„Bitte lass mich nicht so werden wie meine Mutter!“ Diesen Satz werden wohl viele bereits ausgesprochen haben. Und gerade jetzt, wenn man mit der lieben Familie in der heimischen Quarantäne hockt, wird er wohl ab und zu durch den Kopf schießen. Auch ich habe diesen Spruch schon unendliche Male über meine Lippen gebracht, ohne Erfolg. Jedes Mal, wenn ich jemandem meine Mutter vorstelle, muss ich später hören: “Ihr ähnelt euch aber sehr!” – Auch wenn der Panikschweiß nun aufkommt, es gibt gewisse Gründe für die Ähnlichkeit.
Das mütterliche Erbgut
Die Genetik belegt es. Häufig geben die Mütter die Intelligenz und Statur an die Töchter weiter. Somit tendieren diese dazu, dieselbe Körperform anzunehmen, wie die Mutter. Die Haarfarbe wird ebenfalls maßgeblich von der Mutter geprägt und schließlich wurde in einer Studie der University of California festgestellt, dass psychische Eigenschaften, wie Stimmungen, öfter von Mutter zu Tochter übertragen werden, statt von Mutter zu Sohn.
Somit ist es genetisch gesehen also sehr wahrscheinlich, dass ich zu denselben Reaktionen neige, wie meine Mutter. Doch bei all der Ähnlichkeit ist nichts vollends in Stein gemeißelt, denn mein Charakter zum Beispiel ist nicht allein von der DNA abhängig, sondern auch von meiner Erziehung.
Kindheitsanekdoten
Als Kind war meine Mutter meine Anlaufstelle, egal was war. Ich freute mich morgens darauf, von Mama am Kindergartentor verabschiedet und nachmittags wieder abgeholt zu werden. Dazu muss man anmerken, dass ich meine Mutter wirklich liebe – aber sie ist eine Helikoptermutter.
Selbst der zehnminütige Grundschulweg war ihr zu viel und es zeigte sich, dass sie der schlechteste Spitzel auf Erden wäre: Sie versprach mir, dass ich den Schulweg alleine gehen dürfe. Doch sobald ich mich umdrehte, war sie bereits zu sehen und nach einigen Jahren musste ich mich damit abfinden, dass ich niemals alleine zur Grundschule laufen würde.
Irgendwann kam die Zeit, da reizte mich all das, was Mama „doof“ fand. Fußballspielen im Verein, mit Freundinnen zum Shoppen in die Stadt fahren oder einfach nur alleine und ungestört bleiben. Kurzum: die Pubertät hatte Einzug gehalten. In der Zeit lernte ich, dass bei allem was ich machen wollte, erstmal mit Gegenwind zu rechnen war. Es gab kein Thema ohne Diskussion. Während andere Freundinnen ungezwungen alle Freiheiten hatten, musste ich mir jede einzelne Hürde mit Diskussionen und Tränen erkämpfen.
In einigen Situationen bin ich als Siegerin aus dem Ring gestiegen, in anderen wurde ich mit einem K.O. in der ersten Runde bezwungen. Mit 18 wendete sich mein Interesse und ein neuer Konfliktpunkt trat auf: Discos wurden plötzlich cool. Für meine Mutter ganz klar ein Grund zur Besorgnis. Nächte lang blieb sie wach, bis ich morgens um 6 Uhr in mein Bett kroch. Jedes Mal. Ausnahmslos. Und nahm mir so den Spaß am Ausgehen.
Nicht nur die Interessensunterschiede, auch unsere Meinungen spalteten sich mit der Zeit. Mit Beginn des Bachelors wurde mir bewusst, dass sich etwas ändern müsste. Bei asiatischen Familien ist es aber nicht die Regel, dass die Kinder das Familienheim verlassen, obwohl sie in derselben Stadt studieren, in der die Eltern wohnen. Normalerweise zieht man nur aus, wenn:
1. die Anfahrt zu weit ist oder
2. man heiratet.
