Gewalt, Abhängigkeit und Unterdrückung waren in Elisas Beziehung lange Zeit Alltag. Ihr Glaube half ihr, ihren Partner zu verlassen und zusammen mit ihren Kindern ins Frauenhaus zu ziehen.
Es ist regnerisch und windig hier in der Nähe des Deiches nahe bei Emden. Novemberwetter. Ich werde ihr gleich erstmals begegnen, jener Frau, die Schlimmes durchgemacht hat. Ich bin gespannt. Was hat sie mir zu erzählen? Erstmals wird sie das für eine breitere Öffentlichkeit tun. Ich klingele. Sie erwartet mich. Sie hat Tee vorbereitet, ist freundlich und empfängt mich offenherzig. Wir duzen uns. Ich nehme mir vor, erst einmal einfach zuzuhören.
Dann beginnt Elisa* zu erzählen. Alles ist jetzt sechzehn Jahre her. Sie beschreibt ihre Beziehung mit ihrem damaligen Freund. Er ist auch der Vater ihrer Kinder. Sie berichtet, dass sie in ihrem Elternhaus gelernt habe, man solle immer schön lieb sein und sich fügen, und das tat Elisa auch in ihrer Beziehung. Ihr Blick geht zu Boden, und sie sagt, dass sie wenig Selbstbewusstsein hatte.
Er ist der erste Mann in ihrem Leben, und sie lernt ihn mit damals zwanzig Jahren auf dem Marktplatz in Emden kennen. Sie kommen ins Gespräch, und er erzählt ihr, dass er früher Moslem gewesen sei. Durch sie erfährt er von Jesus Christus und wird Christ. Daraufhin verstößt ihn seine Familie. Elisa wird kurz darauf mit ihm intim. Er weiß von da an, dass sie sich nun nicht mehr von ihm trennen wird. Umgekehrt weiß sie, dass sie ihre christlichen Ideale verlassen hat und damit auch ihre Glaubwürdigkeit. Die Beziehung, so erinnert sie sich heute, „war geprägt von Unterdrückung, Abhängigkeit und Gewalt“. Sie war ihm regelrecht ergeben.
Im Jahr 2005 kommt ihr gemeinsamer Sohn Said zur Welt, der heute Sam heißt. Im Mai 2006 wird Elisa wieder schwanger mit ihrer Tochter Katharina. Sie berichtet davon, wie ihr Partner ihr gegenüber gewalttätig wurde. Er sagt damals: „Wenn du nicht das Kind von mir im Bauch hättest, dann…“. Und „dann knallte es“, so Elisa, die am Lenkrad sitzt und eine Ohrfeige von ihm bekommt, so kräftig, dass ihr Unterkiefer dadurch blau anläuft. Sie fährt erschüttert in den Gegenverkehr und erinnert sich erkennbar ergriffen, dass Gott sei Dank kein Unfall passiert sei.
In diesem Augenblick spürt sie, dass in ihr etwas kaputt geht. Sie sind auf dem Weg zum Frauenarzt. Als sie dort ankommen, geht es ihr schon etwas besser. Sie verdrängt das kurz zuvor Erlittene. Als die Ärztin sie untersucht, fragt Elisa neugierig, ob man das Geschlecht des Kindes schon erkennen könne. Die Ärztin meint, dass das Baby zu klein sei und überweist Elisa in eine Spezialklinik nach Oldenburg.
Bis zum Untersuchungstermin dauert es noch ein paar Tage. Sie berichtet von ihrer Sorge um ihr Kind und beschreibt, was sie damals empfand: „Oh Gott, das kannst du mir nicht antun. Das kann ich nicht ertragen.“ Der Tag der Untersuchung ist gekommen. „Endlich!“ so Elisa. Elisa zieht Sam an, und als er fertig angezogen ist, rennt er die Treppe runter. Dabei rutscht er aus und knallt mit dem Kopf auf den Boden.
Der Vater des Kindes schreit Elisa an: „Kannst du nicht mal auf deinen Sohn aufpassen?“ Vor Wut schmeißt er eine Lampe mit einem Glasschirm herunter. Als Elisa die Scherben zusammenkehrt, sucht sie wie immer die Schuld bei sich.
