„Es sind Wellenbewegungen, in denen der Wahn von Rassismus überschwappt, wie in den Neunzigern und wie jetzt“, so beschreibt Sängerin Marianne Rosenberg eine Fremdenfeindlichkeit, die auch sie erleben musste. Zwei starke Frauen haben im Rahmen der lit.Cologne an diesem Abend zusammengefunden, beide verbindet ihre kulturelle Herkunft: Marianne Rosenberg, Schlagerikone und Sinteza, und Nizaqete Bislimi, Anwältin für Asylrecht und Romni. Sie erzählen im Kölner NS-Dokumentationszentrum von ihren Erfahrungen mit Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung.
Auschwitz ist wie Afrika
Lange verheimlichte Marianne Rosenberg ihr kulturelles Erbe, ihr Vater wollte es so. „Die Menschen werden keine Platten mehr kaufen“, sagte er zu ihr, als sie als Teenager ihre Karriere begann. Otto Rosenberg war Auschwitz-Überlebender, der einzige seiner Familie. Die Volksgruppe der Sinti und Roma wurde in der Nazi-Zeit als „Zigeuner“ verfolgt und in Konzentrationslager deportiert.
Die Vergangenheit des Vaters hat die Kindheit von Marianne Rosenberg und ihren Geschwistern geprägt. Für sie war die Nummer auf dem Arm des Vaters selbstverständlich; die Tätowierung hatte zu ihm gehört wie zu anderen Leuten ein Leberfleck. Für die kleine Marianne war „Auschwitz so weit weg wie Afrika“, einen Grund für das unbestimmte Leid ihres Vaters kannte sie lange nicht. Mit der Schilderung ihrer frühen Kneipenerfahrungen beginnt Rosenberg am heutigen Abend die Lesung aus ihrer Autobiographie „Kokolores“. Immer wieder fährt sie sich durch ihre langen dunklen Haare, sie wirkt konzentriert, ihre Stimme ist ruhig und angenehm. Als Kind musste sie oft nachts in den Stammkneipen des Vaters auftreten und ihr Gesangstalent den betrunkenen Gästen präsentieren.
Damals ergab sich das Puzzle der Vergangenheit für sie nur bruchstückartig; wenn der Vater nachts weinte oder furchtbar wütend wurde, weil sie ihren Teller nicht aufgegessen hatte, fügten sich die Teile zusammen. Auch die Bilder der verstorbenen Verwandten waren allgegenwärtig im Hause Rosenberg. Manchmal wacht die kleine Marianne nachts auf und streichelt die Gesichter der Familienmitglieder: „ich erinnere mich besonders an das meiner kleinen Tante, die nie erwachsen geworden ist“.
Das Wort mit „Z“
Der frühe Ruhm der Marianne Rosenberg brachte der Familie wirtschaftlichen Aufstieg. Ihre Karriere war ein Familienunternehmen, Fanpost beantworteten alle gemeinsam, beim Autogrammeschreiben half ihre große Schwester. Als sie mit gerade einmal 15 Jahren eingeladen wurde, im Fußballstadion von Rio de Janeiro bei einem Schlagerwettbewerb aufzutreten, geriet sie in einen Identitätskonflikt: Juror Paul Simon, Mitglied der Band Simon & Garfunkel und jüdischer Herkunft, verweigerte ihr eine Wertung, weil sie Deutschland vertrat. Eine besonders schwierige Situation für sie: Bisher war sie immer die “deutsche Sintetza“ gewesen; nun vorzugeben, sie sei Jüdin um bei Simon Mitgefühl zu erlangen, fühlte sich für sie an wie Verrat. Stigmatisierung und Ausgrenzung erfuhr Marianne Rosenberg früh in ihrem Leben, schon in der Schule wurde sie als “Zigeunerin“ beschimpft. Einmal war es der Sohn der Klassenlehrerin, der das Wort von seiner Mutter gehört hatte. Auch heute noch wird das Wort mit „Z“ unreflektiert und unwissend die Gruppe der Sinti und Roma bezeichnend genutzt.
Von der Asylbewerberin zur Asylrechtlerin
Nizaqete Bislimi floh im Jahr 1993 mit 14 Jahren aus dem Kosovo. Die Mutter Romni, der Vater Aschkali, gehörte sie schon dort einer ethnischen Minderheit an. In der Schule erzählte sie, sie sei Albanerin; die Angst vor Ausgrenzung und Einsamkeit war groß. In Deutschland erlebt sie die scheinbar endlosen Prozedere des Aylverfahrens, wurde jahrelang nur geduldet. Trotzdem erkämpfte sie sich das Abitur und studierte Jura. „Ich habe halt einen starken Willen“, sagt sie von sich selbst. Den zeigt ihr Weg von der Asylbewerberin zur Rechtsanwältin ganz deutlich. Auch sie sah sich in Deutschland von Diskriminierung und Vorurteilen betroffen. Am Anfang hatte sie noch Angst, besonders albanisch stämmige Mandanten würden kein Vertrauen zu ihr aufbauen. Heute ist das Gegenteil der Fall. Nizaqete Bislimi wirkt authentisch und offen, die kleinen Sprachschwierigkeiten lacht sie mit ihrer sympathischen Art einfach weg. Aus ihrem Buch „Durch die Wand“ liest sie Erinnerungen an ihre Heimat. Der Geruch von Orangen hat für sie eine besondere Bedeutung: Als sie im Reisebus mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern ihre Flucht nach Slowenien antritt, riecht sie immer wieder an der Schale einer Orange, um sich von dem beißenden Gestank des Diesels abzulenken.
Romanes statt deutschem Schlager
An diesem Abend gibt es eine besondere Überraschung für das Publikum: Marianne Rosenberg wird singen. Aber keinen ihrer Schlagerklassiker wie „Er gehört zu mir“ oder „Ich bin wie du“, sondern ein Lied in Romanes, der Sprache der Sinti und Roma. Begleitet wird sie von Lulo Reinhardt, einem bekannten Jazzgitarristen und selbst Sinto. Es wird still im Publikum, und als sie die ersten Worte singt, ist jeder berührt und auf eine besondere Art betroffen. Obwohl niemand den Text verstehen kann, fühlen alle mit. Die exotisch und fremd klingenden Laute lassen ihre angenehme, hohe Stimme jetzt klagend und zerbrechlich klingen. Das kleine Podest im Veranstaltungsraum des NS-Dokumentationszentrums ist ein Wohnzimmer im Vergleich zu den großen Bühnen auf denen sie sonst singt, und eine ganz intime Atmosphäre zwischen ihr und dem Publikum entsteht.
„Eure Angst ist unser Mut“ – in diesem Sinne hat auch Otto Rosenberg gewirkt. Er hatte den Zentralverband für Sinti und Roma gegründet, den heute seine Tochter Petra weiterführt. Auch Marianne setzt sich offen für die Förderung und Integration von Sinti und Roma in Deutschland ein, und ist stolz auf ihre Herkunft. „Jeder ist eben anders“, sagt sie, und trifft damit das Anliegen nach Akzeptanz und Aufgeklärtheit gegenüber ethnischen Minderheiten auf den Punkt.
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