Binationale Paare sind durch die Einreiseregelungen der Corona-Pandemie oftmals monatelang voneinander getrennt. Häufig ohne Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen. Ich habe mit zwei Betroffenen über Sehnsucht, psychische Folgen sowie ihre Forderungen an die Politik gesprochen.
13 Monate und 12 Tage. Das war die längste Zeitspanne, die Elisabeth Lorbeer ihren Freund Vinayak nicht gesehen hat. Sie lebt in Deutschland, in der Nähe von München, er in Neu-Delhi in Indien. Die beiden sind seit drei Jahren ein Paar und haben sich in Vor-Corona-Zeiten regelmäßig alle drei bis vier Monate getroffen. Als sie sich im Oktober 2019 wieder voneinander verabschiedeten, ahnten sie noch nicht, dass ihr nächstes Treffen aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden würde. Aus dem für März 2020 geplanten Treffen wurde nichts. Es vergehen 13 qualvolle Monate, in denen sie sich aufgrund der Einreisebeschränkungen nicht besuchen können, bevor sie sich dann im November 2020 kurzerhand für zwölf wundervolle Tage auf den Malediven treffen.
Auch danach folgen wieder beinahe sechs Monate ohne ein weiteres Treffen, bevor Vinayak im April 2021 endlich nach Deutschland kommt. Lange wird er aber wohl nicht bleiben. Seine Eltern haben sich mit dem Virus infiziert und liegen nun in einem indischen Krankenhaus, sodass Vinayak bald zurückfliegen wird, um bei seiner Familie sein zu können. Elisabeth graut es bereits jetzt vor dem Tag seiner Abreise. Da Indien mittlerweile vom RKI zum Virusvariantengebiet erklärt wurde, wird eine erneute Einreise nach Deutschland für ihn auf unabsehbare Zeit nicht möglich sein.
Heiraten als zeitliche Herausforderung
Sieben Monate. So lange hat Alina ihren Freund Eddie letztes Jahr nicht sehen können. Sie kommt aus Deutschland, er aus Südafrika. Die beiden sind bereits seit viereinhalb Jahren ein Paar und haben sich normalerweise sechs bis neun Mal pro Jahr getroffen. Das letzte Mal in Südafrika war Alina Anfang 2020. Sie kam im April mit den Rückholflügen der Regierung zurück nach Deutschland. Nach sieben langen Monaten kommt Eddie dann im November 2020 mithilfe der Ausnahmeregelung für unverheiratete Paare endlich zu ihr. Drei Monate später muss er das Land aber wieder verlassen. Eine erneute Einreise scheint in naher Zukunft unmöglich, da Südafrika seit Anfang Januar auf der Liste der Virusvariantengebiete steht. In diesem Fall greift auch die Ausnahmeregelung für unverheiratete Paare nicht mehr.
Alina und Eddie wollen bald heiraten. Die Beantragung ihrer Hochzeit hat sich coronabedingt verzögert. Der gesamte Prozess um die Befreiung vom eigentlich notwendigen Ehefähigkeitszeugnis durch das zuständige Oberlandesgericht dauerte beinahe eineinhalb Jahre an. Diese Befreiung ist lediglich sechs Monate gültig. In diesem Zeitraum müssen für die beiden die Hochzeitsglocken läuten. Ansonsten müssen sie den gesamten Prozess der Beantragung ihrer Hochzeit erneut durchlaufen. Das stellt das junge Paar vor eine zeitliche Herausforderung, da eine erneute Einreise von Eddie nach Deutschland aufgrund der pandemischen Lage aktuell immer noch nicht möglich ist.
