Spontan entschied sich Alina nach dem Abi dazu, ein FSJ in Jerusalem zu machen – der Stadt, in der die Spannungen des Nahostkonflikts täglich zu spüren sind. Ein Jahr arbeitete sie dort in der Schmidt-Schule, einer ganz besonders Schule. Was sie besonders macht und wie es dazu kam, erfahrt ihr hier.
Schule fertig, Abi in der Tasche: Wie viele Abiturienten wollte auch Alina nach dem Abi erstmal ein Jahr Pause machen, etwas Neues erleben. Doch statt für Work & Travel oder ein Gap-Year als AuPair entschied sie sich für ein FSJ mit Destination Israel, genauer: Ostjerusalem. Ein Jahr half sie dort in der Schmidt-Schule aus, die direkt am Damaskustor, einem Ort liegt, an dem sich viele Konflikte entfachen. Doch auch sonst ist die Mädchenschule keine normale israelische Schule. Unterrichtet werden hier christliche und muslimische Mädchen in einer Stadt, in der vor allem die palästinensische Bevölkerung starker Diskriminierung ausgesetzt ist. Seit der deutschen Schulinspektion im November 2015 darf sich die Schule offiziell als „Exzellente Deutsche Auslandsschule“ bezeichnen. Alina berichtet hier über ihre Erfahrungen in Ostjerusalem, dem Zentrum des Nahostkonflikts. Was uns häufig so weit weg und fremd erscheint, war für sie auf einmal ganz nah.
FSJ in Jerusalem – Ab ins Abenteuer
Alina, wie bist du auf die Idee gekommen, dein FSJ an der Schmidt-Schule in Ostjerusalem zu machen?
Ein Schullehrer ging in meinem achten Schuljahr nach Jerusalem, um dort an der Schmidt-Schule zu unterrichten. Ehrlich gesagt bekam ich es damals gar nicht mit, dass er Volontäre an meiner Schule anwarb, die dann nach Israel Jerusalem gingen, um dort ein FSJ zu machen. Erst in meinem letzten Schuljahr bekam ich davon Wind. Dann überlegte ich es mir eine Woche, bekam großen Zuspruch aus meinem Bekanntenkreis, bewarb mich – und zack, eine Woche danach bekam ich die Zusage.
Gab es Zweifel aus Deinem Umfeld?
Eigentlich gar nicht. Meine Familie fand es durchweg toll, dass ich nach Israel gehen würde und auch die meisten Bekannten waren begeistert. Sogar meine Oma, von der ich gedacht hätte, sie würde mich für verrückt erklären, stieß am Telefon nur einen Freudenschrei aus.
Schulalltag in der Schmidt-Schule
Was für Aufgaben hattest du an der Schmidt-Schule?
Meine offizielle Aufgabe nannte sich „Verwaltung“. Ich hatte daher auch mein eigenes Büro, direkt neben der Eingangstür. Zu dem Job gehörte, dass ich den englischsprachigen Newsletter für Eltern, Schüler, Ehemalige und sonstige „Friends of Schmidt Schule“ schrieb und auch dafür dokumentierte. Meine ständige Begleiterin auf Schulveranstaltungen war daher die Kamera. Inoffiziell war ich dann auch die Krankenschwester. Meine Aufgabe war es, Pflaster, Nagellackentferner und Tee zu verteilen. In den meisten Fällen heilt dort eine Tasse Tee schon alle Wehwehchen.
Und eine meiner größten und unerwarteten Aufgaben, war der Musikunterricht. Als Anfang des Schuljahrs nämlich Musiklehrer fehlten und man spitzbekam, dass ich Musik-LK gehabt hatte, wurde ich plötzlich auch noch Lehrerin in den Klassenstufen eins und zwei. Ein arabischer Lehrer wurde mir in dolmetschender Funktion zur Seite gestellt, doch inhaltlich war mir die ganze Planung überlassen. Nach dem Jahr konnten meine Klassen einige deutsche Lieder wie „die Jahresuhr“ singen und Spiele wie „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spielen. Und gerade wenn die sechsjährigen Palästinenserinnen meine selbstkomponierten Lieder sagen, wie den „Schmidt-Hit“, war ich mächtig stolz darauf, wie viel sie in dem Jahr gelernt hatten.
