Herr Becker, was haben Sie gedacht, als man Ihnen sagte, dass Sie zum Einsatz nach Afghanistan reisen werden?
Ich wollte immer nach Afghanistan. Ich habe meinen Kommandeur bekniet, dass ich als Kompaniechef dorthin gehen kann. Ich habe schließlich die Verantwortung für meine Kompanie und wenn meine Soldaten nach Afghanistan geschickt werden, dann doch mit ihrem Chef, der für ihre Ausbildung verantwortlich war.
Gibt es auch die Möglichkeit zu verweigern?
Ich gebe mal ein Beispiel aus einem anderen Berufsfeld: Jemand der Medizin studiert und Arzt wird, sollte der sich weigern Operationen durchzuführen? Damit meine ich, wenn jemand diesen Beruf ergreift, sollte er sich darüber im Klaren sein, dass solche Einsätze dazugehören.
Wie haben Ihre Familie und Ihre Freunde das aufgenommen?
Begeisterung sieht anders aus. Meine Freundin hat es verstanden. Sie stand voll und ganz dahinter, weil sie mich kennt und weiß, was mir daran liegt. Klar waren meine Eltern weniger begeistert. Doch auch sie standen letztendlich hinter mir.
Wie sah Ihr Alltag aus?
Eigentlich gibt es dort keinen Alltag. Man begegnet täglich neuen Herausforderungen. Wir hatten täglich etwa zwölf bis 14 Stunden Dienst. Die landläufige Meinung, dass wir nur rumsitzen und nichts tun, ist also falsch! Das Bataillon war im Endeffekt die logistische Drehscheibe für den gesamten Norden Afghanistans. Das heißt: 350 Soldaten aus Unna haben die Logistik für 5.000 deutsche Soldaten in Afghanistan gestemmt. Wir haben in ganz Nordafghanistan die Versorgung sichergestellt, wir haben Personen und Material transportiert und Unterstützung für verbündete Nationen geleistet, wir waren eine Art bewaffneter ADAC.
Wie haben Sie die Menschen dort wahrgenommen? Zu wem hatten Sie Kontakt?
Wir hatten Kontakt zu den im Lager eingesetzten afghanischen Arbeitern und dem afghanischen Partnerbataillon, das wir im Rahmen unseres Ausbildungsauftrages unterstützen. Kontakt zur Zivilbevölkerung hatten wir wenig, wenn überhaupt zu den Sicherheitsorganen.
Gab es gefährliche Situationen?
Ja, am 1. April 2011: An diesem Tag wurde das UNO-Hauptquartier in Mazar-i-Sharif gestürmt und die sechs UNO-Mitarbeiter brutal ermordet, sie wurden enthauptet. Das war für mich persönlich eine heikle Situation, weil wir mit Teilen unserer Kompanie als Evakuierungs- und Leichenbergungstrupp betroffen waren. Wir haben die schwedische und die norwegische Mitarbeiterin des Hilfswerks geborgen. Wenn man erfährt, dass die Frau zwei Kinder hat und erst eine Woche vor dem Attentat nach Afghanistan gekommen ist, macht man sich natürlich Gedanken und ist sehr betroffen. Ich habe schließlich eine eigene Mutter zu Hause und ich möchte natürlich nicht, dass ihr so etwas passiert.
Was haben Sie aus der Zeit in Afghanistan mitgenommen?
Sehr vieles. Im Nachhinein war die Zeit in Afghanistan die schönste in meiner Zeit bei der Bundeswehr. Auf positiver Seite hat mich die Schönheit des Landes bewegt. Auf negativer Seite war es das Desinteresse der Afghanen an der eigenen Sache und am eigenen Fortschritt.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie helfen konnten?
Wenn ich mir überlege, dass der einzige Grund, warum Mädchen dort zur Schule gehen und eine Ausbildung machen können, die ISAAF-Schutztruppen sind, dann denke ich doch, dass ich meinen Beitrag geleistet habe – auf den ich ehrlich gesagt auch stolz bin.
Hatten Sie Schwierigkeiten, sich hier wieder einzugewöhnen?
Ja. In Afghanistan und im Einsatz überhaupt läuft es sehr auftragsorientiert ab. Es gibt keine anderen Optionen als den Erfolg. In Deutschland hat man mehr mit den bürokratischen Hürden zu kämpfen als in Afghanistan. Im privaten Bereich gab es keine Probleme bei der Eingewöhnung. Was mich allerdings am meisten gestört hat, sind die ganzen selbsternannten Afghanistan-Experten, darunter auch zahlreiche Studierte. Die sich also auf Grund der multimedialen Beeinflussung zu Meinungen hinreißen lassen, die in meinen Augen nicht standhaft sind.
Wie haben Sie das Gesehene verarbeitet?
Nach einem Einsatz gibt es ein sogenanntes Debriefing. Da hat man die Möglichkeit, mit einem Psychologen zu sprechen. Das gibt es auch bei der Polizei oder der Feuerwehr. Langfristig musste keiner meiner Soldaten betreut werden. Ich sage mir immer: That‘s part of the job. Wo wir wieder beim Arzt wären. Wenn der ein Unfallopfer von der Autobahn auf den Tisch bekommt, dann muss er auch professionell damit umgehen.
Finden Sie, dass die Öffentlichkeit zu wenig oder falsch über den Krieg und die vorherrschenden Bedingungen in Afghanistan informiert sind?
Es stört mich persönlich ungemein, dass eine derart geringe Akzeptanz in der Bevölkerung vorhanden ist. Es heißt in den Medien immer: Die Bundeswehr schickt so und so viele Soldaten nach Afghanistan. Das vom Volk gewählte Parlament schickt uns Soldaten in den Einsatz. Es ist nicht so, dass wir morgens irgendwann aufwachen und denken: Hach, wir schicken mal ein paar Soldaten irgendwohin. Vor dem Hintergrund erwarte ich keine Akzeptanz unseres Einsatzes, aber ich erwarte Respekt für das, was die Soldaten dort leisten. Dieser Respekt fehlt mir vielfach. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es so, dass man meinetwegen gegen den Einsatz ist, gegen die Partizipation der deutschen Bundesregierung an solchen Einsätzen, aber das man wenigstens die Soldaten unterstützt. Denn das sind alles Väter, Söhne, Mütter und Töchter, die dort im Einsatz sind und die haben mit der Entscheidung nicht zu tun, dass sie dort hingeschickt werden.
Gibt es blinde Flecken in der Berichterstattung?
Gott sei Dank gibt es blinde Flecken in der Berichterstattung. Ich glaube, meine Mutter wäre vor Sorge gestorben, wenn sie jedes sicherheitsrelevante Ereignis mitbekommen hätte.
Vielleicht würde die Gesellschaft ohne Lücken mehr für solche Themen sensibilisiert…
Andersherum gefragt: Wie viele Tote müssen wir denn haben, damit ein sensiblerer Umgang stattfindet? Ich glaube, dass die Ereignisse, über die in den deutschen Medien berichtet werden, eigentlich reichen müssten, um eine reales Bild der Vorgänge in Afghanistan zu schaffen. Das ist dort kein Kindergeburtstag!
Würden Sie noch mal nach Afghanistan reisen?
Wenn es darum geht, mit der gleichen Truppe noch einmal nach Afghanistan zu reisen, frage ich: Wo ist der Flieger?
Vielen Dank für dieses Interview, Herr Becker.
Schreibe einen Kommentar