Für einen Moment schien sein Herz stehen zu bleiben. „Verdammt, die haben mich bemerkt!“, flüsterte Alex leise zu sich selbst. Plötzlich hörte er ein Klopfen an der Tür. Wie automatisch hielt er die Luft an und duckte sich. Nein, das durfte nicht sein. Wie konnten die Kerle so schnell hier her kommen? Was wollten sie von Alex? Woher kannten sie ihn? Wieder klopfte es, dann hämmerte jemand mit der Faust gegen die Tür. „Alexander von Hagelstein! Ich weiß, dass du daheim bist. Mach sofort die Tür auf!“ Zuerst zuckte Alex zusammen, dann aber ließ er seine angezogenen Schultern sinken, richtete sich auf und ging ein paar Schritte auf die Tür zu. „Dad? Bist du’s?“ Einen Moment blieb es still. Herr von Hagelstein verdrehte seine Augen und holte tief Luft. „Natürlich bin ich es, mein Junge. Wer denn sonst? Und jetzt lass mich bitte herein.“ Trotz der Verwunderung über den unangekündigten Besuch seines Vaters, fühlte sich Alex ein wenig erleichtert. Er drehte den Türknauf nach rechts und öffnete die Tür, hinter der sein Vater ihn nun mit einem skeptischen Blick musterte.
„Hi Dad. Ich wusste gar nicht, dass du vorbei kommen wolltest“, sagte er und machte mit seiner Hand eine einladende Bewegung in Richtung der roten Ledercouch gegenüber seines 42-Zoll-Flachbildschirms, „setz dich doch.“ Während Herr von Hagelstein den großen Raum betrat, streckte Alex seinen Kopf nochmal aus dem Türrahmen und blickte in beide Richtungen nach links und rechts. Nichts und niemand. Also schloss er die Tür. „Warum hast du denn die Rollladen unten, Alexander? Die Sonne scheint und hier drinnen ist es dunkel wie die Nacht.“ „Ich bin gerade erst heimgekommen und hatte die Rollladen schon davor heruntergelassen. Du glaubst ja gar nicht, wie heiß es an solchen Tagen hier drinnen werden kann. Gerade hat mir der Haumeister mitgeteilt, dass der Strom momentan nicht läuft, aber die kleine Lampe auf dem Tisch da drüben, die ist mit Akkus betrieben“, sagte Alex auf dem Weg zur Küche und suchte im Kühlschrank eine Flasche Soda und zwei Trinkgläser. Er versuchte sich durch das Reden über solch belanglose Dinge zu beruhigen, damit sein Vater keinen Verdacht schöpfte.
Derweilen schaltete Herr von Hagelstein die kleine, bläulich leuchtende Lampe ein. Er blickte sich im Zimmer um. Für einen 20-jährigen jungen Mann hielt Alex wirklich Ordnung und das gefiel seinem Vater sehr, hatte der teure „Facility-Kurs“ also doch Eindruck bei seinem Sohnemann hinterlassen. Er ging auf das große Fenster zu, das die gläserne Wand der Penthouse-Wohnung bildete, spähte zwischen den Rollladen hindurch und schaute auf die grau-grüne Stadt hinab. Als er sich auf die Couch setzte, kam Alex zu ihm: „Ich habe leider kein Soda mehr im Kühlschrank, aber hier ist Cola.“ Herr von Hagelstein nahm die Flasche und schenkte sich ein wenig davon in sein Glas ein. „Soso. Wasser kannst du dir nicht leisten, dafür aber jede Woche einen neuen Wagen.“
Herr von Hagelstein schüttelte den Kopf. „Schon zum dritten Mal hast du dir diesen Monat ein Cabrio ausgeliehen. Und zwar gleich das Teuerste. Ich bezahle schon ausreichend für dein Studium und deine Wohnung, zahle dir Verpflegung und Taschengeld, aber du wirfst alles nur zum Fenster hinaus. So kann das wirklich nicht weitergehen, Alexander!“ „Ach tu doch nicht so, als ob du das Geld nicht hättest! Wieso kommst du gerade jetzt damit?“ Alex verstand seinen Vater einfach nicht. Und wie sollte er ihn jetzt nach dem Geld für Tanja fragen? „Natürlich habe ich das Geld. Und ich habe immer gut für dich gesorgt. Aber was hast du bisher dafür getan? Pro Semester bezahle ich für dich ganze Unsummen. Zum Dank vergeudest du deine Zeit damit, in den von mir monatlich überwiesenen Beträgen zu baden, anstatt für dein Studium zu lernen. Wenn du nicht beginnst, verantwortungsvoller mit deinem Geld umzugehen, werde ich dich nicht mehr unterstützen. Du bist ein volljähriger junger Mann und musst lernen, auf deinen eigenen Füßen zu stehen.“ Damit war das Gespräch beendet.
Obwohl die Worte seines Vaters nur an Alex‘ Ohren vorbeiflogen – diese stupide Standpauke seines Vaters war im Moment einfach nur überflüssig. Denn in seinen Gedanken war er bei Tanja und dem Telefonat des heutigen Morgens. Was sollte er nur tun? Er hatte keine 200.000 Euro und nun wollte sein Vater ihm auch noch genau zum richtigen Zeitpunkt den Hahn zudrehen. Hatte er es wirklich so sehr übertrieben? Und was passierte jetzt mit Tanja? Würden die Kerle sie wirklich töten? Vielleicht auch ihn? Oh nein, soweit durfte es nicht kommen. Er musste etwas tun. Oder fliehen. Aber das ging nicht, weil sein ganzer Besitz hier war. Wen könnte er um Hilfe bitten, wenn nicht die Polizei? Die Hand in seiner Hosentasche fühlte ein Stück Papier und er zog es heraus. Darauf standen eine Handynummer, der Buchstabe R und ein Smiley.
Plötzlich erinnerte er sich an die gestrige Begegnung. „Ich bin Romi“, hallte es in seinem Kopf nach. Sie muss ihm den Zettel in die Hosentasche gesteckt haben. Romi hatte etwas an sich, das Tanja nicht hatte. Er musste ihr von dem Telefonat erzählen. Alex kannte Romi zwar nicht gut, aber sie war die einzige Person, die das mit der Kiste mitbekommen hatte. Irgendjemandem musste er es ja erzählen, alleine würde er da nicht durch kommen. Und sonst hatte er auch niemanden, an den er sich wenden konnte. „Hast du alles verstanden, Alexander?“, fragte ihn sein Dad mit strengem Gesichtsausdruck. „Ja, habe ich. Geht klar.“ Alex stand auf und verabschiedete sich von seinem Vater, der dann zur Tür hinausging. Er überlegte nicht mehr lange und wählte die Nummer auf seinem Smartphone.
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