Wie gehen wir mit „anderen“ um? Oder viel eher: Wie sollten wir mit „anderen“ umgehen? Das Ringen um das Recht des Anderen. Ausgetragen hinter den Türen des BAMF. Teil II einer Reportage.
Den ersten Teil verpasst? Lies hier nach, wie alles begann.
Liebe, wo bist du?
Ich frage ihn nun. Er wirkt, als wolle er es nicht hören. Wendet sich ab. Es kommt zu Schwierigkeiten mit dem Übersetzer. Eine Katastrophe. War das ein Fehler? Aber ich erinnere mich an die Fluchtgründe, an das Papier mit den juristischen Paragraphen. Ich muss diese Fragen stellen, ob sie meinem Klienten gefallen oder nicht. Und er muss antworten, hoffentlich richtig. Hoffentlich wie im Zug. Es ist ein Kampf.
Er antwortet schließlich. Gut. Der Anhörer schiebt seinerseits Fragen nach. Suggestiv. Wieder auf der Fährte angeblicher Widersprüchlichkeiten. Der große Tag meines Klienten. Aja. Dann meine zweite Frage. Das gleiche Theater von vorn. Alles formell perfekt aufgezogen. Jeder Popel wird notiert. Aber von der Menschlichkeit und dem Leid ist nie ein Wort, oder eine Geste. Man sieht schlecht nach draußen. Nur durch ein Rollo auf Schlitz. Wie im Gefängnis. Schlimmer. Die Freiheit wird einem vorgegaukelt. Das Recht. Aber nur solange, wie sie der Abschiebepraxis der politischen Mehrheit gefällt.
Wie war es noch gleich, von einem Tag auf den anderen kamen da 2016 gegenüber Syrern hauptsächlich noch Subsidiäre Schutztitel. Das hat nichts mit Recht zu tun. Nur mit Politik. Mehrheit. Und Macht. Wenn das die Wahrheit über Deutschland ist, dann Gnade uns Gott, dass die Verhältnisse nicht kippen. Geht es nur noch um die Eigeninteressen? Von der Würde des Menschen bleibt nur die Akte im Schrank mit der Notiz „Asylantrag abgelehnt.“ Abgeschoben.
Tschüss nach Italien. Tschüss nach sonst wo. Es geht mir nicht darum, dass nicht alle Menschen hier bleiben können. Es geht mir darum, wie wir mit ihnen umgehen und was unsere Motive sind. Aus Deutschland ist ein Staat der verwöhnten Egomanen geworden. So kommt es mir vor. Dabei liebe ich mein Land. Aber diese Situation zeigt mir, Deutschland hat seine Liebe offenbar an vielen Orten verloren.
Durst nach mehr!
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Diese Worte leben nicht in Büchern. Diese Worte leben oder fallen mit Taten. Im BAMF fallen diese Worte unter den Tisch. Das Interview ist zu Ende. Fast. Beim Durchlesen der Niederschrift fällt mir etwas auf. Ich muss das berichtigen. Noch eine Frage an den Klienten stellen und darum bitten, dass es in das Protokoll aufgenommen wird.
Ach, dieses Protokoll. Dem Anhörer gefällt das nicht. Ganz und gar nicht. Das ist wider das Protokoll. Vermutlich zahlt sich nun aus, dass ich mich die ganze Zeit so kooperativ gezeigt habe. Vermute ich. Vielleicht liegt es auch daran, dass da doch noch zumindest ein Rest von Herz im BAMF lebt. Ein letzter Funken Hoffnung. So wird die Frage gestellt, mein Schützling sagt das Wichtige, es wird aufgenommen und alles ist erstmal gut. Ich bin zufrieden. Obwohl der Anhörer sagt, dies sei eine absolute Ausnahme gewesen. Meinetwegen. Auch wenn ich finde, dass es eigentlich das Grundrecht meines Klienten sein sollte, etwas zu sagen, dass für seine Fluchtgründe wichtig ist und dementsprechend für die Entscheidungsgrundlage über einen positiven oder negativen Bescheid. Schließlich ist das ja sein großer Tag. Aber egal. Die Widersprüchlichkeit liegt zutage. Aber der Anhörer hat seinen Rollo ja bekanntlich so weit herabgelassen, dass vom Tag in diesem Büro fast nichts angekommen ist. Die Gläser mit Wasser, die uns serviert wurden, stehen unberührt. Wir haben Durst nach etwas anderem. Nach Mehr. Nach Gerechtigkeit.
