Die vielen Fotos im Internet zeigen schon, wie schön es sein muss, ein Auslandsjahr zu machen. Wie wäre es mit drei Wochen Lateinamerika? Doch Vorsicht: Unsere Einstellung entscheidet, ob die Auszeit ein Erfolg wird.
Wir 2000er Kinder sind eine regelrechte Probandengeneration. Auf unserem Bildungsweg wurde ständig mit uns experimentiert. Durch G8 wurde uns ein Schuljahr genommen. Der Plan dahiner: ein Jahr früher in die Arbeitswelt, wir retten die Rentenkasse. Ich war also erst 17, als ich mein Abitur in der Hand hielt.
Doch ohne genauen Plan, wo es jetzt lang gehen soll. Direkt ins Studium? Ich entschied mich dafür, nach Costa Rica zu reisen. Und informierte mich: Vorteile entstehen oft, wenn man durch die “Europäische Brille” schaut.
Es ist kein Weltwunder, sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland zu entscheiden. Ich hatte mich schon früher an Flüchtlingsprojekten meiner Schule beteiligt und war nun bereit, mein soziales Engagement über die Grenzen Deutschlands hinaus zu erweitern.
Wer seine Mitmenschen respektiert, übernimmt Verantwortung
Jede/r Volontär/in hat natürlich seine/ihre individuellen Motivationen, ins Ausland zu gehen. Motivationen, die meiner Erfahrung nach von Senderorganisation, Arbeitsstelle und Gastfamilie direkt durchschaut werden. Man sollte sich also nicht wundern, wenn man sich blauäugig in ein Jahr „Pura Vida“ (aus dem Spanischen für “pures Leben”) stürzt, und „fiesta fiesta fiesta“ (Spanisch für “Feier”) erwartet, dann aber am Ende von seinem Umfeld als Taugenichts und „vago“ (Spanisch für arbeitsfaul, nichtsnutzig) abgestempelt wird.
Denn schnell merkt man, wie viele Erwartungen auf den eigenen Schultern lasten. Die Gastfamilie beobachtet ganz genau, ob man als Volontär gekommen ist, um Teil der Gemeinschaft zu werden, von der Kultur zu lernen. Schließlich ist eine Gastfamilie kein Hotelunterfangen und Schlafplatz, um sich nach langen Partynächten auszuruhen. Auch hier wird genau überprüft: Was sind die Intentionen und Ziele dieser Person im Projekt? – Durch Erfahrungen mit unzuverlässigen Volontären wird ihnen leider häufig erst mit einer gewissen Skepsis gegenübergetreten. Die Sehnsucht nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung weicht nicht selten einem Gefühl der Einsamkeit und Überforderung.
Neue Regeln und Richtlinien müssen angenommen werden
Der Volontärdienst hat nichts Missionarisches an sich. Man ist da, um von einer fremden Kultur zu lernen. Persönliche Verhaltensweisen, typisch für die eigene Kultur, werden nicht immer verstanden. Das kann schon mal einen schmerzhaften Stich verursachen. Akzeptiert man diese Umstände jedoch und passt sich aktiv an, wird man schon bald verstehen, warum die Dinge in anderen Ländern nun mal so sind. Dies darf nie unreflektiert geschehen und man sollte sich seiner eigenen Grenzen und Werte immer bewusst bleiben. Wir sind weder da, um zu verurteilen, noch um unser altes Ich abzulegen und ohne zu hinterfragen alles ungefiltert anzunehmen, was auf uns zukommt. Respekt wird bei diesem Prozess großgeschrieben.
Auf Sofas klettert man nicht!
In meinem Projekt im Kinderheim hatte ich es zu Beginn nicht besonders leicht. Oft ist mir der Missmut meiner Mitarbeiterinnen entgegengeschlagen, da ich Arbeitsprozesse, Abläufe und die Sprache noch nicht verstand. Zu Anfang meiner Arbeitszeit turnten die Kinder auf den Sofas herum, bis eine der tias (Spanisch für “Tante”, so wurden die Mitarbeiterinnen genannt) um die Ecke kam und laut anfing, auf mich einzureden:“Los chiquitos no pueden subir del sofa, bajalos, se van a caer!“
In meiner Kindheit war man alt genug, auf etwas zu klettern, wenn man es allein schaffte. Doch dort gelten andere Regeln. Die Kids waren freche Wuselmäuse und hörten natürlich nicht auf die Neue, die nicht einmal ihre Sprache konnte. Auch dafür bekam ich Ärger, denn ich müsse lernen, die Kinder unter Kontrolle zu kriegen. Oft war ich kurz davor, auch mal zurück zu schimpfen. Mit zunehmenden Sprachkenntnissen habe ich es jedoch geschafft, die Kritik anzunehmen und umzusetzen. Dadurch habe ich mich richtig gut in das Arbeitsfeld einfinden können.