All das geschieht vor der Untersuchung, die sie mit großer innerer Anspannung erwartet. Die damals 22-jährige Elisa fleht: „Oh Gott, ich kann nicht mehr.“
Als sei dieser Tag nicht schon schlimm genug gewesen, wird bei der Untersuchung festgestellt, dass das Baby im Bauch Pseudo-Trisomie 21 hat und nicht lebensfähig sei. Das Baby hat Wasseransammlungen im Gehirn, die Bauchdecke ist nicht zugewachsen und das Herz sowie alle anderen Organe sind nicht richtig ausgebildet. Elisa fragt sich verzweifelt: „Was soll nun bloß geschehen ?“ Elisa berichtet mir, dass sie und der Vater des Kindes wie gelähmt waren. Ihr Partner meint, dass Gott es wohl so gewollt habe. Aber Elisa stellt sich die Frage: „Was will Gott wirklich? Jetzt? Will er, dass ich zerbreche?“ Sie bezweifelt, dass Gott existiert. Zugleich fleht sie ihn an, ihr doch bitte zu helfen.
Die Ärzte sagen der jungen Mutter, dass die Geburt eingeleitet werden müsse. Es sei besser, das Kind jetzt zur Welt zu bringen und nicht bis zum errechneten Geburtstermin zu warten, da die Bindung zwischen Mutter und Kind sonst immer stärker werde. In der 21. Schwangerschaftswoche erhält Elisa Medikamente, und man teilt ihr mit, dass es auch sein könne, dass sie ihr Kind auf der Toilette gebären würde. „Es war eine ganz schlimme Vorstellung für mich, mein Kind auf der Toilette zu gebären“, erklärt Elisa. Sie ist auch viele Jahre danach noch tief bewegt von all diesen so schmerzenden Erinnerungen.
Nach der Untersuchung fahren sie und ihr Partner gemeinsam nach Hause, und ihr Partner versucht, sie aufzubauen: „Na, dann machen wir eben ein neues Kind.“ Als erschreckend kalt und gefühllos empfindet sie das. Elisa schaut jetzt, während sie mich das wissen lässt, zu Boden und sagt, dass es für sie ein ganz fürchterlicher Tag war. Mit allem. „Man kann doch nicht einfach so ein neues Kind ,machen’! Was für eine Sprache!“ Der Vater der Kinder macht ihr nur Vorwürfe und sagt zu ihr, dass sie halt keine Kisten hätte schleppen sollen und gibt ihr damit das Gefühl, dass sie allein an allem schuld sei. „Es war eben seine Art.“, sagt Elisa. Die Familie war damals nicht für sie da. Elisa stand ganz allein da. Denn sie hatte sich für ihn entschieden, und damit hatte sie keinen Kontakt mehr zur eigenen Familie.
Zurück in die schmerzhafte Zeit des Leidens damals. Es dauert und dauert, aber nach drei Tagen mit mittelstarken Wehen setzt die Geburt immer noch nicht ein. „Diese Tage waren furchtbar und hoffnungslos.“ Sie nennt es eine „hoffnungslose Geburt“. Der Chefarzt sagt Elisa, dass es sehr ungewöhnlich sei, dass nach drei Tagen immer noch keine Austreibungswehen hervorgerufen worden seien. Der Arzt bereitet damals Elisa auf das Schlimmste vor. Er teilt ihr mit, dass das Baby nach der Geburt schreien könne, aber er betont auch nochmals, dass es definitiv nicht lebensfähig sein könne. Elisa werden schließlich über die Bauchdecke Medikamente in den Mutterleib injiziert. Diese lösen schließlich die Austreibungswehen aus.
Am 28. Oktober 2006 trägt Elisa ihre Tochter aus, bringt sie zur Welt, in der sie nicht leben kann. Ihr Partner ist bei ihr. Elisa hat Schmerzen. Sie hört kein Babygeschrei. Sie sagt, dass es still blieb. Das Mädchen ist tot. Mit ruhiger Stimme beschreibt Elisa, dass ihre Tochter so friedlich aussah. Sie war 22 Zentimeter klein und weniger als 300 Gramm schwer. Sie liegt in Elisas Armen. Elisa nennt ihre Tochter Katharina. Der Name bedeutet „Die Reine“ und Elisa sagt: „Ja, sie war rein. Meine Tochter“.
In der Zeit danach wird eine Frage immer lauter: „Warum?“. Doch keiner kann ihr diese Frage beantworten. Elisa hält fest, dass keiner dieses Kind ersetzen kann. Sie erinnert sich, dass sie damals mit ihrer Großmutter telefonierte und ihr das sehr geholfen habe. Jetzt, an dieser Stelle unseres Gespräches, bei dem ich fast ausschließlich zuhöre und beobachte, stockt die Stimme Elisas. Einen Moment ist es ganz ruhig. Totenstill, möchte man sagen. Sie sagt: „Das bleibt immer.“
Zuhause hat sie ein Erinnerungsstück ihrer Großmutter. Es ist eine Hand, in der ein Baby liegt. Heute steht diese Figur auf dem Kamin in Elisas Haus und erinnert sie an diese Zeit. Elisa ist der festen Überzeugung, dass sie Katharina wiedersehen wird, und diese Hoffnung hat ihr geholfen und hilft ihr immer noch. Ihr Glauben, der sich letztlich so stark meldete, war für sie in dieser schweren Zeit eine große Stütze.