Frei oder was?
Wir atmen. Draußen. Vor den Toren. Die Pforte und Brücke weit hinter uns. Es duftet nach Erdbeeren. Am Wegesrand finden sich leere Tetrapackflaschen des Wassers, welches in der Wartehalle verteilt wurde. Relikte. Mein Schützling ist sichtlich erleichtert. Er redet. Er redet die ganze Zeit. Betont, wie dankbar er ist, dass ich diese Fragen gestellt hab. Zum Glück. Auch ich atme durch. Dieser Kampf hat sich gelohnt. Zumindest in der Hinsicht. Es war richtig, diese Fragen zu stellen. Auch wenn ich sie beinahe nicht über die Lippen gebracht hätte. Aus Angst. Aus Unsicherheit. Die Anhörung drückt dich runter. Zumindest war es bei uns so. Eine Charikatur, wie sie kein Autor hätte besser inszenieren können. Doch leider ist dies die Wahrheit. Die Wahrheit darüber, wie in unserem Land mit der Würde des Menschen verfahren wird. „Verfahren“. Als wäre unsere Würde aushandelbar und handelbar. Als wäre sie Geld auf einer Bank. Nichts als Kalkulation und Spekulation. Ich glaube nicht, dass unsere Würde das verdient hat.
Es ist Ramadan. Erstaunlich, dass mein Klient diese Tortur so gut überstanden hat. Er ist aus Italien übers Meer gekommen, hat Folter und Tod erlebt. Okay, dann schafft er auch das noch. Dennoch, ich würde ihm einen Schluck Wasser nun echt gönnen und ich glaube auch, das wäre okay. Für Deutschland wäre das Fasten allerdings wirklich mal sinnvoll, denke ich mir. Zur Besinnung kommen, das wäre angebracht. Aufs Wesentliche Schauen. Weg von der engen Sichtweise. Weg von der Sturheit, die wie zwischen zwei Leitplanken stets nach vorne ausgerichtet zu sein scheint. Leitplanken können schützen, sie können aber auch in die Irre führen, wenn die Leute auf ihrem Weg immer schneller und schneller werden und an den richtigen Ausfahrten vorbeirauschen.
Have mercy
Wir gehen durch die Stadt spazieren. Idyllisch. Ein breiter Fluss. Ein Badestrand. Hier könnte ich Urlaub machen. Für andere, wie meinen Freund, ist diese Spielwiese ein riesiges, grenzenloses Gefängnis. Frei und doch nicht frei. Frei, aber rechtlich nur Verboten gegenüberzustehen, gefesselt zu sein durch seinen rechtlichen Status. Man darf nichts tun von dem, was das Leben lebenswert macht. Arbeiten zu wollen, nicht arbeiten zu dürfen. Leben wollen. In Würde. Das nicht alle Menschen in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt werden können, ist das eine. Dass aber teils jahrelang in Asylverfahren nichts geschieht, die Menschen den Repressalien und der Willkür im Ermessensspielraum handelnder Behörden ausgesetzt sind, das andere.
„Have Mercy“, sagt einer meiner Klienten in der Sprechstunde. Habt Gnade. Und meint damit die Ausländerbehörde. Dass sie doch ihm die Arbeit gewähren möge, die Ausbildung, welche die Möglichkeit geben würde, ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben in Würde zu führen. Die Flüchtlinge haben Gnade verdient. Und Wir. Ja wir Deutschen. Wir haben Gnade bitter nötig.
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