Das größte Jugendlager für Menschen mit Behinderung kommt nach Deutschland: 500 Menschen aus aller Welt verbringen eine Woche Urlaub in Bayern. Benedikt Bögle berichtet über ein außergewöhnliches Projekt.
Fünfhundert Teilnehmer aus über zwanzig Ländern und 40.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit: So wird das „Internationale Malteser Sommerlager“ (IMS) aussehen. Dieses Sommerlager sei „das größte internationale Jugendlager für Menschen mit Behinderung weltweit“, sagt die Organisatorin Amelie von Aulock. Eine Woche lang können Menschen mit Behinderung einfach mal Urlaub machen und Dinge erleben, die sie normalerweise nicht machen können. Jeder Gast bekommt einen Begleiter, der ihn jeden Tag der Woche begleitet und ihm „alle Wünsche von den Augen abliest“, meint von Aulock.
Deutschland als Gastgeber
Das Treffen findet jährlich im Sommer statt, Gastgeber ist immer ein anderes Land. In diesem Jahr wird das Sommerlager Anfang an August in Deutschland stattfinden, im oberbayerischen Klosterdorf Ettal. Tagsüber werden viele Ausflüge in das umliegende Ammertal und in ganz Oberbayern angeboten: Reiten und Gleitschirmfliegen, Fahrten in die Landeshauptstadt München oder Sommerrodeln. Abends wird in einer eigens eingerichteten Disco dann miteinander gefeiert: Lebensfreude und Gemeinschaft stehen an oberster Stelle.
Organisator ist der Malteserorden
Organisator des Treffens ist die „Gemeinschaft junger Malteser“, die Jugend des katholischen Malteserordens. Dieser Orden wurde vor 900 Jahren gegründet, der Ursprung der Gemeinschaft liegt in Jerusalem: Dort gründeten die Ritter von Malta im zwölften Jahrhundert ein Krankenhaus. Die Gemeinschaft der Ritter wurde als Laienorden anerkannt, heute zählt er etwa 13 500 Mitglieder weltweit. Die Mission der Malteser: Sorge um Kranke, um Menschen mit Behinderung und Flüchtlingshilfe. So gehört etwa der „Malteser Hilfsdienst“ zum Orden, der in ganz Deutschland Aufgaben im Katastrophenschutz und Sanitätsdienst übernimmt.
Besonders im Mittelpunkt steht für die jungen Malteser die Arbeit für Menschen mit Behinderung. „Wir wollen die Blickrichtung des öffentlichen Diskurses ändern und zeigen, wie viele Dinge mit Menschen mit Behinderung möglich sind – und das vermeintlich Unmögliche möglich machen“, sagt Organisatorin Aulock. Das Sommerlager ist dabei nicht das einzige Projekt: In Deutschland, im Libanon und in Rumänien engagieren sich junge Menschen und versuchen, den Menschen mit Behinderung ein Leben in Würde zu ermöglichen.
Die schönsten Klischees Deutschlands
So auch beim Sommercamp in Deutschland: Ehrenamtliche aus aller Welt kommen eine Woche lang nach Ettal, um den reibungslosen Ablauf des Sommerlagers zu gewährleisten. Sie helfen in der Küche und bei organisatorischen Aufgaben, kümmern sich um Transport und Logistik, planen die verschiedenen Aktivitäten der Woche. Das Klosterdorf Ettal ist dafür der ideale Ort. Seit 1330 leben dort Benediktiner, denen sich der Malteserorden besonders verbunden fühlt. „Ettal vereint schon auf eine äußert schöne und kitschige Weise die Klischees von Deutschland: ein Dorf mit Holzhäusern, die Berge, die Brauerei, das barocke Kloster – außerdem gibt die als Urlaubsregion bekannte Gegend unglaublich viele Ausflugsziele her“, so Aulock.
Finanzierung durch Spenden
Die Woche kostet: Das Ettaler Kloster braucht etwa Rampen für Rollstuhlfahrer, die Verpflegung der 500 Teilnehmer muss gestemmt werden und auch die Ausflüge müssen bezahlt werden. Finanziert wird diese Woche durch die Ehrenamtlichen selbst. Wer hilft, leistet auch einen finanziellen Beitrag. Dadurch können aber nicht alle Kosten gedeckt werden, die Malteser sind auf Spenden angewiesen, die das Sommerlager finanzieren können.
Mehr Informationen gibt’s unter www.maltacamp2019.de.
Andrea Schöne
Hallo Benedikt,
als junge Frau und Journalistin mit Behinderung lese ich mir immer besonders gerne die Artikel von Kolleg*innen rund um die Themen Behinderung und Inklusion durch. Ich finde es auch sehr gut, dass du dich journalistisch mit beiden Themen beschäftigst. Menschen mit Behinderung sind in den deutschen Medien unterrepräsentiert. Ich bin mir sehr sicher: Das wolltest du mit dem Artikel auch ändern.