Wie unterscheidet sich der Schullalltag der Schmidt-Schule von deutschen Schulen?
Sie ist schöner! Kaum vorzustellen, aber die Schule ist wirklich viel besser ausgestattet als viele deutsche Schulen. So gab es in jedem zweiten Klassenzimmer ein Smartboard und die Schülerinnen durften mit den Schul-Tablets recherchieren. Was für mich auch eine neue Erfahrung war, war die Schuluniform. Diese durfte nicht durch Kopftücher, Schmuck, Nagellack oder andere Klamotten ergänzt werden und so waren alle Schülerinnen auf eine gewisse Weise gleichgestellt. Ich weiß, dass es auch an deutschen Schulen Schuluniformen gibt, aber gerade bei einer Bevölkerung, die größtenteils Kopftuch trägt, war es doch eine außergewöhnliche Maßnahme. Mir gefiel das aber sehr gut, da so der Fokus auf dem Lernen und nicht der Religion lag.
Ansonsten fällt mir noch die Cafeteria ein, die typisch arabische Spezialitäten verkaufte. So gab es je einmal pro Woche Falafel, Manakish, oder andere Speisen, die selbstverständlich kein Schwein beinhalteten. Immer zu kaufen war auch der arabische Kaffee „‘achue Arabiiyye“. Der Lieblingssnack unter Palästinensern sind allerdings Chips. Diese waren zum Missfallen der Schülerinnen in der Schule verboten.
Leben in der Stadt der drei Weltreligionen
Wie ist das Leben in Jerusalem? Wo hast du während deines Aufenthaltes gewohnt?
Ich habe auf dem Schul-Compound gewohnt, direkt hinter dem Schulgebäude. So war es möglich, immer eine halbe Stunde vor Schulbeginn aufzustehen – äußerst praktisch! Jerusalem ist meiner Meinung nach die „krasseste“ Stadt in Israel. Hier leben die Extremen. Daher herrscht auch eine große Spannung zwischen Palästinensern und Juden.
Zum Stadtbild dazu gehören ultraorthodoxe Juden mit Schläfenlocken, Hut und langen schwarzen Mänteln. Auch wird man gerade in dem arabischen Teil der Stadt ganz schön beäugt als Europäerin bis hin zu schlechten Anmachsprüchen. Die lernt man aber auch zu ignorieren.
Ansonsten sind die Menschen, die ich kennenlernen durfte, äußerst gastfreundlich und unglaublich lebensfroh.
War der Nahostkonflikt im Alltag spürbar? Warst du jemals in einer Situation, in der du Angst hattest?
Oh ja! Mehr als das. Egal mit wem man sich unterhielt, früher oder später kam man auf das Thema. Am Anfang war es interessant, sich darüber zu unterhalten und vor allem auch, verschiedene Sichten auf den Konflikt kennenzulernen, doch auf Dauer war es auch ermüdend. Ich bekam auch eine Welle von Messerstichattacken mit, doch hatte ich nie so richtig Angst, da ich wusste, welche Situationen und Orte ich meiden sollte.
In Jerusalem sprechen die meisten Hebräisch oder Arabisch. Gab es Sprachbarrieren?
Naja, Sprachbarrieren würde ich das nicht nennen. Anfangs konnte ich keine der beiden Sprachen, aber Jerusalem ist dermaßen touristisch, dass man auch ohne Probleme mit Englisch durchkommt. Außerdem haben die Händler in der Altstadt so viel mit Menschen aus aller Welt zu tun, dass man durchaus öfters mal auf Deutsch zu hören bekam „Kommen Sie rein. Gute Sachen! Holla die Waldfee“. Als ich dann nach ein paar Monaten, dank ein paar Sprachkursen Arabisch schreiben und sprechen konnte, wurde das Verhandeln auf dem Basar aber auch deutlich einfacher.
