Unsere Japanreise neigt sich ihrem Ende entgegen, doch bevor wir uns wieder auf den Weg zurück nach Deutschland machen, müssen wir noch eines der Herzstücke japanischer Kultur besichtigen. Jahrtausende alt, einstige Hauptstadt Japans und ein Ort in dem das traditionelle und moderne Japan dicht nebeneinander leben – Kyoto.
Die Luft riecht süßlich in der Stadt. Bei größter Hitze spazieren wir durch die Straßen Kyotos, bis wir schließlich den Blick nicht mehr von einem uralten Koffer am Straßenrand reißen können. Nach einigem Hin und Her beschließen wir, ihn mitzunehmen – was für ein tolles Souvenir das wäre. Durch unsere gebrochene Unterhaltung mit einem alten Japaner, der die Straße reinigt, erfahren wir, dass dies das japanische Äquivalent zu Sperrmüll ist und der Koffer nichts kostet.
Von dort an entdecken wir die Straßen Kyotos also stets in Begleitung dieses Koffers und locken so selbst die sonst immer so zurückhaltenden Japaner aus der Reserve. Es gibt viele Blicke und einiges sichtlich amüsiertes Getuschel – wer reist auch heutzutage noch mit einem solchen Koffer. Eine alte Verkäuferin ruft uns sogar „Iio nimotsu desune“ (Was für ein schöner Koffer) zu.
Wohnen ganz im japanischen Stil
In Kyoto erwartet uns ein traditionell japanisches Hotel, ein Ryokan. Hier schläft man auf rollbaren Futons, die tagsüber im Schrank verstaut sind und die Größe des Raumes wird in Tatami-Matten gemessen, die natürlich nicht mit Schuhen betreten werden. Die verschiedenen Bereiche des Raumes werden durch dünne Papierwände namens Shoji getrennt. Selbst vor dem Fenster gibt es diese Papierwände, sodass man von dem modernen Japan abgeschirmt wird und sich um gute hundert Jahre in der Zeit zurückversetzt fühlt.
Neben unseren Betten finden wir im Schrank Yukatas, eine traditionelle Bekleidung, die wir innerhalb des Hotels tragen.
Was hier in dem städtischen Ryokan jedoch fehlt, ist das Onsen. In ländlicheren Gebieten findet sich in einem Ryokan häufig ein öffentliches Bad, dessen Wasser aus einer heißen Quelle angezapft wird. Es lohnt sich also, auch außerhalb der Stadt nach solchen traditionellen Hotels Ausschau zu halten.
Eine Stadt, die man am besten zu Fuß erkundet
In den Großstädten Japans ist der Nahverkehr gut ausgebaut. Pünktlich, schnell und man nutzt jede Minute zum Schlafen. In Kyoto muss ich auf meinen Mittagsschlaf jedoch verzichten, da man hier, im Gegensatz zu Tokyo, viele Strecken zu Fuß zurücklegen kann. Hier lohnt es sich auch, nicht auf das Bahnsystem angewiesen zu sein, denn man reist durch Kyoto nicht von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit; Kyoto selbst ist die Sehenswürdigkeit.
In den Gassen Kyotos stolpert man im Grunde alle fünf Minuten über eine neue Überraschung. Malerische Häuser, außergewöhnliche Läden und kleine Tempel, die auf keiner Karte erwähnt werden. Trotz dieser Schönheit in der Altstadt Kyotos wird auch hier Praktikabilität hoch geschätzt und man findet Getränkeautomaten an jeder Ecke, die der Illusion, in die Vergangenheit gereist zu sein, ein Schnippchen schlagen.
Sightseeing in Kyoto
Doch, so schön die Altstadt und die versteckten Tempel Kyotos auch sein mögen, es gibt natürlich auch Sehenswürdigkeiten, die man sich nicht entgehen lassen darf. Eine ist zum Beispiel der Kiomizu-dera Tempel, der auf einem hohen Gerüst die Stadt überblickt. Im Stadtinneren besuchen wir den wunderschönen Zentempel Kodai-ji, in dessen Gartenanlagen man etwas Ruhe von dem touristischen Trubel findet.
Auch wenn stets empfohlen wird, zur Zeit der Kirschblüte oder der herbstlichen Blätterfärbung Japan zu besuchen – auch im Sommer sieht man eine besondere Schönheit Japans: Die Jahreszeiten treffen aufeinander; blühende Bäume neigen sich zu bunten Blättern.
Wenn Affen die Touristen sind
Am Rande Kyotos liegt der Arashiyama Park, in dem Makaken und Menschen aufeinandertreffen können. Hier sind die Tiere nicht eingesperrt wie in einem Zoo, sondern besuchen den Park bloß – man richtet sich hier nach den Affen, nicht nach den Menschen. Somit werden auch die Öffnungszeiten durch ihren Tagesrhythmus bestimmt.
