Damit bestehende Straßen umbenannt werden, muss zuerst einmal eine Debatte hierüber entstehen, heißt: Jemand Spezielles soll geehrt werden, wofür eine bereits anderweitig mit Namen versehene Straße umgewidmet wird, oder aber die Benennung einer Straße wird plötzlich als problematisch erlebt, weshalb eine Alternative gesucht wird. Die Debatten verraten uns immer einiges über den (veränderten) Blick der jeweils diskutierenden Gesellschaft auf Geschichte.
„Hallo Gerty, Tschüss Paul“: So führt ein Presseartikel des Trierer „Volksfreund“ Anfang 2022 die Umbenennung einer „Hindenburgstraße“ ein. Die neuen Straßenschilder erinnern nicht mehr an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, sondern an die Trierer NS-Verfolgte Gerty Spies. Vorausgegangen waren jahrelange Debatten auf Kommunalebene. Wer „Hindenburgstraße“ bei Google eingibt, bekommt massenweise solcher Fälle präsentiert.
Und wer bei Wikipedia nach „Hindenburgstraße“ sucht, erhält eine Liste mit aktuell 70 Orten in Deutschland. Mit „Hindenburgwegen“ und „-plätzen“ sieht die Sache nicht viel anders aus. Aber warum ist das Thema heute so aufsehenerregend? Was sagen öffentliche Debatten zu Straßenumbenennungen über die diskutierende Gesellschaft und ihren Bezug zu Geschichte aus?
Ehren und Gedenken
Die (Um-)Benennung von Straßen hängt stets mit Ehrungen und Gedenken zusammen. Über die Straßen und Wege, die im Gegensatz zu Fernstraßen, wie Autobahnen, nicht einfach durchnummeriert, sondern mit tatsächlichen Namen im eigentlichen Sinne versehen werden, sind heute in der Regel Kommunen und Landkreise zuständig. Die heute existierenden Straßen sind aber nicht von einen auf den anderen Tag benannt worden. Vielmehr sind ihre Namen historisch gewachsen, mitunter Jahrhunderte alt, andere abgebrochen, weitere im Entstehen. Das heißt also, dass sie unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Zeitkontexten entstammen – einem anderen Zeitgeist.
So ist es auch bei den Hindenburgstraßen. Sie wurden zu Zeitpunkten (um-)benannt, als es passend erschien. Die Erhaltung solcher Straßennamen funktioniert ebenfalls nur, wenn dem nichts entgegensteht, also etwa ein Kommunalparlament diese Frage nicht aufwirft und zu ändern gewillt und in der Lage ist. Bei Hindenburgstraßen werden diese Fragen häufig aufgeworfen. Doch warum? Ganz einfach: Hindenburg ist in der Öffentlichkeit heute sehr umstritten.
Kurzer Rückblick: Wer war eigentlich Paul von Hindenburg?
Der einst zum „Helden von Tannenberg“ stilisierte Generalfeldmarschall des Ersten Weltkriegs wurde in der Weimarer Republik zweiter Reichspräsident. Er selbst hatte dieses Amt nicht angestrebt, war mehr oder weniger dazu gedrängt worden und fragte erst beim Kaiser in dessen niederländischen Exil nach, ob gegen die Übernahme des Amtes nichts einzuwenden sei. Hindenburg hielt sich mehrere Jahre an seinen republikanischen Eid, führte noch keinen offenen Systemwandel herbei und sah links- wie rechtsradikale Ansätze kritisch.
Was er aber schließlich zu verantworten hatte, war der langsame Verfassungswandel von der demokratischen Ordnung hin zu Präsidialkabinetten, die dank (seiner) Notverordnungen am Reichstag vorbeiregierten. Nach drei Jahren Präsidialdiktatur war die Republik ausgehöhlt, die Milieus und Parteien standen einander unversöhnlich gegenüber, und Hindenburg ernannte Adolf Hitler, den „Führer“ der stärksten Partei NSDAP, zum Reichskanzler. Es vergingen eineinhalb Jahre bis zu Hindenburgs Tod, in denen Hitler ihn immer wieder beschwichtigte und politisch zur Seite drängte, bis er dank verschiedener Machtabsicherungen kaum noch vom Reichspräsidenten hätte entlassen werden können, ohne einen Bürgerkrieg herbeizuführen.
Ab Kriegsende 1945 wurden viele nach NS-Größen (um-)benannte Straßen wieder umbenannt. In jedem größeren Ort gab es eine Hitlerstraße, nicht selten auch Göringstraßen und weitere. Politisch und gesellschaftlich waren Name und Ehrung Hitlers viel zu heikel geworden. Umbenennungen schienen den Deutschen geboten, den Besatzern ohnehin. Hindenburgstraßen überlebten dies in der Regel – zumindest in den westlichen Besatzungszonen. Im Lauf der Jahrzehnte (vor allem nach dem Generationenwechsel um 1970) nahmen ihre Umbenennungen nur langsam zu.
Und die Erforschung Hindenburgs zeigt bis heute, dass seine Rolle bei der Ernennung und Unterschätzung Hitlers nach wie vor mit vielen Kontroversen behaftet ist: Wusste er zweifelsfrei, was er machte? Gab es überhaupt Handlungsalternativen für ihn? Sah er sich in der Lage, Hitler notfalls noch zu stoppen? Waren die Überschneidungen im Politischen irgendwann einfach groß genug, um Hitler schlicht handeln zu lassen? Oder war der Reichspräsident doch nur eine Marionette seiner Umgebung? Hindenburg ist schwierig zu verorten, wenngleich die Tendenz besteht, dass er genau wusste, was geschah.
