetzt euch in unsere Lage: Wie hättet ihr während der Ausbildung oder dem Studium auf die Situation reagiert?
- Welche Vorschläge habt ihr?
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