Die Pandemie stürzt binationale Paare in die Krise
Beziehungen wie die von Elisabeth und Vinayak sowie Alina und Eddie machen lediglich einen Bruchteil aller binationalen Partnerschaften aus. „Jede siebte Ehe in Deutschland ist binational“, weiß Carmen Colinas. Sie arbeitet als Referentin für Öffentlichkeit & Kommunikation beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Der Verband „arbeitet bundesweit an den Schnittstellen von Familien-, Migrations- und Bildungspolitik“ und ist „auf Bundes-, Länder- und zugleich auf kommunaler Ebene die einzige Interessenvertretung binationaler, migrantischer und globaler Familien und Paare.“ Carmen Colinas betont jedoch, dass es sich bei dieser Zahl an binationalen Partnerschaften lediglich um Ehen handle. „Paare, die nicht verheiratet sind, werden in diesen statistischen Erhebungen nicht mit reingezählt. Selbst verheiratete Paare, bei denen ein Partner ursprünglich aus einem anderen Land kommt, aber mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, werden in den Zahlen des statistischen Bundesamtes nicht berücksichtigt.“
Colinas macht deutlich, dass binationale Partnerschaften in Folge der Globalisierung heutzutage keine Seltenheit mehr sind: „Menschen gehen für ihr Studium oder den Job vermehrt ins Ausland. Natürlich kommt es dann durchaus vor, dass manche in dieser Zeit eine Partnerschaft eingehen. Dass binationale Beziehungen heutzutage ein fester Bestandteil der Gesellschaft sind, ist leider noch nicht bei der Politik angekommen. Hier muss unbedingt ein Umdenken stattfinden – in der Politik, aber auch gesamtgesellschaftlich. Binationalen Paaren wird es extrem schwer gemacht. Sie leiden nicht nur unter Rassismus-Erfahrungen durch ihr Umfeld, sondern auch unter den bürokratischen Hürden.“
Einreisebeschränkungen stellen binationale Paare vor Schwierigkeiten
Mit Beginn der Corona-Pandemie traten am 17. März 2020 die EU-weit einheitlichen Einreisebeschränkungen für nicht-notwendige Reisen in die EU in Kraft. Diese Regelungen stellen binationale Paare seitdem vor große Herausforderungen. Für Paare, die in zwei verschiedenen EU-Staaten leben, wurde ein Besuch im Zuge einer innereuropäischen Lösung bald darauf wieder möglich. Mitte August 2020 wurde dann die Ausnahmeregelung für unverheiratete Paare beschlossen. Diese ermöglichte es auch Menschen aus Drittstaaten, ihren in Deutschland lebenden Partner wieder zu besuchen. Voraussetzung hierfür sind eine von beiden Partnern unterschriebene Erklärung zur Beziehung, ein Einladungsschreiben des in Deutschland lebenden Partners sowie Nachweise von vorherigen persönlichen Treffen zur Authentizität der Beziehung wie beispielsweise Fotos oder Briefe.
Für Personen aus einem Drittstaat, welcher inzwischen vom RKI als “Virusvariantengebiet” eingestuft wird, ist diese Ausnahmeregelung für unverheiratete Paare mittlerweile wieder obsolet. Doch auch vor dem Aufkommen der Virusmutationen in Ländern wie Südafrika, Brasilien oder Indien bedeutete die Ausnahmeregelung nicht zwangsläufig ein Wiedersehen für die Liebenden. „Die Wartezeiten für eine Visumsgenehmigung belaufen sich teilweise auf mehr als ein Jahr, weil viele Ämter und Botschaften ihre Öffnungszeiten im Zuge der Corona-Pandemie stark reduziert haben und nur selten eine entsprechende alternative Bearbeitung der Anträge online anbieten“, beklagt Carmen Colinas. Laut Alina, eine der Betroffenen, wird das Visum ihres Freundes zwar bearbeitet, allerdings bis zum Ende des Einreiseverbots wohl nicht ausgestellt. Selbst wenn also mithilfe der Ausnahmeregelung für unverheiratete Paare eine Einreise theoretisch möglich ist, so scheitert dies dann in vielen Fällen aufgrund nicht ausgestellter Visa.
Ungewissheit verursacht psychische Folgen
„Die Pandemie erzeugt teilweise Depressionen unter den Betroffenen. Wir bieten im Verband neben der juristischen auch eine psycho-soziale Beratung an und verweisen in akuten Notsituationen, beispielweise am Wochenende, auf das Sorgentelefon. Der Verband ist nicht nur Interessenvertretung, sondern bietet ganz konkret auch Beratungen für die Betroffenen. Auch Konflikte innerhalb der Beziehungen aufgrund der langen Wartezeiten sind immer wieder Thema. Das war bereits vor Corona ein Problem, die Pandemie verschärft die Thematik nun noch“, weiß Carmen Colinas. Alina, die ihren Freund das letzte Mal vor mehr als drei Monaten gesehen hat, nimmt die räumliche Trennung sehr mit. Sie leidet vor allem unter der Ungewissheit, wann ein nächstes Treffen möglich sein wird: „Wir können nicht Teil des alltäglichen Lebens des anderen sein und fühlen uns allein. All unsere Tage beginnen damit, dass wir die offizielle Seite der Botschaft nach Neuigkeiten absuchen.“ Auch Elisabeth findet: „Eine normale Fernbeziehung ist schon nicht leicht, aber die Ungewissheit, wann und ob man sich wiedersehen kann, ist kaum auszuhalten.“
Viele Betroffene müssen durch die Pandemie und die daraus resultierenden Einreiseverbote ihre Zukunftspläne erst einmal auf Eis legen. Hochzeit, erste gemeinsame Wohnung, geplanter Nachwuchs, Familienzusammenführung – all das ist für binationale Paare auf unbestimmte Zeit nicht möglich. „Wir betreuen in unserem Verband auch Frauen, die im vergangenen Jahr Mutter geworden sind. Der leibliche Vater des Kindes erhält dann aufgrund der Pandemie oftmals kein Visum und kann infolgedessen nicht bei seiner Partnerin und dem gemeinsamen Kind sein“, berichtet Carmen Colinas. „In solchen Situationen sollte zum Wohle des Kindes entschieden werden, was eine garantierte und beschleunigte Visumsausstellung erfordert. Hierfür muss unbedingt eine Entbürokratisierung der Prozesse stattfinden. Wir sollten die Bedürfnisse von Familien und Paaren priorisieren, statt irgendwelche Länder wieder zu freien Tourismuszonen zu erklären. Dass Reisen nach Mallorca mittlerweile wieder möglich sind, während viele Paare und Familien sich nach über einem Jahr immer noch nicht wiedersehen können, sorgt für großes Unverständnis sowohl in unserem Verband als auch unter den Betroffenen“, erklärt Carmen Colinas.