Hat dich etwas am Alltag überrascht? Hat sich deine Sicht auf den Nahostkonflikt verändert?
Ehrlich gesagt hatte ich vor dem Jahr keine wirkliche Sicht auf den Nahostkonflikt. Daher hat sich meine Sicht auf ihn auch erst entwickelt. Ich bin der Meinung, dass die Extremen auf beiden Seiten den Konflikt antreiben und immer auswegloser machen. Es gibt genügend Menschen, die ich kennengelernt habe, die auch in Frieden miteinander leben würden.
Und überrascht hat mich im Alltag irgendwie alles und nichts. Die Lebensweise im Nahen Osten ist einfach anders. Der Falafel-Stand wird aufgebaut, wenn man ausgeschlafen hat. Dementsprechend kann man aber abends aber auch mal bis elf Uhr verkaufen. Im Obst-Laden wurden mir manchmal Minzblätter oder Zitronen geschenkt und in unserem Supermarkt gegenüber konnte ich, wenn ich beispielsweise nach dem Joggen kein Geld dabei hatte, ein Wasser einfach so mitnehmen und es beim nächsten Einkauf zahlen.
Die Zeit danach
Wie war es, nach einem Jahr Jerusalem zurück nach Deutschland zu kommen?
Ganz komisch irgendwie. Am Ende wollte ich das schöne, warme, sonnige Jerusalem gar nicht verlassen und all die tollen Menschen, die ich dort kennengelernt habe noch weniger. Als ich wieder in meinem Dörfchen ankam dachte ich auch nur „Wo bin ich denn hier gelandet?!“
Was war rückblickend die schönste Erfahrung in deinem FSJ? Und was war die größte Herausforderung?
Die schönste Erfahrung war mit auch die größte Herausforderung: der Musikunterricht. Ohne Lehrerfahrung ein Jahr lang sechs Stunden Musik die Woche zu unterrichten, war nicht ohne. Aber die Fortschritte der Mädels zu beobachten und eine Massenumarmung zu bekommen, sobald man in den Klassenraum kam, war schon toll.
Eine der schönsten Erfahrungen war auch der Jerusalem Marathon, bei dem ich dann noch ganz ungeplant einen Pokal abstaubte. Auch die Gemeinschaft zwischen jüdischen, christlichen und muslimischen Menschen, die ich dort mitbekam, wo ich Sport machte, war eine tolle Erfahrung. Das gibt es nämlich gar nicht oft in Jerusalem. Des Weiteren trafen wir Persönlichkeiten wie Joachim Gauck oder Thomas Gottschalk, denen wir sonst wohl eher nicht über den Weg gelaufen wären.
Was bleibt von einem Jahr Jerusalem im Alltag? Und wie geht es jetzt für dich weiter?
Ich werde in Kürze noch einmal für eine Woche nach Jerusalem fliegen, bevor der Ernst des Lebens mit meinem Psychologiestudium in Bonn beginnt. Israel wird bestimmt in Zukunft auch mein festes Urlaubsziel bleiben. Totes Meer, Rotes Meer, Mittelmeer, Berge, Wüste, gutes Wetter, nette Menschen – was will man mehr?
Nach Deutschland mitgenommen habe ich die Einstellung der Menschen dort. Klappt es heute nicht, klappt es eben morgen. Diese Einstellung wurde mir aber auch schon zum Verhängnis, zum Beispiel bei meiner Immatrikulation, bei der ich fast alle Unterlagen vergaß, aber das ist eine andere Geschichte.
Wer Interesse hat, mehr über die Schmidt-Schule zu erfahren und über die Praktikumsmöglichkeiten dort findet hier mehr Informationen: http://www.schmidtschule.org/
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