Computerspiele sind einerseits anerkanntes Kulturgut, andererseits immer noch Gegenstand von Angst und Stigma. Machen Games gewalttätig, einsam und dumm? Das Katholisch-Soziale Institut (KSI) lud am 17. Mai im Rahmen der Reihe „Ethik aktuell“ zu einer Diskussion mit Experten über Chancen und Risiken von Computerspielen ein.
Die Sonne scheint, doch nur schwach dringt sie durch die Ritzen des Rollos. Der PC-Tower brummt, Schüsse sind zu hören. Die Pizzakartons stapeln sich, Pizzakäse von vorgestern klebt an Schreibtisch und Teppich. Egal, tritt sich fest. Da kauert er, der Gamer: Mit bleichem Gesicht, tiefen Augenringen und zitternd vor Aggressivität hängt der Teenager vor seinem Bildschirm. Einen Ego-Shooter zockt er, bei dem er einen Gegner nach dem anderen abknallt.
Das ist das gängige Klischee, das Stereotyp des Computerspielers. Es ist ein stigmatisierendes Zerrbild der mittlerweile über 34 Millionen Menschen in Deutschland, die mindestens gelegentlich Computer- und Videospiele spielen.
Grund genug also, um das Phänomen „Computerspiele“ aus ethischer Sicht zu diskutieren, dachte man sich beim Katholisch-Sozialen Institut (KSI) in Siegburg. Unter Moderation von Dr. Benedikt Schmidt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Moraltheologie der Uni Bonn, sowie des Pädagogischen Referenten des KSI, André Schröder, waren zu Gast: Dr. Rudolf Inderst, Kulturwissenschaftler und International-Community-Strategist beim Spielepublisher Koch Media, sowie Dr. Claudia Paganini, Philosophin, Theologin und Universitätsassistentin am Institut für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck.
Ethisches Handeln mit Games trainieren
“Computerspiele sind ethisches Fitness- und Reflexionszentrum”, lautet Rudolf Indersts These. Dabei müsse die Ethik einer Spielewelt nicht in der realen Welt begründbar sein, wohl aber im Game selbst. Ethisches Handeln des Spielers sei vor allem in ethischen Dilemma-Situationen gefragt. Egal, wie sich der Spieler in einer solchen Situation entscheidet, ein ethisches Prinzip werde er immer verletzen, so der Kulturwissenschaftler mit Schwerpunkt Games Studies. Je älter die Gamer werden, umso mehr steige auch der Bedarf an entsprechend anspruchsvollen Games, die mehr erfordern als die bloße Beherrschung der Spielmechanik.
Der Unterschied zwischen Leidenschaft und Sucht
Unabhängig von einer gegebenenfalls vermittelten Ethik haben Spiele einen Eigenwert, so Claudia Paganini in ihrem Vortrag. Erwachsene werten Games indes oft zu emotionsgeleitet, beispielsweise beim Thema Spielsucht. Paganini problematisiert diesen Suchtbegriff, da hierbei kein Stoff vorhanden sei, an den die Sucht nach gängiger Definition gebunden sein müsse. Es gehe daher eher um Verhaltenssucht, die wiederum abzugrenzen sei von exzessivem Verhalten. Ein solches werde eigentlich oft wertgeschätzt, beispielsweise wenn eine exzessive Buchleserin positiv als „Leseratte“ betitelt werde. Exzessives Gaming lasse insbesondere bei Eltern jedoch meist die Alarmglocken schrillen. Leidenschaftliches Computerspielen sei nach Paganini jedoch kein Problem, wenn auch andere Interessen sowie soziale Kontakte bestünden.
Die Stigmatisierung von Games zeige sich auch, wenn ihre Gegner auf die Frage, ob sie selbst schon einmal gezockt hätten, mit einer Empörung reagierten, als würde man den Papst fragen, ob er schon einmal ein Bordell besucht habe. Die Emotionalisierung, die Angst, sei das Problem, denn sie hemme eine sachliche Auseinandersetzung mit Computerspielen. Wenn Eltern eine ganze Jugendkultur entsprechend stigmatisieren und pathologisieren, vermittele dies den Heranwachsenden kein Selbstbewusstsein.
Die große Sorge: Degeneriert die Jugend durch Computerspiele?
Die anschließende Diskussion mit dem leider nur kleinen und überwiegend älteren Publikum bezeugte, wie groß der Argwohn gegenüber Computerspielen ist. Erhöhen sie nicht doch die Gewaltbereitschaft?
Klar gibt es explizite Gewalt in Games, bestätigt Branchen-Insider Inderst. Als Beispiel nennt er die Grand-Theft-Auto-Serie: Hier könne man sich in einer virtuellen Großstadt frei bewegen. Und ja, man könne Gewalt ausüben und etwa Unschuldige erschießen – eine solche Spielweise sage aber mehr über den Spieler als über das Spiel aus. Im Übrigen: Die Jugendschutzbestimmungen zu beachten obliege den Eltern, so Inderst. Spiele sind demnach also nicht per se gut oder schlecht. Es kommt vielmehr darauf an, wie man sie spielt. Paganini ergänzt: Mittlerweile entwickele sich auch ein Standesethos der Gamesentwickler, nicht zuletzt, um staatlicher Reglementierung zuvorzukommen.
Ansonsten zielten viele Publikumsfragen eher auf den allgemeinen Umgang der Jugend mit digitalen Medien ab. Fragesteller machten ihrem Kulturpessimismus mit Blick auf ihren Nachwuchs Luft. So beklagte etwa eine Oma, ihre Enkel schauten nur noch auf ihre Tablets und Smartphones. Von der Befürchtung, Kinder würden durch digitale Medien in Gestik und Mimik kommunikativ verarmen, bis hin zur fragwürdigen Angst vor „digitaler Demenz“, schweifte die Diskussion von den Computerspielen als dem eigentlichen Thema des Abends hin und wieder ab.
Games sind sozial und werden diverser
Um also beim Thema Computerspiele zu bleiben: Soziale Kontakte und zwischenmenschliche Kommunikation gebe es auch hier, so Paganini. Wer beispielsweise im Online-Rollenspiel mit anderen Spielern chatte, kommuniziere demnach. Das werde von den Erwachsenen aber nicht genug wahrgenommen.
Auf eine aktuelle, ethisch relevante Entwicklung verweist Inderst: Games werden diverser. Hauptfiguren seien nicht mehr nur weiß, männlich, heterosexuell und ohne Behinderung. Hier finde ein Wandel statt, der unter Gamern allerdings nicht unumstritten sei und teils als „zu viel Politik“ in Spielen wahrgenommen werde.
Die Diskussion zeigt, dass das Thema Computerspiele weiterhin emotional besetzt ist und polarisiert. Man sollte eigentlich jede Woche darüber diskutieren, resümierte Inderst. Die Referenten vermittelten ein unaufgeregtes und positiv-sachliches Bild von Computerspielen. Ihr Ansatz war primär ein moralphilosophischer. Spannend wäre sicher auch eine christlich-theologische Perspektive auf den Gegenstand: Kann man virtuell sündigen? Und wenn ja, welche Spielehandlungen sollten Stoff für das nächste Beichtgespräch sein? Diese und weitere Fragen sind sicherlich eine eigene Veranstaltung in einem katholischen Kontext wert.
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