Bei diesem Jugendcamp der Malteser muss ich dir aber eindeutig widersprechen, dass dies gelebte Inklusion ist. Inklusion bedeutet, dass Menschen mit und ohne eine Behinderung ganz selbstverständlich die Welt gestalten. In diesem Jugendcamp sind aber nur junge Menschen mit Behinderung die Teilnehmer*innen, junge Leute ohne Behinderung nicht. Außer als Betreuer*innen, was nicht das gleiche ist. Somit bleiben behinderte Menschen unter sich und isoliert von der Gesellschaft. Das ist Exklusion.
Zum anderen bleiben sie in einer Fürsorge-Rolle, die behinderte Menschen ablehnen. Besonders zeigen das Worte wie “jeden Wunsch von den Augen ablesen”. Das bedeutet auch unterschwellig, dass ein Leben mit Behinderung so schlecht ist, dass man ihnen auch mal eine Freude machen muss. Das Leben von behinderten Menschen ist nicht schlechter oder besser wie das von Menschen ohne Behinderung.
Womit ich auch gleich zu der “Disko” komme. Auch dort bleiben die jungen Leute immer unter sich und der Fürsorge-Charakter setzt sich fort. Lebensfreude und Gemeinschaft sind für mich auch im Leben sehr wichtig, aber nicht in der abgeschatteten “Behinderten-Party”. Ich war auch 6 Metal-Festivals und dort nie die einzige mit Behinderung. Trübsal geblasen hat da auch keiner, ganz im Gegenteil.
Ich unterstelle dir und auch der Malteser-Jugend auf gar keinen Fall, dass ihr behinderten Menschen damit schaden wollt. Aber ich möchte gerne die Eigensicht von einer jungen Frau mit Behinderung geben. Sprachlich finde ich es z.B. wiederum sehr gut, dass du von Menschen mit Behinderung und nicht “Behinderten” sprichst, da hiermit sprachlich der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht die Behinderung. Wenn du dich über eine klischeefreie Berichterstattung über behinderte Menschen näher informieren willst, dann empfehle ich dir Leidmedien: https://leidmedien.de/
Dazu können auch Workshops von Leidmedien angefragt werden.
Zum Schluss will ich noch kurz auf ein Zitat kommen: „Wir wollen die Blickrichtung des öffentlichen Diskurses ändern und zeigen, wie viele Dinge mit Menschen mit Behinderung möglich sind – und das vermeintlich Unmögliche möglich machen.“
Das finde ich ein sehr gutes Statement. Daher würde ich sehr gerne mit der Malteser-Jugend zu dem Jugendcamp in Kontakt treten und meine Beratung anbieten wie man es wirklich inklusive machen kann. Dann wird deren Wunsch auch wahr werden. Dass die jungen Leute für ihre ehrenamtliche Arbeit gar Kosten selbst tragen müssen, würde nicht jeder machen. Das finde ich sehr lobenswert. Ich würde mich sehr freuen, wenn du da für mich den Kontakt herstellen könntest.
Benedikt Bögle
Liebe Andrea,
vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar zu meinem Artikel.
Vielleicht ein paar Bemerkungen dazu. Ich habe mich wohl leider an einigen Stellen nicht klar genug ausgedrückt.
Zunächst zu der von Dir so genannten “Behinderten-Party”. Jeden Abend werden alle Teilnehmer des Sommerlagers zusammen feiern – nicht Menschen mit Behinderung wie von Dir so bezeichnet “abgeschottet”.
Auch beim Thema Inklusion scheine ich mich missverständlich ausgedrückt zu haben. Teilnehmer sind alle, die zum Sommerlager kommen; nicht nur Menschen mit Behinderung. Unterschieden wird insofern zwischen den verschiedenen Ländergruppen, zu denen Menschen mit und ohne Behinderung gehören, und sogenannten “Staff”-Mitarbeitern, die sich um den organisatorischen Teil des Sommerlagers kümmern (etwa: Essens-Verpflegung oder die Organisation der ebenfalls im Artikel bereits erwähnten Veranstaltungen vor Ort und in ganz Oberbayern).
Schließlich wendest Du Dich gegen die Formulierung, “Wünsche von den Augen abzulesen”. Hier gilt: Zum Camp werden auch Menschen kommen, die nicht oder nur eingeschränkt sprechen können. Die genannte Formulierung hat sich darauf bezogen, nicht auf die von Dir befürchtete Ansicht, ein Leben mit Behinderung sei “so schlecht […], dass man ihnen auch mal eine Freude machen muss”. Eine solche Ansicht habe ich mit meiner Formulierung nicht intendieren wollen.