In unserem Gespräch frage ich sie, ob sie damals mit sich und der Entscheidung gehadert habe. Sie antwortet: „Sechzehn Jahre später hätte ich anders entscheiden, weil ich jetzt mehr hinterfragt hätte. Damals gab es keine Alternative.“ Die Ärzte hätten das damals sehr deutlich gemacht und haben „mir in dem Moment die Verantwortung abgenommen“. Ist das eine Rechtfertigung aus heutiger Sicht? Nein, sie empfindet das nicht als Rechtfertigung, aber als Entlastung. Sie betont noch einmal, dass sie mit heutigem Wissen das Kind austragen würde.
Durch die Partnerschaft war sie total isoliert, hatte keinen Kontakt zu Freunden und Familie. Der Partner vereinnahmte sie nach wie vor völlig. Mehr als eine Daseinsberechtigung hatte sie nicht, so sagt Elisa. Er wurde ihr gegenüber oft gewalttätig, indem er sie schlug. Am allerschlimmsten war jedoch die psychische Gewalt. Sie empfand keine Würde mehr. Die Partnerschaft habe sie in eine starke Abhängigkeit gedrängt. Trotzdem blieb Elisa bei ihm.
Später wird Elisa wieder schwanger. Im Dezember 2007, nachdem Gewalt und Druck gegen sie und den ersten Sohn immer mehr zunehmen, verlässt sie ihren Partner hochschwanger. Alles geschieht heimlich, da er ihr gedroht hatte, dass er sie umbringen würde.
Sie merkt endlich, dass sie loslassen muss. Für sich und ihre Kinder. Sie muss die Kinder schützen. Den zweiten Sohn Josia bekommt sie im Januar 2008 und geht daraufhin in ein Frauenhaus. Sie ist kraftlos und kann nicht mehr. Das Frauenhaus wird für sie und ihre Kinder zum Ort der Rettung.
Dort bekommt sie ein Zimmer im obersten Stock. Die Leitung des Frauenhauses sagt ihr, dass sie wohl lange dort bleiben müsse, weil sie erst nach Monaten eine Chance habe, eine Wohnung zu bekommen. Elisa trägt es aus ihrem Glauben heraus und nimmt die Situation an. Sie ist davon überzeugt, dass, wenn Gott es so will, sie es so ertragen werde und er ihr die Kraft geben würde. Und wenn Gott es wolle, dann würde er ihr auch helfen, in eine Wohnung ziehen zu können.
Elisa berichtet, dass sie hier Entspannung fand und diese Entspannung kam, weil sie ihren Partner verlassen hatte. Elisa war keine 30 Tage in diesem Frauenhaus, denn sie bekam eine Wohnung. Die Leitung des Frauenhauses dankte Elisa, dass im Frauenhaus mit ihr so viel Ruhe gewesen sei und durch sie auch der Zusammenhalt der Bewohnerinnen gefördert werden konnte. Meine Gesprächspartnerin erzählt von einer Frau namens Ricarda, die eines Tages zu ihr ins Zimmer kam und auf ihrem Tisch die Bibel liegen sah. Ricarda fragte Elisa, ob sie das Buch lesen würde – und Elisa sagte „Ja“. Daraufhin sagte Ricarda zu ihr: „Das ist das Richtige. Halt daran fest.“ Elisa meint heute, dass die Frauen ihr Gottvertrauen damals spürten. Im Frauenhaus erkennt sie, dass sie von Jesus Christus bedingungslos geliebt wird, und diese Liebe durch Christus ein wahres Geschenk ist. Mit diesem Bewusstsein gelingt ihr der Neuanfang.
Der ehemalige Partner klagte, er wollte nun ein Umgangsrecht für seine Kinder. Dieses bekam er im Jahr 2012 auch, obwohl er Elisa und den älteren Sohn Sam geschlagen hatte. Bald wurde deutlich: Es ging ihm bei diesen Treffen mit seinen Kindern nicht um die Kinder, sondern lediglich darum, Elisa zu schikanieren. Zur selben Zeit hatte Elisa angefangen zu studieren, und durch das Studium hatte sie mehr Selbstbewusstsein gewonnen. Jetzt gelang es ihr, ihrem ehemaligen Partner anders gegenüber aufzutreten. Elisa machte sich nicht mehr klein vor ihm. Und die Kinder wollten ihn auch nicht treffen. Der ältere Sohn Sam hatte natürlich schlimme Erinnerungen an diese Zeit.