Am Ende wurde meine Arbeit sehr geschätzt und viele meiner Mitarbeiterinnen wurden zu engen Freundinnen. Man wird im Rahmen eines neuen Umfeldes, einer neuen Kultur und einer neuen Sprache unwissentlich unzählige Fehler begehen. Dies ist normal und kaum vermeidbar, weil die Fehler auf kulturellen Unterschieden beruhen. Man muss sich aktiv dazu entscheiden, aus den Fehlern zu lernen, Kritik konstruktiv anzunehmen, auch wenn dies eine gewisse innere Reife erfordert.
Die anspruchsvolle Arbeit mit Schutzbefohlenen
Da ich zu Beginn noch nicht die Sprache und meine Aufgaben verstand, waren die Kinder zusätzlich belastet. Eines Tages wurde ich durch die lauten Schreie einer tia aus meiner Alltagsroutine geschreckt. Schnell eilte ich ihr zu Hilfe, doch blieb verständnislos am Ort des Geschehens stehen. Auf dem Boden räkelte sich ein Regenwurm, um den die in Angst versetzte Menge aus tias und Kindern einen großen Kreis gebildet hatte. Ich schüttelte den Kopf und urteilte: Ein klassischer Fall von Hysterie. Die unbegründete Angst der tias würde sich wohl nun auf die Kinder übertragen, wie es bei Generationen von Spinnen-Fürchtern schon geschehen war. Aber ich half der tia, die Kinder so schnell wie möglich vor dem Wurm in Sicherheit zu bringen.
Später fand ich heraus, dass es sich um einen sehr gefährlichen Parasiten handelt, der sich Körperöffnungen sucht, um in diese einzudringen und den Menschen als Wirt zu benutzen. Dem europäischen Regenwurm zum Verwechseln ähnlich. Ich lernte, dass das Unwissen einer Außenstehenden in einigen Situationen gefährlich sein kann, sodass man besonders zu Beginn eher die Beobachterrolle einnehmen sollte. Ich begann dem Urteil der tias zu vertrauen und ihrem Beispiel in vielen Hinsichten zu folgen, wodurch sich ein gegenseitiges Vertrauen aufbaute. Dadurch durfte ich immer mehr Verantwortung übernehmen.
Es war, wie einen Sack Flöhe zu hüten
Als ich dann eine Weile im Projekt tätig war, Abläufe kannte und potentielle Gefahren einschätzen konnte, durfte ich alleine auf Kindergruppen aufpassen. Stets musste ich darauf achten, die Kinder draußen mit Mückenschutz zu versorgen und sie im Blick zu behalten. Der Umgang mit emotional auffälligen, aggressiven oder kognitiv bzw. körperlich behinderten Kindern gestaltete sich als besonders anspruchsvoll.
Angst spürte ich, als ich einen riesigen aggressiven Leguan (1,50m mit Schwanz) mit einem Palmblatt verscheuchen musste. Die Schwänze dieser Tiere sind besonders gefährlich, denn sie können damit peitschen. Als das Tier reiß aus nahm, streifte sein Schwanz noch die Wange des zweijährigen Adronais und mein Herz blieb förmlich stehen.
Ich werde derartige Situationen nie vergessen. Doch noch weniger werden meine Lese- und Spielstunden in Vergessenheit geraten. Oft machte ich Überstunden. Aber nicht nur weil ich dringend gebraucht wurde, sondern weil ich die Arbeit im Kinderheim von Herzen liebte. Ich bin stolz, einen guten Job gemacht zu haben und am Ende eine Stütze für mein Projekt gewesen zu sein.
Mein persönliches Fazit
Meine Arbeitskollegin Tia Chuanita war den Tränen nahe, als ich mich an meinem letzten Tag von allen verabschiedete und auch mir fiel der Abschied schwer. Zukünftigen Volontären kann ich nur empfehlen, das Auslandsjahr nicht als ein Jahr Urlaub zu sehen. Wenn man keine Lust hat, mehr für sein Projekt zu geben, zu investieren und sich zu anzupassen, muss man auch keine Angst haben, sich in einer Position der Verantwortung wiederzufinden. Das Projekt gibt einem nur Verantwortung, wenn man ihrer gewachsen ist. Doch es ist schade, wenn man die Chance nicht ergreift. Jedoch ist eine Veränderung immer nur so groß, wie man sie werden lässt.
Nehmt eure Arbeit ernst, aber euch selber nicht zu sehr. Selbstverständlich bin auch ich auf „fiestas“ gegangen, denn NUR Arbeit darf ein FSJ auch nicht sein! 😉
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