Rückständigkeit, schwindende Mitgliederzahlen in den Gemeinden und die Einsamkeit im priesterlichen Zölibat – der bayrische Priester Rainer Maria Schießler fasst in seinem aktuellen Buch den strukturellen Problemen der katholischen Kirche ins Auge und findet Lösungsansätze. Letztendlich schafft er mit „Himmel, Herrgott, Sakrament“ ein wunderschönes Plädoyer für den Glauben an Gott und in die Zukunft der Kirche. Ich treffe den außergewöhnlichen Pfarrer zu einem Gespräch über sein Buch. Ein Kommentar.
„Liturgie darf nicht wehtun“ und „Du musst die Leute mögen“ – zwei Credos, die Rainer Maria Schießler aus seiner Zeit als priesterlicher Praktikant in einer kleinen bayrischen Gemeinde übernommen und bis heute verinnerlicht hat. Mit seiner Liebe zu Gott und den Menschen, seinen ausgefallenen Ideen und seiner offenen Art ist er beliebt geworden. Schießler ist ein echter Großseelsorger, betreut zwei Gemeinden im Münchener Glockenbachviertel und ist eigentlich immer unterwegs. Sein Vorbild: ein befreundeter Trinkhallenbesitzer, der sein Geschäft 24 Stunden für seinen Kunden geöffnet hat.
Die Fürsorge für die Gläubigen steht auch bei Pfarrer Schießler im Mittelpunkt seiner Arbeit und so ist auch er den ganzen Tag im Dienste Gottes erreichbar. Er ist so nah an den Menschen seiner Gemeinde wie wahrscheinlich kaum ein Pfarrer und so offenherzig wie vielleicht überhaupt kein katholischer Geistlicher. Homo-Ehe, katholische Priester mit Familie und kirchliche Trauung von Geschiedenen? Für ihn alles kein Problem, wäre da nicht seine Amtskirche, die nach Schießlers Ansicht in vielen gesellschaftlichen Entwicklungen noch zurückstehe.
Seinen Weg zur katholischen Kirche schlägt er schon sehr früh ein. Nach dem Abitur geht er ins Kloster. Erfüllt von der Barmherzigkeit und Bescheidenheit der Mönche stellt er trotzdem bald fest, dass sein Platz ein anderer ist: Er entscheidet sich, Priester zu werden. In seiner Studienzeit fährt er nebenbei Taxi – seine Schule des Lebens wie er heute sagt. Ständig ist er auf der Suche nach Kontakt zu den Menschen. Heute kellnert er auf dem Münchener Oktoberfest und ist dort ganz nah dran am Leben, wie er sagt.
„Auftreten statt Austreten“ lautet der Untertitel seines Buches, und ist gleichzeitig der Appell, den er an seine Leser richtet. Dass die katholische Kirche jedes Jahr mehr Kirchenaustritte als Eintritte verzeichnet, sei schon längst kein Geheimnis mehr und spätestens die leeren Kirchenbänke in den sonntäglichen Gottesdiensten das Zeugnis dafür, dass die katholische Kirche nicht mehr zu der Lebenswirklichkeit junger Menschen zu passen scheine. Kirche müsse wieder zu ihren Gläubigen finden, findet Schießer. In seiner Münchener Kirche St. Maximilian sind die Bänke auch an Wochentagen gut gefüllt, an einem Sonntag ist regelmäßig die ganze Kirche besetzt.
Aber was macht er anders als gewöhnliche Pfarrer? Warum gelingt es ihm, so viele Gläubige wieder zu erreichen? Ganz einfach: Er geht mit der Zeit. Er ist mit vollem Herzen dabei, wenn er das Evangelium verkündet– dabei lässt er auch mal einen DJ auflegen und schenkt Sekt an Weihnachten aus. Nicht selten erntetet er dafür tobenden Applaus, sein Gottesdienst – eine Glaubensfeier. Er fühlt was er sagt, denn „Sakramente musst du spüren.“
Wenn er in seine Dienstwohnung kommt, ist es allerdings für ihn vorbei mit dem Jubeln und Feiern – hier habe er sich nie richtig eingelebt. Das Zölibat zwinge Priester dazu, einsam zu leben. Niemand nehme einen Pfarrer in den Arm, wenn er nach einem anstrengenden Tag erschöpft nach Hause komme. Er plädiert dafür, das verpflichtete Zölibat für Priester aufzuheben. Was mache es für einen Unterschied, wenn ein Geistlicher, ein Seelsorger, eine Familie hat, in die er sich auch mal fallen lassen kann oder eine Frau, die ihm den Rücken stärkt? Die Hingabe für Christus und die Kirche jedenfalls würden darunter nicht leiden, so Schießler. Er hat für sich eine Lösung gefunden: Seit vielen Jahren lebt er mit einer Frau zusammen – Gunda, seiner Haushälterin und „Seelenverwandten“. Eine völlig platonische Liebe, zölibatär. Er ist offen gegenüber jeglicher Form von Partnerschaft, gleichgeschlechtliche Paare seien für ihn ganz normal. Er segnet ihre Ringe, wenn er sie schon nicht trauen darf. Die Kirche habe nicht das Recht, über die Sexualität eines Menschen zu urteilen, schreibt er. Auch Kinder aus Regenbogenfamilien hat er schon getauft, nachdem die Eltern von anderen Pfarrern weggeschickt wurden.
Für seine katholische Amtskirche sieht er ein Sanierungskonzept vor: Die Menschen abholen, anstatt darauf zu warten, dass sie selbst zum Gottesdienst finden oder so lange zu zögern, bis auch der letzte ihr den Rücken gekehrt hat. In seiner Gemeinde segnet er regelmäßig Haustiere und Fahrzeuge. Ihn selbst trifft man meist auf seinem Motorrad und in Bikermontur an, das Priesterhemdhemd trägt er nie, er habe gar keins, sagt er und lacht. Dem Problem leerstehender Kirchen blickt er ungeschönt ins Auge: Er sieht in ungenutzten Gotteshäusern den perfekten Raum für neue Moscheen und Gebetsräume. Kritikern, auch innerhalb der katholischen Kirche, entgegnet er entschieden: „Sagt es mir, dann reden wir miteinander. Es tut einer Kirche doch gut, wenn wir nicht alle gleich sind, das ist doch langweilig!“
Weiheämter sollen, wenn es nach ihm ginge, endlich auch für Frauen zugelassen werden – Diakone sollten mehr Rechte zukommen, um die Priester zu entlasten. Wenn das Zölibat nicht mehr verpflichtend für Priester wäre, könne man sich vor Anwärtern kaum retten, so Schießler. In Anbetracht des Priestermangels sei ein Umdenken dringend notwendig. Er hat den Glockenschlag gehört!
In seiner Pfarrei St. Maximilian in München ist er tief verwurzelt, die Herzen der Menschen hat er längst erobert – ganz getreu nach seinem Lebensmotto „Die größte Sünde des Lebens ist das ungelebte Leben!“
Himmel – Herrgott – Sakrament: Auftreten statt austreten. Kösel-Verlag, 11. Auflage 2016, ISBN: 978-3466371471.
wein Josef
Ich habe das Buch von Rainer Schießler vor kurzem gekauft, und muß sagen, es ist ein Top Buch-es liest sich einfach toll.Es ist ein sehr ehrliches Buch.
Empfehlen würde ich es jeden.Es gibt Einblicke in sein Priesterdasein,sein ständiges Bemühen um die Mitmenschen-seinen kritischen,offenen Umgang mit der Kirche, wo Reformen nicht fehl am Platz wären.