Was haben Tierschutz, Altenhilfe, Vereinswesen und sogar die Lebensmittelversorgung gemeinsam? Richtig: Alle Bereiche würden ohne das tagtägliche Engagement 31 Millionen Ehrenamtlicher allein in Deutschland wohl zusammenbrechen. Dabei kann dieses in Deutschland auf eine langjährige und stolze Tradition zurückblicken, stand jedoch auch immer in der Gefahr, staatliche Missstände zu kompensieren, die besser bereits behoben wären.
Als Pioniere des deutschen Ehrenamtes gelten bis heute unter anderem Adolph Kolping, Johann Wichern und Alice Salomon. Auf sie gehen die Gründungen des internationalen Kolpingwerkes, des Diakonischen Werkes und im Falle Salomons zahlreicher (Berufs-)Schulen und Kollegien und sogar maßgeblich des Fachs „Soziale Arbeit“ als eigenständige Wissenschaft zurück. Dabei geben ihre Biografien jeweils ganz verschiedene Motive her: Kolping übte christliche Nächstenliebe an verarmten Handwerken, Wichern an der in elenden Zuständen lebenden Hamburger Arbeiterklasse des 19. Jahrhunderts. Alice Salomon dagegen war im frühen 20. Jahrhundert als Tochter reicher Berliner Aristokraten geboren, gab sich jedoch mit ihrer oberflächlichen Lebensumgebung und dem Überfluss nie zufrieden. Als Fürsprecherin ausgebeuteter Arbeiterinnen und Frauen befürwortete sie entschieden die weibliche Emanzipation und leistete lebenslang karitative Dienste.
Doch auch vor diesen drei Pioniergestalten im 19. und 20. Jahrhundert lassen sich Spuren des Ehrenamtes in Deutschland bis ins Mittelalter zurückverfolgen: In der christlich geprägten Gesellschaft war das selbstlose Eintreten für den Nächsten ein hohes und ehrenvolles Ideal und galt auch außerhalb gesonderter Bußzeiten als Ausdruck von Frömmigkeit und einem tugendhaften Leben.
Von Rittern und Schöffen zu den modernen Städteordnungen
Waren im 19. und 20. Jahrhundert noch meist einzelne Personen Vorreiter des heutigen Ehrenamtes, so dürften im mittelalterlichen Kontext die Ritterorden und das Schöffensystem als dessen Vorläufer gelten. Mit der Formierung des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem, aus dem später der Malteser- und der Johanniterorden hervorgingen, war der Grundstein gelegt. Unterstützt vom Stiftungswesen, einer historisch eng verwandten Organisationsform, widmeten sich die frühen Ritterorden primär der Armenhilfe und der Krankenpflege. Parallel wurden sogenannte Schöffen als ehrenamtliche Laienrichter in der Rechtssprechung eingesetzt, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichte zu stärken.
Einen weiteren Meilenstein bildete, wenn auch um einiges später, das sogenannte „Hamburger System“ aus dem Jahr 1788, das unter anderem einen kommunalen Armenfonds und die systematische Armenbetreuung in eigens zu diesem Zweck gegründeten Stadtbezirken vorsah. Doch auch hiermit nicht genug, denn erst mit der sogenannten „Preußischen Städteordnung“ schlug 1808 die eigentliche Geburtsstunde des heutigen Ehrenamtes – frei nach der Devise „Jeder Bürger ist schuldig, öffentliche Stadtämter zu übernehmen und solche (…) unentgeltlich zu verrichten“ wurde das Engagement sowohl als Bürgerpflicht wie auch als Chance zur Partizipation in der Mitte der Gesellschaft verankert. Der Weg zum Ehrenamt war sowohl für einzelne Personen wie Adolph Kolping, aber auch für die nun beginnende Gründung freiwilliger Feuerwehren und die Entwicklung des Vereinswesens frei geworden.
Der schmale Grad zwischen Ehre und Missstand
Dass Formen unbezahlten Engagements eine ehrenvolle Aufgabe sind und schon immer als solche angesehen wurden, durfte nach einem entsprechenden Rückblick in die Tradition des Ehrenamtes mittlerweile offensichtlich sein. Seine langjährige Geschichte zeigt aber auch, dass nicht nur im Mittelalter das Ehrenamt staatlicherseits strategisch eingesetzt wurde, um das Vertrauen der Bevölkerung in die bestehenden Herrschaftsstrukturen zu bestärken. Das funktioniert noch heute: Indem staatliche Regelungen auf einigen Gebieten bewusst Freiräume für bürgerliche Zusammenarbeit und gegenseitige, freiwillige Hilfestellungen lassen, wächst der Zusammenhalt in der Gesellschaft, Gräben zwischen Arm und Reich können zumindest für einen Augenblick überwunden werden.
Solidarität wiederum kann als Stabilisator für die Demokratie wirken – so die Idee, eine Garantie dafür gibt es allerdings nicht. Staatliche „Freiräume“ können auch als Versagen empfunden werden, die zulasten der Regierung oder sogar der Gesellschaftsordnung ausgelegt werden. Das dem Ehrenamt zugrundeliegende Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ wird zum Euphemismus für staatliche Missstände, etwa zu straff gekürzte Sozialleistungen oder durch Wohnungsmangel bedingte Obdachlosigkeit. Beim Thema Ehrenamt darf man nicht dem „Bewunderungsreflex“ verfallen: Freiwillige Helfer sollten hinterfragen, ob sie mit ihrem Einsatz eine langfristige Hilfe sind oder ob ihr Engagement besser dabei aufgehoben wäre, Missstände anzuprangern und an der Situation benachteiligter Menschen auf demokratischem Wege etwas zu ändern. In einer pluralistischen Gesellschaft hat daher auch das politische Engagement seine Berechtigung.
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