Wie sieht Elisa das heute? Sie glaubt, dass die Treffen insgesamt wichtig waren, da die Kinder gesehen haben, dass auch er nur ein Mensch ist. Die Treffen fanden im geschützten Raum mit einer Sozialarbeiterin statt. Und da er, der Vater, die Treffen häufig absagte, hat das Gericht dann schließlich entschieden, dass das Umgangsrecht nicht verlängert wird. Seitdem hat Elisa nichts mehr von ihm gehört.
Hat sie, Elisa, nach all den Erfahrungen einen Rat für Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind? Ihre Antwort erstaunt. Sie ist fest davon überzeugt, dass ihr Glaube sie aus dieser Situation heraus geholt habe. Der Glaube, dass „ich wertvoll bin“ und das Wissen darüber, „dass ich geliebt bin“. Darin fand sie ihren Halt. Die Namen ihrer Söhne unterstreichen ihre tiefe Gläubigkeit, denn der Name Sam beutetet „Gott erhört Gebet“ und der Name Josia bedeutet „Gott ist Rettung“.
Wenn sie heute auf eine Frau treffen würde, die in einer ähnlichen Situation wäre, dann würde sie ihr nur vermitteln wollen, dass sie wertvoll und geliebt ist. Sie würde den Frauen dabei helfen wollen, dass sie ein Bewusstsein für sich selbst entwickeln. Ihr Rat ist ebenso einfach wie herausfordernd: „Es ist wichtig, dass man die Frauen sieht.“ Sie machte damals eine Pro-und-Contra-Liste, und das habe ihr geholfen, da sie nun schwarz auf weiß gesehen hätte, dass es nur einen positiven Punkt für ihren Partner gab, und dieser Punkt waren die Kinder. Später fand sie die Kraft, zur Polizei zugehen und ihn anzuzeigen.
Als ich mich von Elisa verabschiede, ist Dankbarkeit fast so greifbar wie ein klares Bekenntnis zum Leben. Elisa lebt ihr starkes „Ja zum Leben“. Trotz allem. Sie sagt aus tiefem Herzen, dass man immer „Ja“ zum Leben sagen muss. Heute ist sie glücklich verheiratet, arbeitet als Therapeutin und hilft anderen Menschen in schwierigen Lebenslagen.
*Namen von der Redaktion geändert
Frauenhäuser
Was sind Frauenhäuser?
In Frauenhäusern finden Frauen mit und ohne Kinder Schutz, Sicherheit und Hilfe, wenn sie von körperlicher und/oder seelischer Gewalt betroffen sind. Sie sind sichere Schutzräume, um Frauen und Kindern nicht nur kurzfristig Schutz und eine Unterkunft zu bieten, sondern ihnen zu helfen, ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Kontakt zu Frauenhäusern
Die Adressen von Frauenhäusern werden – um die Frauen zu schützen – in der Regel nicht öffentlich bekannt gemacht, sondern über Beratungsstellen oder auch Einrichtungen des Gesundheitswesen vermittelt. Einen ersten Kontakt zu Frauenhäusern bekommen betroffene Frauen in der Regel über Telefonnummern, die vor allem im Internet zu finden sind.
Bei welchen Notlagen finden Frauen dort Hilfe?
Das Angebot für Frauen und deren Kinder umfasst eine geschützte Unterkunft, psychosoziale Beratung und Begleitung. Darüber hinaus werden die Frauen bei der Gestaltung des gemeinsamen Alltags im Frauenhaus unterstützt. Hier finden Frauen Hilfe, die sich in einem Schwangerschaftskonflikt befinden, familiäre Probleme haben, seelische oder körperliche Gewalt durch den Partner erfahren, Schwierigkeiten im Umgang mit einem Säugling oder Kindern haben, wohnungslos sind oder Frauen, deren Kinder akut bedroht oder misshandelt werden.
Wie sieht die Hilfe konkret aus?
Die Bewohnerinnen werden in rechtlichen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen und persönlichen Fragen beraten. Durch haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen werden sie bei Behördengängen, bei der Wohnungssuche, Fragen zu Trennung und Scheidung etc. unterstützt. Darüber hinaus wird bei der Unterbringung von Kindern in Kindergärten und Schulen geholfen.
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