Entscheidet man sich, die Affen zu füttern, kehren sich die sonst so bekannten Rollen sogar völlig um: Die Menschen gehen in ein umgittertes Haus, um von dort den Affen das Futter nach draußen zu reichen. Ein seltsamer Anblick, wenn plötzlich die Menschen hinter dem Gitter sind und die Affen sie von außen betrachten, als ob sie die Touristen seien.
Die Burg Nijo-jo
Einen Einblick in die Geschichte Japans bietet einem die Burg Nijo-jo. Sie wurde vor 400 Jahren errichtet und lässt die Besucher in die Samurai-Kultur der Feudal-Zeit eintauchen.
Mein Rückblick: Kann ich als Tourist auch ein politischer Mensch sein?
Dieses Zurschaustellen der Kultur und Traditionen geht Hand in Hand mit einem fortschrittlichen Japan mit hohem Bildungsgrad, einer außergewöhnlich gesunden Bevölkerung und einer geringen Kriminalitätsrate.
Doch auch in diesem fortschrittlichen Japan gibt es noch tiefliegende Probleme. So blicken mir in der Bahn sexistische Werbeplakate entgegen, die mich nach einigen Recherchen auf eine Spur von Misogynie und Diskriminierung führen. Frauen haben in Japan mit völlig anderen Arbeits- und Lohnsituationen zu kämpfen als Männer, die gleichgeschlechtliche Ehe ist noch immer nicht anerkannt und während stark gegen das Problem der Übergewichtigkeit vorgegangen wird, findet man kaum Bemühungen gegen die Idealisierung der Schlankheit, um das damit einhergehende Problem der Untergewichtigkeit zu lösen.
Doch am Ende bleibt für mich die Frage: Wie viele dieser Probleme sind tief in der Kultur verankert? Die Probleme in Bezug auf mangelnde Frauenrechte lassen sich zumindest teilweise auf eine grundlegend andere Gesellschaftsstruktur zurückführen, bei der Familien- und Gemeinschaftswohl eine größere Rolle spielen als Individualität. Inwieweit bin ich also überhaupt dazu in der Lage, diese Probleme zu begreifen?
Letztlich bin ich doch nur ein Tourist. Natürlich gehe ich mit offenen Augen durch Japan und versuche zu lernen, doch im Grunde weiß ich so gut wie nichts über die japanische Kultur. Wie kann ich es mir da anmaßen zu urteilen?
Dennoch sehe ich, dass in einigen Bereichen noch viel Arbeit erforderlich ist. Ich sehe Dinge, die mich als Feministin, als Frau, als Teil der LGBT+-Community oder simpel als Mensch beunruhigen und es fällt mir schwer, dieses Gefühl mit meinem Status als unwissender Tourist, als „Gaijin“ zu vereinbaren. Ich fühle mich im Recht, Diskriminierung und andere Probleme in Deutschland anzusprechen, doch inwieweit ist eine solche Kritik einem anderen Land gegenüber notwendig und ab wann verurteile ich eine Kultur, über die ich doch kaum etwas weiß?
Nicolás Heyden
Auch wieder ein sehr schöner Artikel. Wie Du ganz richtig bemerkt hast, ringt die japanische Gesellschaft noch mit stark konservativen Werten und Frauenbildern. Das war auch etwas, wo ich bei meiner eigenen Arbeitgeberin und anderen Bekannten vor Ort mich selber ermahnen musste, nicht den mahnenden Finger zu heben. Das Ideal der perfekten Hausfrau sowie arrangierte Ehen sind vor allem außerhalb der Metropolen noch Tagesthemen. Was die Kriminalitätsrate betrifft, so wäre ich sehr vorsichtig mit der Äußerung. Japan hat beim letzten Ranking der Pressefreiheit nur im unteren Drittel abgeschnitten. Zudem sind vor allem organisierte Kriminalität und Alltagskriminalität durch Wirtschaftsarmut und Nichtanerkennen psychischer Erkrankungen durchaus präsent. Nicht zuletzt ist Japan eine der wenigen Industrienationen mit der Todesstrafe. Dennoch, ich bin sehr dankbar für Deinen Dreiteiler und hoffe auf in absehbarer Zeit auf mehr! 🙂
Liebe Grüße
Charlotte Hopf
Danke für den Hinweis. Da muss ich ganz ehrlich zugeben, dass ich nicht genug tiefergehende Recherche investiert habe und mich vom äußeren Anschein habe täuschen lassen.
Freut mich, dass dir die Reiseberichte trotzdem gefallen haben!