Internetplattformen wie Google und Facebook sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Längst haben diese Global Player einen Standard etabliert, der zunehmend auch auf einer (sozialen) Abhängigkeit seiner Nutzer aufbaut. Trotz Datenskandalen und öffentlicher Kritik bleiben Plattformen das Erfolgsmodell für die globale Ökonomie des 21. Jahrhunderts. Doch dabei stellen sie die traditionelle, kapitalistische Ordnung grundlegend auf den Kopf und führen die konventionelle Marktlogik von Angebot, Nachfrage und Preis ad absurdum.
Ein kostenloser Service?
Bereits die zentrale Charakteristik weist hier auf eine Systematik hin, die mit den bisherigen Spielregeln klassisch-kapitalistischer Marktwirtschaft unvereinbar scheint. So mutet die unbegrenzte Nutzung eines scheinbar kostenlosen Service in einer Welt von eng kalkulierten Stückkosten und minimalen Gewinnmargen doch bizarr an. Und tatsächlich ist die Plattformökonomie nicht weniger als ein fundamentaler Paradigmenwechsel, eine grundlegende Transformation des kapitalistischen Systems, in der nicht mehr Industrieprodukte, sondern vor allem Daten zum Treiber der modernen Wirtschaft werden. In der verborgenen Welt von Algorithmen und A.I. werden Nutzerdaten als Abfallprodukt, z.B. von Suchoperationen, systematisch verwertet (Zuboff, 2019: 10-18)[1] . Nutzerverhalten kann somit nicht nur vorausgesagt, sondern auch bewusst gesteuert werden kann. Dieses System wird seit Shoshana Zuboff`s (2019)[1] gleichnamigen Buch vor allem als „Überwachungskapitalismus“ bezeichnet. So lässt sich z.B. über die Auswertung von Suchanfragen und dem gezielten Einblenden personalisierter Werbung das Kaufverhalten seiner Nutzer direkt beeinflussen.
Aufstieg der Tech-Giganten
Die Ursprünge von Google und Co. sind noch dem aufklärerischen Idealismus eines frühen Internets verhaftet, wo wissenschaftlicher Fortschritt Menschen mit einer offenen Infrastruktur zu einer diversen und freien Global Society zu integrieren sucht (Bartlett, 2018: 75-85)[3]. Die Verbindung von Technologie mit Kapitalismus hat diese Tech-Hippies jedoch sehr bald zu Geschäftsleuten werden lassen und so das Prinzip eines freien und unbegrenzten Raums, ohne Schranken und zugänglich für jeden dem Profitstreben unterlegt (Barbrook, 1996)[2]. Plattformen wie Google und Facebook haben so in den vergangenen Dekaden einen massiven wirtschaftlichen Aufstieg erlebt. Aus den Garagen des Silicon Valley haben sich die Internetriesen ein Imperium geschaffen, dass die globalen Märkte dominiert. Während große Ölkonzerne das industrielle Zeitalter prägten, besteht die Rangliste der 20 wertvollsten Unternehmen heute fast ausschließlich aus Plattformen. In dieser „Post-industriellen Gesellschaft“ (Alain Touraine) besitzen Technologiegiganten wie Amazon und Google jeweils einen Wert von knapp 300 Milliarden Dollar, während traditionelle Unternehmen wie McDonalds (130 Mrd.) und AT&T (100 Mrd.) gerade noch auf Rang 9 und 10 zu finden sind (BrandZ, 2019). Das vollkommene Verschwinden der Ölkonzerne aus dieser Liste verdeutlicht einen elementaren Strukturwandel hin zu immateriellen Gütern.
Das Plattformmonopol
Ein strukturelles Problem ergibt sich allerdings aus der dauerhaften Konzentration von Marktmacht in den Händen weniger Anbieter. So ist z.B. Google im Jahr 2018 mehr Wert ist als die gesamte restliche Telekommunikationsindustrie (Precht, 2018, pp.: 48-50)[5]! Dieser Trend zur Monopolisierung ist allerdings keine Anomalie, sondern zentrale Charakteristik der Plattformökonomie. Plattformen operieren hier an neuralgischen Punkten als Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage und monopolisieren somit die Schaltstellen zwischen beiden Akteuren. Zudem wächst die Qualität des Plattformservices für den Nutzer mit zunehmender Nutzerzahl. Dieser Netzwerkeffekt sorgt u.a. dafür, dass Plattformen wie Facebook in den vergangenen Jahren mit zunehmender Nutzerzahl eine gewisse Sogwirkung, einen sozialen Druck erreichte, sodass andere Nutzer immer mehr aus konkurrierenden Plattformen abwandern, um weiter mit ihren Freunden in Verbindung zu bleiben und nicht von Information ausgeschlossen zu werden (Srnicek, 2017: 36-38)[6].
