Herr Raman, wie sind Sie dazu gekommen über Krieg zu berichten?
Es war nie meine Absicht, Kriegsberichterstatter zu werden. Als sehr junger Mensch war ich zufällig in Vietnam, mein Vater war dort als Journalist stationiert. Dort habe ich dann angefangen, über den Krieg zu schreiben, danach ging es ruck zuck.
Wann kam dann der Wechsel zum Filmreporter?
Meine Frau hat mir meine erste E-Mail-Adresse angelegt und mir eine kleine Videokamera gekauft. Dagegen habe ich mich erst gewehrt, weil ich sehr konservativ war, was meine Ausrüstung betraf. Aber meine Frau hat gesagt: „Das ist dein Geburtstagsgeschenk, das behältst du.“ Parallel dazu habe ich viel für die TAZ geschrieben. Einer meiner Berichte war über Deichmann und wie die Schuhfirma die Umwelt in Indien verpestet und Kinderarbeit betreibt. Die ARD fragte mich, ob ich nicht einem Film darüber machen könnte, also bin ich mit meiner kleinen JVC-Kamera nach Indien gereist. Mein erster Film über einen Krieg war dann die Doku „Der Griff der Warlords“, der in der ARD lief. Aus der Zeit des Widerstandes gegen Russland hatte ich noch meine Kontakte in Afghanistan, zudem spreche ich die Sprache. So wurde der Film die erste wichtige Doku über den aktuellen Afghanistankrieg nach 09/11 im Fernsehen.
Sie haben viele Kontakte in den Ländern, in die Sie reisen. Ist Ihnen schon mal ein Fehler unterlaufen?
Beim Dreh in Somalia ist mir ein Fehler unterlaufen. Ich war mit einem deutsch-amerikanischen Kollegen in dem Gebiet und er hat die Kontakte hergestellt. Einer dieser Kontakte sagte uns: „Wenn ihr mir 10.000 Dollar gebt, dann arrangiere ich alles vor Ort.“ Wir haben also gedreht und ich war fertig mit meiner Arbeit, mein Kollege nicht. Er war dabei, ein Buch zu schreiben, und wollte noch länger bleiben. Mein Rückflug sollte um neun Uhr starten. Um acht Uhr bin ich losgefahren und mein Kollege kam mit, weil er zu einem Interview wollte. Der Flug hatte Verspätung, aber ich wollte am Flughafen warten und nicht mit ihm weiter fahren, falls der Flieger doch früher abhebt. Um 13 Uhr startete mein Flieger – zehn Minuten später ist mein Kollege auf dem Rückweg entführt worden und zwar von unserem eigenen Bodyguard. Nach diesem Erlebnis wird es mir nie wieder passieren, dass ich mein Leben aufs Spiel setze, weil ich fremden Leuten vertraue.
Sie gehen mit Ihrer Kamera mitten ins Geschehen und manchmal sogar an vorderste Front. Haben Sie keine Angst, wenn Sie so nah dran sind?
Bei einer Situation, in der eine Schießerei los geht und Menschen sterben, bin ich an der Kamera und drehe. Daher bekomme ich vom Gesamtbild nicht viel mit. Das, was ich sehe, geht ganz schnell. Eine Schießerei dauert vielleicht eine Minute und ist dann vorbei. Wenn ich zurück in die Unterkunft komme, bin ich natürlich erleichtert, dass ich davon gekommen bin. Die wahren Dimensionen des Geschehens hast du nur, wenn du sie am Bildschirm verfolgst. Oft realisiere ich erst später, dass ich in großer Gefahr war. Mir ist es wichtig zu sagen, dass es nicht meine Absicht ist, besonders blutige Bilder zu zeigen, ich möchte niemanden schocken. Ich fühle mich verpflichtet, ein wenig Realität darzustellen.
Wann haben Sie denn mal Angst empfunden?
Bei meinem Somalia-Film gab es eine Nacht, in der durchgehend geschossen wurde. Leute haben geschrien, manchmal ganz in meiner Nähe. Ich war alleine in meinem Hotelzimmer und da habe ich meine Frau angerufen, weil ich Angst hatte. Das war eine der wenigen Situationen, in denen ich mich wirklich gefährdet gefühlt habe. Ein anderes Mal stand ich in einem Hof und habe mich unterhalten. Einer von ihnen packte mich plötzlich an der Schulter und sagte zu mir: „Hast du das gesehen?“. Da ist eine Kugel an mir vorbei in die Wand hinter mir eingeschlagen. Da war mir auch erst wieder hinterher klar, dass ich in Gefahr war.
Wie geht Ihre Familie damit um?
Ich möchte wirklich nicht wissen, wie meiner Frau zumute ist, wenn ich unterwegs bin. Ein kleiner Vorteil ist die Telekommunikation. In Afghanistan funktionieren auch Handys, so konnten wir jeden Abend miteinander reden. Meine Familie weiß auch genau, dass ich nicht darauf aus bin, „geile Bilder“ zu drehen.
Sie arbeiten für die ARD und reisen im Auftrag des Senders in die Krisengebiete. Was halten Sie vom deutschen Fernsehen?
Wir haben in den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten mehr Medienverwalter, als Journalisten. Das Resultat ist, dass jeden Tag im Fernsehen Talkshows laufen. Daher gibt es keine Plätze mehr für Dokumentationen und wenn doch, dann sehr spät. Es ist eine große Illusion zu glauben, Dokus könnten vor 22 Uhr im Fernsehen gesendet werden.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Fernsehmacher glauben, die Menschen interessieren sich nicht für solche Themen. Ich bin anderer Meinung. Ich glaube, gut gemachte Dokumentationen haben einen Platz in unserer Gesellschaft. Es gibt keinen Ersatz für Qualität. Wir haben ein weiteres großes Problem: In Deutschland gibt es zu wenige Journalisten. Die Deutschen können gute Autos bauen, aber Journalismus liegt nicht in der deutschen Tradition, das ist eine schwierige Sache. Die Zukunft liegt daher bei euch jungen Leuten. Ihr müsst mutig sein und Euch etwas trauen.
Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Raman.
Zur Person
Ashwin Raman wurde 1946 in Mumbai, im Süden Indiens geboren und im buddhistischen Glauben aufgezogen. Sein Vater war Chefredakteur bei der „Times Of India“, einer der größten Zeitungen des Landes. Heute ist der 66-Jährige selbst Journalist und berichtet seit über 40 Jahren aus den Krisenregionen der Welt. Der Dokumentarfilmer erlebte den Bürgerkrieg in Nicaragua, Afghanistan zur Zeit des Widerstandes gegen Russland, den Irakkrieg nach dem Anschlag von 09/11 und die Piraterie in Somalia. In diesem Jahr erhielt Raman den Robert Geisendörfer Preis, der alljährlich für herausragende publizistische Leistungen deutscher Hörfunk- und Fernsehsender verliehen wird. Als nächstes stehen ein Film über Mali und ein Dreiteiler über den Rückzug der deutschen Truppen aus Afghanistan 2014 auf seinem Programm.
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