Klare Forderungen an die Politik
Mit der Bewegung „Love is not tourism“ tun sich Betroffene zusammen, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen und für ein Wiedersehen mit ihren Liebsten einzustehen. Sie sind in den sozialen Medien miteinander vernetzt, mit Lokalpolitikern in Kontakt und organisieren regelmäßig Demonstrationen. Alle Teilnehmer verstehen, dass in Zeiten einer globalen Pandemie von Seiten der Politik bestimmte Grenzen gezogen werden müssen. Den Betroffenen ist es aber wichtig zu betonen, dass ihre Reisebewegungen eben nicht mit dem klassischen Tourismus zu vergleichen sind. Ihnen geht es nicht um eine schöne Urlaubsreise. Vielmehr stehen sie unter anderem für den Artikel 16 der Menschenrechte ein: „Das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen“. Länder wie Südafrika und Brasilien gelten laut RKI bereits seit Januar 2021 als “Virusvariantengebiete”. Indien kam Ende April hinzu. Seitdem wird das Einreiseverbot aus diesen Ländern im zweiwöchigen Rhythmus um jeweils 14 Tage verlängert. „Es ist nicht zu verstehen, dass seit nunmehr über drei Monaten zweiwöchentlich die Einreise- und Beförderungsverbote ohne Erläuterungen oder Aussicht auf Änderung verlängert werden“, kommentiert Alina die aktuelle Situation.
Die ständigen Verlängerungen der Einreiseverbote aus Virusvariantengebieten, die scheinbar keinem konkreten Plan der Politik unterliegen, machen es für die Betroffenen immens schwierig, zukünftige Treffen zu planen. Carmen Colinas findet klare Worte: „Das Vorgehen der Politik in dieser Situation ist reine Taktik, sie sitzt das Ganze schlichtweg aus.“ Die Stimmung in der „Love is not tourism“-Bewegung wirkt nach mehr als einem Jahr Pandemie resigniert. „Von der Politik wünsche ich mir, dass sie die bürokratischen Hürden für binationale Paare hinsichtlich Einreise, Aufenthalt und Heirat abbaut. Viele Paare stehen vor immensen Hürden, um überhaupt heiraten zu dürfen. Das war bereits vor Corona ein Problem. Daher wird die Heirat meistens hinausgeschoben. Das rächt sich jetzt, da unverheiratete Paare mit Partnern aus Drittstaaten während der Pandemie kaum Rechte haben“, meint Elisabeth. Da die Einreise nach Deutschland aus einem Virusvariantengebiet auf direktem Weg nicht erlaubt ist, wählen viele Betroffene die Route über ein Drittland. Hierfür verbringen sie mindestens zehn Tage in einem Land außerhalb des Schengen-Raums, bevor sie nach Deutschland einreisen. Ob diese zusätzlichen Reisen im Sinne der Pandemiebekämpfung sind, bleibt zu bezweifeln. In vielen Fällen stellt dieser Weg jedoch die einzige Möglichkeit für die Paare dar, sich wiederzusehen.
Räumlich getrennt, im Herzen vereint
Die Situation der binationalen Paare hat sich durch die Pandemie drastisch verschlechtert. Auch nach mehr als einem Jahr Pandemie sind für sie keine zufriedenstellenden Lösungen gefunden worden. Vielmehr sind ihre Beziehungen den scheinbar willkürlichen Entscheidungen der Politik ausgesetzt. Auch wenn das vergangene Jahr mit all den neuen pandemiebedingten Einreisebeschränkungen immens an ihren Kräften gezehrt hat, werden sie sich weiter für ihr Recht auf ihre Beziehung einsetzen. Viele der Paare verbindet eine Liebe, die die Distanz eines ganzen Ozeans zu überwinden vermag. Sie sind räumlich voneinander getrennt, im Herzen jedoch fest vereint. Für sie alle steht fest, dass sie weiterkämpfen werden für ihre Liebe.
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