Eisenhüttenstadt an der polnischen Grenze entstand als erste Planstadt der DDR. Eine Stadt, wie sie sich jeder Kommunist erträumt, könnte man meinen. Doch wie sieht es dort heute aus, 26 Jahre nach der Wiedervereinigung?
Wer an Eisenhüttenstadt denkt, denkt an Klischees. Verfallene Häuser, betagte Einwohner, schmutzige Straßen. Und das Ganze auch noch in Brandenburg! In Berlin bin ich einer von Drei Millionen, in Brandenburg kann ich bald alleine wohnen, reimte schon Rainald Grebe. Passend, dass Bürger aus anderen DDR-Regionen schon vor der Wende die Hütte Schrottgorod tauften. Doch nur die wenigsten können behaupten, die Stadt an der polnischen Grenze schon einmal live gesehen zu haben.
Apropos verfallene Häuser: Auf dem halbstündigen Fußmarsch vom Bahnhof in das Stadtzentrum kann der architektonisch interessierte Tourist auf der Straße der Republik in geradezu erschreckender Häufigkeit fenster- und wandlose, beschmierte und wahrscheinlich auch einsturzgefährdete Häuser bestaunen. Beste Voraussetzungen für einen Stadtspaziergang. Doch die Industriestadt an der polnischen Grenze ist mehr als das Klischee einer ostdeutschen Kleinstadt.
Der Name ist Programm: Ohne das Stahlwerk gäbe es kein Eisenhüttenstadt. Der dritte SED-Parteitag hatte 1950 beschlossen, eine Planstadt und das Eisenhüttenkombinat Ost, kurz EKO, neben dem Örtchen Fürstenberg an der Oder zu bauen. Die Bevölkerungszahl explodierte. Hatte die Stadt 1953 noch 2.400 Einwohner, kamen innerhalb von zwei Jahren über 13.000 weitere hinzu. 1961 wurde Stalinstadt, wie die Planstadt bis dahin hieß, und das ältere Fürstenberg zu Eisenhüttenstadt zusammengeschlossen.
Das EKO beschäftigte zu DDR-Zeiten über 12.000 Menschen. Mittlerweile sind es deutlich weniger. Im Werk direkt sind 2.500 Arbeiter beschäftigt, insgesamt hängen jedoch durch Dienstleister etwa 10.000 Arbeitsplätze an dem Werk. Das Werk gehört heute dem weltweit größten Stahlhersteller ArcelorMittal. Ab 2008 haben sich weitere Industriebetriebe in Eisenhüttenstadt angesiedelt.
Eisenhüttenstadt auf den ersten und auf den zweiten Blick
In der Planstadt Eisenhüttenstadt gibt es keine Altstadt. Den Ortsteil Fürstenberg gibt es hingegen schon seit 800 Jahren. Die zentrale Einkaufsstraße ist die Lindenallee, die von der Straße der Republik bis zum Zentralen Platz, an dem das Rathaus steht, führt. Eine breite Straße mit Kopfsteinpflaster und eingeschossigen Läden an der Seite. Eine Bäckerei, ein Optiker, ein Florist. Autos parken auf beiden Seiten quer zur Straße. Eine Parkscheibe genügt hier. Keine Parkscheine. Autofahrer sollten aber damit rechnen, nach zwei Stunden ein Knöllchen unter ihrem Scheibenwischer zu finden. Mitarbeiter vom Ordnungsamt prägen das Stadtbild. Auf der rechten Seite erhebt sich ein sandsteinernes Gebäude mit einem spitzwinklig zulaufenden Dach und sechs weißen Säulen. In dunklen Lettern steht geschrieben: Friedrich-Wolf-Theater. Es ist das kulturelle Zentrum der Stadt.
Rechts daneben befindet sich die Touristeninfo. Eine ältere Dame mit einem Lächeln auf den Lippen erzählt, dass sie nach der Wende schon zwei Mal wegen der Arbeit weggezogen sei. Doch Eisenhüttenstadt sei nun einmal ihre Heimat. Deshalb verschlage es sie immer wieder hierher zurück. Mit der DDR habe das Stadtbild nicht mehr viel zu tun. Das könnten Touristen selbst entdecken. Sie kramt einem Flyer hervor: Die Planstadt zu Fuß entdecken.
Zu viel Stadt für zu wenig Menschen
Die Bezirke Fürstenberg (Oder), Schönfließ und Diehlo sowie die Wohnkomplexe, die in der DDR als Stalinstadt entstanden, bilden das Gebiet von Eisenhüttenstadt. Früher gab es insgesamt sieben Wohnkomplexe. Doch der siebte wurde nach der Wende nahezu komplett abgerissen. Durch den Bevölkerungsrückgang, den viele ostdeutsche Städte nach 1990 zu beklagen hatten, gab es auf einmal zu viel Wohnraum. Der siebte Wohnkomplex bestand zudem nahezu komplett aus Plattenbauten. Ein großer Verlust dürfte der Abriss also nicht gewesen sein.
Insgesamt hat die Stadt schon 6.000 Wohnungen abgerissen. 1990 lebten in Eisenhüttenstadt über 50.000 Menschen. Heute sind es noch gut 31.000. Der Trend zeigt aber wieder nach oben. 2013 lebten noch 27.200 Menschen in Eisenhüttenstadt. Angesichts dessen beschloss die Stadt einen Umbau von außen nach innen. Vorrangig wurde die Innenstadt saniert, die Leute sollten ihre Heimat im Stadtzentrum finden. Trotzdem müssen immer noch 1.000 Wohnungen abgerissen werden. Ich fühl’ mich heut’ so leer, ich fühl’ mich Brandenburg – Rainald Grebe bleibt unerbittlich.