Meine Anfahrt war noch akzeptabel und ich hatte nicht vor, mit 19 zu heiraten, daher blieb ich erstmal im elterlichen Nest. Aber mit 22 war es dann soweit. Als auch meine Eltern innerhalb Kölns umzogen, nutzte ich die Gelegenheit, mir meinen Freiraum zu nehmen und meinem eigenen Weg zu folgen. Die Innenstadt und das WG-Leben lockten.
Gleich und Gleich gesellt sich gern – manchmal
Mit der Zeit und der Distanz versteht man erst die Wichtigkeit der Familie und auch so manche ihrer Reaktionen. „Das wirst du verstehen, wenn du älter bist“, wurde plötzlich zu: „Das verstehst du jetzt, seitdem du deine eigenen Rechnungen zahlen musst.“ Meine Eltern erkannten, dass es das „kleine Küken“ so nicht mehr gibt. Ich habe die Freiheit gewonnen, meinen Charakter zu entfalten und eigene Meinungen zu entwickeln. Das gegenseitige Vertrauen wuchs und unser Verhältnis verbesserte sich. Aber auch, wenn unsere Kommunikation offener geworden ist, einige Sachen behalte ich trotzdem lieber für mich.
Zurück in alte Muster
Natürlich herrscht auch jetzt nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Konflikte gibt es immer wieder und die alten Muster klopfen dann und wann erneut an die Tür. Das ist ganz normal. Wichtig ist, dass man Folgendes nicht vergisst:
1) Man bleibt immer die Kleine.
Denkt an eure Geschwister, die bleiben immer dieselben „Hosenscheißer(innen)“ wie damals, dasselbe gilt für eure Eltern. Auch sie werden sich immer daran erinnern, wie ihr damals selbst als „kleine(r) Hosenscheißer(in)“ eure ersten Schritte gemacht habt. Nicht nur für uns selbst, auch für unsere Eltern ist es ein Lernprozess, unsere Eigenständigkeit zuzulassen und im Zweifel doch wieder einzuspringen, wenn wir uns ausgeschlossen haben. Das heißt aber nicht, dass man sich alles gefallen lassen sollte. Sagt offen, was es mit Euch macht, wenn ihr Euch bevormundet fühlt. Macht deutlich, dass ihr eigenständige Entscheidungen treffen müsst, damit ihr Verantwortung für die positiven oder negativen Konsequenzen übernehmen könnt.
2) „YOLO“ gilt auch für eure Mütter. Ihr seid die einzigen Kinder, die sie haben und vielleicht machen sie nicht immer alles richtig. Das ist in Ordnung, denn jeder macht schließlich Fehler. Wir Töchter sind nicht diejenigen, die über ihr Fehlverhalten urteilen dürfen, denn wenn wir eines Tages selbst Mütter werden, stehen wir vor den gleichen Hürden und müssen uns behaupten. Offene Kommunikation ist das A und O. Sprecht an, was Euch stört und was ihr Euch stattdessen wünschen würdet.
3) Im Zweifel: Ablenken und wegrennen!
Der Tipp meines besten Freundes im Umgang mit meiner Mutter (natürlich nur ironisch gemeint).
Nicht alles, was eure Mütter Euch mitgeben ist ein Fluch. Einst sagte mein Vater den bekannten Spruch: „Du weißt gar nicht, wie ähnlich du deiner Mutter bist.“ Und dennoch zeigt mir sein Verhalten, dass er auch die Unterschiede zwischen mir und meiner Mutter sieht. Also mache ich wohl doch etwas anders. Ich kann mir nicht aussuchen, wie die Genetik oder die Erziehung mich in meinem Wesen beeinflusst. Es gilt also auch für mich zu akzeptieren, welche Segen oder Flüche mir mitgegeben wurden. Ich muss lernen, damit umzugehen und diese so einzusetzen, wie ich es für richtig empfinde. Denn das heißt für mich erwachsen werden.
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