Die Plattformen haben hier einerseits eine enorme infrastrukturelle Macht, um den Zugang zu Informationen einschränken zu können. So kann die Akzeptanz der AGBs zum Beispiel als Grundvoraussetzung für die weitere Nutzung der (eigenen) hochgeladenen Bilder gelten. Andererseits bringen Netzwerkeffekte aber auch eine Tendenz zur Monopolisierung, da die systemimmanente Winner-Takes-All-Mentalität dazu führt, dass Plattformen entweder expandieren müssen oder irgendwann aussterben bzw. übernommen werden. So wollen sie nicht nur den Markt dominieren, sondern selbst der Markt werden (Bartlett, 2018: 70)[3].
Kapitalismus ohne Wettbewerbe?
Der Plattform-Kapitalismus unterscheidet sich unter anderem vom klassischen Kapitalismus als seine systemimmanente Dynamik zwangsläufig ein Monopol zu bilden sucht und somit den Wettbewerb als zentrales Steuerungsinstrument einer liberalen Wirtschaftsordnung systematisch unterminiert. Wo in der klassischen Smithschen Theorie der Wettbewerb das zentrale Charakteristikum einer stabilen Wirtschaftsordnung (inklusive umfassender Versorgung mit einem breiten Güterangebot) bildet, tritt ein Modell zutage, dass die komplette ökonomische Logik verändert. Ausgestattet mit einem massiven up-Front Investment und der Akzeptanz von massiven Verlusten über mehrere Jahre hinweg, besteht das primäre Geschäftsziel nicht in der Profitmaximierung, sondern der möglichst schnellen Erhöhung des Marktanteils (Montalban, Frigant und Jullien, 2019)[4] . Der Einfluss über die grundlegende Infrastruktur und ihrer Größe machen Plattformen „too big to fail“ (Heim, 2019). Diese Dynamik bildet somit die Grundlage für die Dominanz über ganze Wirtschaftssektoren, die ungeregelt auch in weitere Bereiche exportiert wird (z.B. Politik).
Gewinn ohne Risiko
Eine weitere Auffälligkeit des Plattformkapitalismus ist, dass der Faktor des ökonomischen Risikos weitgehend ausgeschaltet oder ausgelagert wurde. In der klassischen Ökonomie unterliegen so z.B. Investments als Wette auf zukünftige Aufträge durch möglichst volle Auslastung der Produktionskapazitäten Chancen und Risiken.
Die Plattformökonomie hat es allerdings geschafft, die Freiheit menschlicher Entscheidungen, welche in der betriebswirtschaftlichen Analyse als relativ unkalkulierbare Variable auftrat, bewusst zu instrumentalisieren. Durch die Auswertung von Nutzerprofilen wird Planbarkeit bzw. Steuerung von Nutzerverhalten erreicht und das unternehmerische Risiko nahezu ausgeschaltet. Hiermit verknüpft, ist die grundsätzliche Auslagerung kapitalintensiver Investitionen. Plattformen monopolisieren nur die Netzinfrastruktur und fungieren somit als Torwächter über den Zugang zu Produkten und Services, stellen aber die angebotenen Produkte meist nicht selbst her (Heim, 2019). Während Hotels so z.B. kontinuierlich in ihre Ausstattung und zusätzliche Betten investieren müssen, bringen Plattformen hier lediglich Käufer und Verkäufer zusammen (Bartlett, 2018: 70)[3]. So entsteht ein Modell, dass zwar die Gewinne an der Schaltstelle zwischen Angebot und Nachfrage zum Teil abgreift, aber das Risiko selbst großteils ausgliedert.
Die neue Regulierung der Märkte
Die zentral veränderten Marktlogik dieses neuen Plattformkapitalismus hat u.a. dazu geführt, dass vorhandene Instrumente zur Marktregulierung (z.B. durch Kartellgesetze) ausgehöhlt wurden . Diese strukturellen Defizite des modernen Wirtschaftssystems bieten Plattformen Möglichkeiten, ihre ökonomische Bedeutung weitgehend ungebremst zu steigern. Während die zentralen Charakteristika hier zwar in vielen Punkten, z.B. vom Nachkriegskapitalismus, abweichen und die Wertschöpfungsketten verschleiert bleiben, so bleibt doch die Gewinnmaximierung als zentraler Treiber unangetastet. So bieten in diesem Sinne Plattformen keine kostenfreien Services – lediglich die Form der Abrechnung als Daten hat sich hier geändert. Es ist daher ratsam den institutionellen Rahmen z.B. auch im Hinblick auf die Steuergesetzgebung an die moderne Ökonomie anzupassen, um vor allem den Veränderungen im Kontext der Plattformökonomie Rechnung zu tragen.
[1]Zuboff, S. (2019b). The age of surveillance capitalism. New York: PublicAffairs.
[2]Barbrook, R. and Cameron, A. (1996). The Californian ideology. Science as Culture, 6(1), pp.44-72.
[3]Bartlett, J. (2018). The people vs tech. London: Ebury Press.
[4]Montalban, M., Frigant, V. and Jullien, B. (2019). Platform economy as a new form of capitalism: a Régulationist research programme. Cambridge Journal of Economics, 43(4), pp.805-824.
[5]Precht, R. (2018). Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft. 1st ed. München: Goldmann Verlag.
[6]Srnicek, N. (2017). Platform capitalism. 1st ed. Cambridge: Polity Press.
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