Im tiefsten Mittelalter kam es vor allem in der Katholischen Kirche zur Hexenjagd. Hingerichtet wurden fast ausschließlich Frauen. Rote Haare zu haben, reichte dabei bereits aus. Zudem wurden Heilerinnen und Hebammen vermehrt zu Opfern. Achtung: Jede dieser Aussagen ist historisch falsch – es folgt die wahre Geschichte!
Um die Hexenverfolgung ranken sich zahlreiche Mythen, die wir zumeist für historische Gewissheiten halten. Zu gut passen sie in unser Bild vom Mittelalter, so treffend bedienen sie das Klischee der weltfremden und wissenschaftsfeindlichen Katholischen Kirche und heldenhaft verklären sie weise Frauen in einer misogynen Zeit. Doch es handelt sich tatsächlich um Mythen, die mit den geschichtlichen Fakten wenig zu tun haben.
Zahlreiche Krisen als Nährboden für die Hexenverfolgung
Ab dem frühen 14. Jahrhundert beginnt in Europa eine Kälteperiode, die als „Kleine Eiszeit“ bezeichnet wird. Für die Landwirtschaft sind die neuen Bedingungen eine Katastrophe. Der Ackerbau ist auf andere klimatische Verhältnisse angepasst. Die Folge sind Missernten und daraus resultierender Hunger.
Zudem kommen neue Krankheiten, wie die Syphilis, auf und im Europa des Spätmittelalters ereignet sich ein pandemischer Pestausbruch, der als „Schwarzer Tod“ in die Geschichte eingeht. Zu allem Überfluss entbrennen in der Frühen Neuzeit im Zuge der Reformation Glaubenskriege. Der Dreißigjährige Krieg verwüstet vor allem das gesamte Gebiet des heutigen Deutschlands. Zu Beginn der Neuzeit ist Europa im Krisenmodus.
Hexen als Antwort auf die Schuldfrage
Als Schuldige für die Krisen werden Hexen ausgemacht. Von Schadenszaubern, Brunnenvergiftung (was während der Pest auch den Juden vorgeworfen wird) und freilich einem Bund mit dem Teufel ist die Rede. Da vermeintliche Hexen während der Folter gezwungen werden, andere Personen der Hexerei zu denunzieren, entsteht ein Teufelskreis. Die Hexenverfolgung hat damit in der Frühen Neuzeit Hochkonjunktur, sie ist kein Phänomen des Mittelalters.
Die christliche Prägung Europas spielt dabei tatsächlich eine Rolle. So heißt es bereits im Alten Testament: „Eine Zauberin sollst du nicht am Leben lassen“ (Exodus 22,17). Seit ihrer Entstehung beschäftigt sich die Kirche daher mit Schadenszaubern und Hexerei. Thomas von Aquin, ein Dominikanermönch und gleichzeitig einer der bedeutendsten Theologen aller Zeiten, lehrt im 13. Jahrhundert, dass die Welt voller Dämonen sei und Frauen sich besonders häufig mit dem Teufel verbündeten.
Sind Hexen immer weiblich?
Tatsächlich werden mehrheitlich Frauen aufgrund von Hexerei ermordet. Allerdings ist jedes vierte Opfer der Hexenverfolgung in Europa männlich. Die Historikerin Rita Vollmer weist des Weiteren darauf hin, dass sich der Mythos hartnäckig hält, kluge Frauen, also beispielsweise Heilerinnen und Hebammen, seien öfter als Hexen angeklagt worden, was nachweislich falsch ist.
Es heißt, Kirche und Staat hätten sich zusammengetan, um das Wissen der weisen Frauen zu vernichten. Dieser Mythos wird besonders häufig in einigen – weitaus nicht allen – feministischen Milieus propagiert, da er in deren politische Agenda passt. Wenige feministische Autoren gehen sogar so weit, die Hexenverfolgung mit dem Holocaust zu vergleichen.
Alle bekannten Statistiken zeigen, dass auch rothaarige Frauen nicht besonders häufig angeklagt wurden. Bei den Denunziationen spielte viel öfter Neid eine Rolle. Macht und Geld weckten Verlockungen. Vielfach wurde der Verdacht daher auf wohlhabende Frauen und Männer gelenkt.
Der Fehlschluss: Inquisition = Hexenverfolgung
Die heutige Forschung ist sich mehrheitlich einig: Die Katholische Kirche war nicht die treibende Kraft der Hexenverfolgung. In protestantisch geprägten Gebieten wurden Hexen in deutlich größerer Zahl verfolgt und getötet. In der Frühen Neuzeit waren Schottland und Schweden große protestantische Nationen. Dort gab es eindeutig mehr Hexenprozesse als in erzkatholischen Ländern, wie Irland oder Portugal. Auch die katholischen Länder Italien und Spanien zeigen keine vergleichbar hohe Zahl an Hexenprozessen, wie es sie in protestantischen Ländern gab.
Der Historiker Wolfgang Behringer, seines Zeichens ein Experte für Hexenverfolgung, merkt an, dass die Römische Inquisition zwar Zauberei und Aberglaube verfolgte, aber selten Hexen hingerichtet habe. „Die Spanische Inquisition hat nie Hexen hingerichtet“, so Behringer, „weil sie früh zu dem Ergebnis gekommen sind, dass es Hexen überhaupt nicht gibt.“
Ein grausiges Exempel für den Hexenwahn, der dagegen unter Protestanten herrschte, zeigt die Gemeinde Vardø in Norwegen. Dort wurden 1621 aufgrund von angeblicher Hexerei 91 Menschen hingerichtet. Das entsprach damals nahezu einem Drittel der dortigen Bevölkerung. Gerade Landesherren, die sich zur Reformation bekannten, wollten zeigen, dass sie Hexerei ebenso erbarmungslos verfolgten, wie sie es von der Katholischen Kirche und ihrer Inquisition vermuteten.
Diese Vermutung war tatsächlich nicht ganz unbegründet: 1486 erschien der „Hexenhammer“ (lateinischer Originaltitel: Malleus maleficarum) des katholischen Theologen und Dominikanermönchs Heinrich Kramer. Seinem Werk stellte Kramer die von ihm selbst verfasste „Hexenbulle“ voran, die von Papst Innozenz VIII. unterzeichnet und damit apostolisch besiegelt wurde. Die Bulle wendet sich gegen den Missbrauch dämonischer Magie. Tatsächlich fand Kramers „Hexenhammer“ insgesamt aber nur wenig Anerkennung und hatte daher geringen Einfluss auf den Hexenwahn.
Das Ende der Verfolgungen in Europa
Mit der Aufklärung verdrängten Vernunft und Wissenschaft den Aberglauben. 1782 wird in der Schweiz die letzte Hexe auf europäischem Boden ermordet. In vielen Ländern des globalen Südens werden allerdings bis heute Hexen in einem Ausmaß verfolgt, dass über die vergangenen Hexenverfolgungen in Europa weit hinausgeht. Allein im 20. Jahrhundert wurden weltweit mehr Menschen wegen angeblicher Hexerei ermordet als während der gesamten europäischen Hexenverfolgung.
Quellen
- Deutsche Welle, „Warum kann es bis heute tödlich enden, als Hexe zu gelten?“, 21.07.2023.
- Robert Lemm, „Die Spanische Inquisition“, 1996.
- Claudia Opitz-Belakhal, „Hexenverfolgung. Ein historischer Femizid?“, APuZ, 31.03.2023.
- Stephan Quensel, „Hexen-Politik im frühmodernen Europa (1400 – 1800)“, 2022.
- „Die Bibel“, Einheitsübersetzung 2016.
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