Problembewusstsein
Die Entstehung des Problembewusstseins bedeutet bei Straßennamen, dass die namensgebende Person politisch und/oder gesellschaftlich nicht mehr erwünscht, unterstützenswert oder gar ehrenswert erscheint. Konkret bei Hindenburg fangen damit die Probleme bei seiner Person an: Die Zeitgenossen des Ersten Weltkriegs und große Teile der Weimarer Republik betrachteten den „Held von Tannenberg“ als positiv, im NS-Reich war sein Ruf ebenfalls gut.
Dass seit den 2000er Jahren immer mehr und intensivere Umbenennungsbegehren entstehen, ist auf die veränderte Gesellschaft zurückzuführen. Was mit dem Generationenwechsel 1970 langsam begonnen hatte, war nach dem neuerlichen Generationenwechsel 2000 viel breiter geworden. Mitunter wird vehement über das Für und Wider gestritten; das im Eingangszitat erwähnte Beispiel aus Trier mag es veranschaulichen: erst nach mehr als zehn Jahren Diskussion, unterschiedlichen Voten bei Anwohnerbefragungen, im Ortsbeirat und dem Stadtrat wurde schließlich von letzterem 2020 mit 29 zu 17 Stimmen bei vier Enthaltungen allgemein für eine Umbenennung entschieden, deren Ausgestaltung dann noch bis Anfang 2022 andauerte.
Was sind allgemein gängige Argumente für und gegen solche Umbenennungen? Zumeist wird Hindenburgs aktive Rolle bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten für eine Umbenennung angeführt. Die Forschung streitet hierüber allerdings bereits seit Jahrzehnten, und es sieht trotz neuerer Standardwerke über Hindenburg nicht danach aus, als würde sich an diesem Streitpunkt in nächster Zeit etwas ändern, auch wenn eine klare Tendenz in der Forschung besteht.
Gegen eine Umbenennung wird nicht selten genau dieser jahrzehntelange Forschungsstreit angeführt, woraufhin wieder entgegnet wird, dass eine Umbenennung schon zur Sicherheit zu rechtfertigen sei, falls Hindenburg für die Machtübergabe doch voll verantwortlich gemacht werden könne. Gelegentlich werden gegen eine Umbenennung auch praktische Erwägungen angeführt: langwierige bürokratische Prozesse, vier- bis fünfstellige Kosten für Schilder und Genehmigungen, Adressänderungen und vieles Weitere.
Die Gesellschaft und ihr Blick auf Geschichte
Was aus solchen Debatten spricht, ist nicht zuletzt ein subjektiver Blick des Einzelnen auf die Welt und die Geschichte, in der er selbst stets Subjekt ist. Einstellungen der Gesellschaft verändern sich, sind also subjektiv und stets im Wandel. Straßennamen, die an die Kolonialgeschichte erinnern, stehen aktuell beispielsweise immer mehr im Fokus. Nicht selten werden auch andere Namen hin und wieder debattiert: von monarchistischen, antisemitischen, nationalistischen, militaristischen und vielen weiteren Personen.
Als Bismarck-, Moltke- oder Lüderitzstraßen jedoch als solche benannt wurden, war dies stets mit Ehrungen versehen, also einer positiven Konnotation. Diese erfolgte durch subjektiv eingestellte Menschen, die in ihrer Zeit und von ihrer Zeit geprägt waren. Nicht anders ist es heute: Wenn Hindenburgstraßen umbenannt werden sollen, zeigt das eine inzwischen veränderte Einstellung mindestens eines Teiles der Debattierenden an: Was lange unproblematisch oder sogar erwünscht erschien, wurde irgendwann zum kontroversen Streitthema. Insofern dürften die Debatten der nächsten Jahre auch an den verbleibenden rund 70 Hindenburgstraßen nicht spurlos vorüber gehen. Und da sich die Gesellschaft stets weiter verändern wird, wird sie wohl eines Tages wieder ganz andere Namen für problematisch halten.
Was kann die Wissenschaft leisten?
Eine wissenschaftliche „Dauerlösung“ solcher Umbenennungsfragen kann nicht erbracht werden. Straßenumbenennungen sind (solange sie tatsächliche Personen-, Firmen-, oder Verbandsnamen und nicht rein geografische Namen, wie „Bergstraße“, haben sollen) immer subjektiv vom jeweiligen Zeitgeist geprägt. Die Geschichtswissenschaft kann nur eine wertneutrale Antwort auf die Frage geben, ob Straßen, wie eine Hindenburgstraße, im Sinne der heutigen Einstellungen der Gesellschaft umzubenennen wären oder nicht.
Selbst losgelöst von den Fragen um Hindenburgs Rolle bei der Machtübernahme des Nationalsozialismus 1933 wären solche Fragen deutlich mit „Ja“ zu beantworten, besaß Hindenburg doch eine Reihe von Eigenschaften, die die heutige Gesellschaft für mit ihren Grundsätzen unvereinbar erklärt: Nationalismus, Militarismus, Autoritarismus. Aber selbst dies kann sich jederzeit ändern, denn eine Gesellschaft ist nie statisch, sondern immer im Fluss: Geschichte ist stets ein offener Prozess. Hindenburg selbst erlebte das deutlich: Er wuchs in der Monarchie auf, sah den Aufstieg der demokratischen Parteien und die Geburt der Republik, konnte aber auch ihren Niedergang betrachten und den Todesstoß durch den Totalitarismus hautnah beobachten – wahrscheinlich sogar ihn erst ermöglichen.
Schreibe einen Kommentar