Aber dort, wo nicht abgerissen, sondern saniert wurde, lässt es sich mittlerweile gut leben. Der Stadtrundgang führt durch saubere, aber trotzdem nicht gerade spannende Wohnviertel. Auch wenn verschiedene architektonische Epochen das Bauen beeinflusst haben, lässt sich doch ein Muster erkennen. Drei- bis viergeschossige lange Häuserzeilen mit einem schrägen Dach, wahlweise rot, gelb, braun oder grau. Die Vielfalt ist im Detail zu erkennen. Verzierte Hauseingänge oder Torbögen zeigen, wie frühere Epochen die Architektur Eisenhüttenstadts beeinflussen. Viele Siedlungen sind ringförmig angelegt, in den Innenhöfen sind Spielplätze und Wäscheleinen. Der Anspruch war schon zu DDR-Zeiten ein Wohnen im Grünen.
Oft funktioniert das. Egal, wo man wohnt, man muss nur aus dem Fenster schauen und sieht eine Grünfläche. Manchmal klaffen Anspruch und Wirklichkeit aber auch auseinander. Am Platz des Gedenkens erhebt sich aus einer Rasenfläche ein geradezu phallisches Monument kommunistischer Betonbaukunst. Das Denkmal soll an die gefallenen sowjetischen Soldaten erinnern: Ewiger Ruhm für die Helden, die im Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit unserer Heimat gefallen sind. Auf der anderen Seite erhebt sich: Nichts. Ein großer Platz aus Betonplatten, dahinter ein graues Haus. Nicht einmal die Bäume am Rand können hier noch den Anschein einer grünen Idylle erwecken.
Eisenhüttenstadt: eine Stadt der Ambivalenz
Was sich schon auf der Straße der Republik andeutet, wird am Zentralen Platz offensichtlich. Eisenhüttenstadt ist eine Stadt der Ambivalenz. Wer frontal auf das Rathaus blickt, sieht hinter einer Grünfläche ein nicht übermäßig hohes, aber langgezogenes, helles Gebäude mit einem roten Ziegeldach. Ein rote Fahne mit Hammer und Sichel und das Monument des Kommunismus ist fertig, könnte man meinen. Wer seinen Blick nach links schweifen lässt, sieht das Klischee des Kommunismus: Das City Hotel Lunik. Ein grauer Betonklotz mit eingeschlagenen Fensterscheiben. Das Erdgeschoss ist mit graffitibeschmierten Holzbrettern zugenagelt, der Putz blättert ab.
Das Lunik steht sinnbildlich für gescheiterte Treuhandpolitik. Als es nach der Wende seinen Betrieb eingestellt hat, wechselte es mehrmals den Eigentümer – stets ohne Auflagen. Der jetzige besitzt es seit 2009 und hat es seitdem ebenfalls verrotten lassen. Mit dem ehemaligen Hotel verhält es sich so, wie mit der Straße der Republik. Es gibt in der ganzen Stadt verfallene Häuser, die demselben Eigentümer gehören.
Kultur in Eisenhüttenstadt
Was zeichnet Eisenhüttenstadt aus? Als Feuerwehrstadt gibt es hier ein Feuerwehrmuseum. Das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR nimmt den Besucher mit auf eine Zeitreise. Das städtische Museum erklärt die Geschichte der Planstadt. Vor den Toren der Stadt steht das Barockjuwel Neuzelle mit seinem knapp 750 Jahre alten Kloster. Es gibt eine Tanzwoche (die 16 Tage dauert) und ein Stadtfest. Trotzdem: Eine Partystadt wird aus der Hütte nicht mehr.
Eisenhüttenstadt in Brandenburg. Wem das ganz billige Klischee gefällt, sollte übrigens in die Regionalbahn zwischen Frankfurt (Oder) und Eisenhüttenstadt steigen. Es kann nämlich passieren, dass man von seinem Mobilfunkbetreiber eine SMS erhält: Willkommen in Polen! In der Planstadt angekommen, muss man sich aber keine Sorgen um Roaming-Gebühren machen. Was bleibt von Eisenhüttenstadt? Es ist eine Stadt, die in vielen Teilen überraschend sachlich ist. Sauber, aber unspektakulär. Trotzdem gibt es auch für Ostalgiker einiges zu bestaunen. Rainald Grebe rät abschließend: Nimm dir Essen mit, wir fahren nach Brandenburg.
Sehenswert:
1. Die ehemalige Großgaststätte Aktivist, heute ein normales Restaurant.
2. Das städtische Museum, eine Reise in die Vergangenheit
3. Die Bibliothek am Zentralen Platz, wer lieb fragt, darf auf der Terrasse seinen Blick in die Ferne schweifen lassen
4. Die Werbeposter für Festivals und Orthopädie im Rathaus
5. Das City Center, ebenfalls eine Reise in die Vergangenheit. Rentner rennen den Bäckereien und Cafés die Bude ein. Naja, sie geben ihr Bestes.
Frihjof Wessel
, Ich habe im Lunic als Koch gearbeitet bei Erwin Rose Küchenchef Ganz oben waren das Personal untergebracht Es war eine große Zeit für mich der von Rügen kam Schade das es so verkommt Wessel aus Baden Baden jetzt 77 Jahre